Tatort – 1000 Tode

Mattes, Hennicke, Dorothee Schön, Jobst Oetzmann. Chat-Rooms für Lebensmüde

Foto: SWR
Foto Rainer Tittelbach

Über neun Millionen Zuschauer wollten ihren Einstand sehen. Die Kritiker indes waren nicht so begeistert von Eva Mattes’ bedeutungsträchtig umnebelten ersten Bodensee-”Tatort”. Auch mit dem zweiten Krimi der ermittelnden Übermutter aus Konstanz, “1000 Tode”, dürfte so manch einer Probleme haben. Deutsche Mythen treffen auf die globalisierte Kommunikationstechnik Internet. Ein virtueller Albtraum wird Realität am Ufer des beschaulichen schwäbischen Meeres. Ein lebensmüdes Mädchen verschwindet eines Nachts. Hat der See sie geholt? Taucht sie wieder auf? Vielleicht auf einer Website?

“Die Welt ändert sich nicht, also wechsel ich die Welt”, schreibt die 17-jährige Manuela in ihrem Abschiedsbrief. “Zusammen sterben ist das Größte.” Auf der anderen Seite des Sees gab es offenbar einen ähnlich besaiteten Selbstmordkandidaten. Doch niemand wird vermisst. Weitere Ungereimtheiten lassen Hauptkommissarin Klara Blum daran zweifeln, dass es sich um den klassischen Selbstmord eines Teenagers handelt. Sie stößt auf zahlreiche Mail-Kontakte Manuelas mit einem gewissen “Leander”. Was aber die Polizistin aus Konstanz noch nicht zu ahnen wagt: dieser perverse www-Maniac hält das Mädchen in einem Kellerverlies gefangen, um ihren Selbstmord vor laufender Webcam zu provozieren.

“Wie aus dem in Konstanz nicht unnormalen Fall eines Selbstmordes im See plötzlich eine Dimension erwächst, wie sie auch in New York entstehen könnte”, davon handelt der SWR-“Tatort: 1000 Tode”, so die Autorin Dorothee Schön. “Aus der Enge entwickelt sich ein Fall, der weltumspannend ist.” Besonders erschreckend war für die Autorin die Recherche im Internet. Sie stieß auf Foren für Lebensmüde und begriff etwas von deren Reiz. “Die Faszination solcher Chats hat damit zu tun, dass das eine Art Beichte ist, man trifft auf ein Ohr, das einen zu verstehen scheint.” Deutlich wurde Schön dabei, auf was für einen fruchtbaren Nährboden das bei verunsicherten jungen Menschen treffen kann. Vor allem in jenen Jahren, wenn Selbstmordgedanken etwas Faszinierendes haben. “Das Gefühl, die anderen zu schocken, aufzurütteln, indem man sich etwas antut, ist ja bekannt”, so Schön.

Der Film vom diesjährigen Grimme-Preisträger Jobst Oetzmann besteht den Balanceakt zwischen Gewaltdarstellung und moralischer Verantwortung, zwischen Realismus und Spannung. Da fallen Blicke auf einen Selbstmord im Netz, auch die im Verlies Gefangene wird psychisch bis aufs Äußerste gequält, doch filmisch überschreitet der dem Medium immanente Voyeurismus nicht die Grenze des guten Geschmacks. Und Moral ist als Korrektiv bereits im Drehbuch angelegt. Da gibt es beispielsweise eine Szene am Ufer des Bodensees, in der es die Jugendlichen “cool” finden, dass ihre Kameradin den Mut gehabt hat, sich das Leben zu nehmen. Klara Blum sitzt dabei – und sieht das natürlich ganz anders. (Text-Stand: 2002)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

SWR

Mit Eva Mattes, Ercan Özcelik, Alexandra Schalaudek, Lilia Lehner, André Hennicke, Heinz Josef Braun, Johanna Bittenbinder

Kamera: Jürgen Carle

Schnitt: Roswitha Gnädig

Musik: Dieter Schleip

Produktionsfirma: Maran Film

Drehbuch: Dorothee Schön

Regie: Jobst Christian Oetzmann

Quote: 6 Mio. Zuschauer (18,4% MA)

EA: 03.11.2002 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach