“Die Welt ändert sich nicht, also wechsel ich die Welt”, schreibt die 17-jährige Manuela in ihrem Abschiedsbrief. “Zusammen sterben ist das Größte.” Auf der anderen Seite des Sees gab es offenbar einen ähnlich besaiteten Selbstmordkandidaten. Doch niemand wird vermisst. Weitere Ungereimtheiten lassen Hauptkommissarin Klara Blum daran zweifeln, dass es sich um den klassischen Selbstmord eines Teenagers handelt. Sie stößt auf zahlreiche Mail-Kontakte Manuelas mit einem gewissen “Leander”. Was aber die Polizistin aus Konstanz noch nicht zu ahnen wagt: dieser perverse www-Maniac hält das Mädchen in einem Kellerverlies gefangen, um ihren Selbstmord vor laufender Webcam zu provozieren.
“Wie aus dem in Konstanz nicht unnormalen Fall eines Selbstmordes im See plötzlich eine Dimension erwächst, wie sie auch in New York entstehen könnte”, davon handelt der SWR-“Tatort: 1000 Tode”, so die Autorin Dorothee Schön. “Aus der Enge entwickelt sich ein Fall, der weltumspannend ist.” Besonders erschreckend war für die Autorin die Recherche im Internet. Sie stieß auf Foren für Lebensmüde und begriff etwas von deren Reiz. “Die Faszination solcher Chats hat damit zu tun, dass das eine Art Beichte ist, man trifft auf ein Ohr, das einen zu verstehen scheint.” Deutlich wurde Schön dabei, auf was für einen fruchtbaren Nährboden das bei verunsicherten jungen Menschen treffen kann. Vor allem in jenen Jahren, wenn Selbstmordgedanken etwas Faszinierendes haben. “Das Gefühl, die anderen zu schocken, aufzurütteln, indem man sich etwas antut, ist ja bekannt”, so Schön.
Der Film vom diesjährigen Grimme-Preisträger Jobst Oetzmann besteht den Balanceakt zwischen Gewaltdarstellung und moralischer Verantwortung, zwischen Realismus und Spannung. Da fallen Blicke auf einen Selbstmord im Netz, auch die im Verlies Gefangene wird psychisch bis aufs Äußerste gequält, doch filmisch überschreitet der dem Medium immanente Voyeurismus nicht die Grenze des guten Geschmacks. Und Moral ist als Korrektiv bereits im Drehbuch angelegt. Da gibt es beispielsweise eine Szene am Ufer des Bodensees, in der es die Jugendlichen “cool” finden, dass ihre Kameradin den Mut gehabt hat, sich das Leben zu nehmen. Klara Blum sitzt dabei – und sieht das natürlich ganz anders. (Text-Stand: 2002)