Tarragona – Ein Paradies in Flammen

Event-Zweiteiler über Tankwagenunglück. Von Sturmfluten und Feuerwalzen

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Foto Rainer Tittelbach

Der Zweiteiler erzählt in zwei sehr unterschiedlichen Teilen von der Campingplatz-Katastrophe, die sich 1978 nahe der spanischen Stadt Tarragona ereignete. 215 Urlauber fanden den Tod, nachdem ein mit Flüssiggas gefüllter Tankwagen ins Schlingern geriet und auf einem vorwiegend von Deutschen besuchten Campingplatz explodierte.

Während der klassische Fernsehfilm mal wieder in der Krise steckt, gelten Event-Mehrteiler als die Hoffnungsträger fiktionaler Unterhaltung. Spannende Ensemble-Dramen vor historischer Kulisse erregen Dank umfangreicher Werbekampagnen nicht nur gesellschaftliche Aufmerksamkeit, sondern sie machen auch mächtig Quote. Als sich vor sieben Jahren Heino Ferch & Co in „Der Tunnel“ in die Westberliner Freiheit buddelten, konnten die Macher angesichts zunehmender Konkurrenzprogramme höchst zufrieden sein mit acht Millionen Zuschauern. Doch trotz des individualisierten Sehverhaltens lockten die kommenden Fernsehgroßereignisse wie „Die Sturmflut“, „Dresden“ oder „Die Flucht“ noch ein paar Millionen mehr vor den Bildschirm.

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Auch wenn wir nicht wissen, welch magisches Schauspiel die beiden Hauptcharaktere in dieser Szene verfolgen (irgendeine Spielberg’sche Begegnung der dritten Art?): die Welt im Ferienparadies ist jedenfalls noch in Ordnung.

RTL hat sich seit Jahren nicht mit Ruhm bekleckert, was die Produktion seiner TV-Movies angeht. Nach jahrelanger  Abstinenz in Sachen Fernsehfilm wagte sich der Kölner Sender erstmals wieder mit „Die Sturmflut“ in die Schlacht um fiktionale Marktanteile. Die rund 12 Millionen Zuschauer, der Image-Gewinn und die guten Verkäufe ins Ausland bescherten Barbara Thielen, der Chefin für die fiktionalen Programme, grünes Licht für weitere Projekte. Das erste, das nun zur Sende-Reife gelangt, ist „Tarragona – Ein Paradies in Flammen“. Erzählt wird in zwei sehr unterschiedlichen Teilen von der Campingplatz-Katastrophe, die sich am 11. Juli 1978 nahe der spanischen Stadt Tarragona ereignete. 215 Urlauber fanden den Tod, nachdem ein mit Flüssiggas gefüllter Tankwagen ins Schlingern geriet und auf den vorwiegend von Deutschen besuchten Campingplatz „Los Alfaques“ explodierte. Das Gas des Tank-Lkws und die Butangasflaschen der Urlauber ergaben eine tödliche Mischung. Augenzeugen sprachen von einer Feuerwalze, die in Windeseile über den Campingplatz fegte.

Damit sich die Zuschauer das Ereignis so richtig zu Herzen nehmen, müssen – wie auch in all den anderen Katastrophen-Storys um Jahrhundertfluten oder tragische Schiffsuntergänge – private Geschichten erzählt werden. So wie die Gase, die sich an jenem verhängnisvollen Tag im Juli 1978 unter südlicher Sonne mischten, so sollen sich die Emotionen der menschlichen Schicksale mit der Sprengkraft des Ereignisses zu einem hoch gefühlvollen Ganzen verbinden. „Unser Film steht in der Tradition von Katastrophen, die nur im Hintergrund abgebildet werden, im Vordergrund stehen die Menschen“, sagt denn auch „Tarragona“-Produzent Michael Souvignier. Seine Kölner Firma Zeitsprung hat bereits mit „Das Wunder von Lengede“ einen mehrfach preisgekrönten Meilenstein des Genres der historischen Katastrophe vorgelegt.

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Geschockt und sprachlos. Keine Minute vergangen und alles hat sich verändert. Die leisen Momente in diesem TV-Drama sind zugleich die emotional intensivsten. Nina Proll und Johannes Bandrup

Bei „Tarragona“ wollte man nun alles genauso machen. Man engagierte einen erfahrenen Autor, einen Regisseur, der sich mit dem Oetker-Entführungsdrama „Tanz mit dem Teufel“ und dem stilbildenden „Blackout“ einen Namen auf dem Gebiet des anspruchsvollen Event-Films gemacht hat, und man verpflichtete eine Reihe namhafter Schauspieler, darunter einige Charakterköpfe. Dass Tarragona nicht das katastrophale Ausmaß von Dresden hatte, eine Explosion als Action-Ereignis weniger Langzeitwirkung besitzt als eine Sturmflut – das erschwerte die Arbeit von Timo Berndt und Peter Keglevic. Im Rahmen des Möglichen haben beide ihre Sache perfekt gemacht. Überraschungen waren bei der Geschichte kaum zu erwarten. Die Dramaturgie ist vorgegeben: eine Katastrophe bahnt sich an, kommt unaufhaltsam näher, es folgt der große Knall, dann das große Chaos.

Dass aber – besonders im ersten Teil – in „Tarragona“ jede Kotelette, jeder Bikini und jede Latzhose richtig im Seventies-Styling sitzt, dass der Soundtrack bis in den letzten Saturday-Night-Fever-Schlenker stimmt, das war nicht unbedingt zu erwarten. „Ich glaube nicht, dass es noch irgendwo ein Zelt aus den Siebzigern gibt“, betont Souvignier, „jeder Hering, der in den Boden geklopft wurde, ist historisch.“ Selbst die Schauspieler und Komparsen sehen aus, als seien sie in die 70er Jahre „gebeamt“ worden. Der wieder errichtete Campingplatz selber konnte nicht als Schauplatz dienen, wurde aber akribisch nachgebaut. Gedreht wurde auf Mallorca. Da fand man denn auch schnell die rund 2000 Komparsen, denen man das Urlaubs-Feeling leicht abnehmen konnte.

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Überzeugend Panik zu spielen, ist ein aussichtsloses Unterfangen. In den 2000er war man noch so naiv zu glauben, man könne Leid, Verzweiflung und Angst realistisch 1:1 darstellen. Heute dreht man die Emotionalität solcher Katastrophen subtiler, beispielsweise durch Perspektivwechsel und Zeitsprünge (wie in „Ramstein – Das durchstoßene Herz“), um die Schauspieler nicht so aussehen zu lassen wie Herbert Knaup und Roeland Wiesnekker in dieser Szene.

Bei aller historischer Genauigkeit – die Figuren sind fiktiv. Aus ihren Geschichten webt sich ein Sittenbild der 70er Jahre. Da ist eine frühe Patchworkfamilie unterwegs, da findet die weibliche und homosexuelle Emanzipation ihre Protagonisten, da treffen Motorradrocker auf den deutschen Schnittchen-Spießer, da zeigt eine Powerfrau Interesse an einem todkranken Bundeswehrgeneral a.D., da flammt die erste Liebe auf, aber auch der eine oder andere Generationenkonflikt. Es sind viele kleine Geschichten, die Berndt und Keglevic erzählen. Sie bedienen weitgehend die Erwartungen. So ist früh abzusehen, dass der von Tim Bergmann gespielte verunsicherte Jungspießer, für den zu Beginn der Reise selbst schon das Tanken im Ausland zu einer großen Herausforderung wird, im Verlauf des Films über sich hinaus und die neue Familie zusammen wachsen wird.

Dennoch: In ihrer Summe sind die Geschichten stimmig und unterhaltsam. Der Zeitgeist artikuliert sich sehr viel umfassender als nur im Spiegel seiner Ausstattung. Der Urlaub wird zum Ort, wo sich Träume und emotionale Defizite, die im Alltag verdrängt werden, ungezügelt Bahn brechen. Wunsch und Realität knallen aufeinander. Als es dann so richtig knallt, entdecken viele die Liebe zu ihren Nächsten wieder. Der zweite Teil ist konventioneller geraten. Die Emotionen kochen hoch. Versöhnung und Solidarität, Hoffen und Bangen, Leben und Tod – menschliche Dramen beherrschen die Szenerie. Ob Bombennacht von Dresden, ob Hamburger Sturmflut oder die Explosion von Tarragona – es ist immer das gleiche dramaturgische Spiel. Wer wird überleben? Wer wird geopfert? Was sich für den dramatischen Fortgang des zweiten Teils auszahlt, sind die guten Schauspieler – allen voran Sophie von Kessel, Hanns Zischler, Herbert Knaup und Roeland Wiesnekker. So geben am Ende doch nicht allein die Dramaturgie, die Ausstatter und die Pyrotechniker den Ton an. (Text-Stand: 9./10.9.2007)

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Mit Tim Bergmann, Sophie von Kessel, Herbert Knaup, Hanns Zischler, Johannes Brandrup, Roeland Wiesnekker, François Goeske, Laura Tonke, Nina Proll, Johannes Zirner

Kamera: Alexander Fischerkoesen

Schnitt: Moune Barius

Produktionsfirma: Zeitsprung Pictures

Produktion: Michael Souvignier

Drehbuch: Timo Berndt

Regie: Peter Keglevic

EA: 09.09.2007 20:15 Uhr | RTL

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