Patrick (Fritz Karl) und Julia (Barbara Auer) sind nach 32 Jahren noch immer glücklich miteinander. Auch materiell gesehen befindet sich das Kölner Ehepaar, er Soziologieprofessor, sie Psychotherapeutin, auf der Sonnenseite des Lebens. Ihr Hochzeitstag im Luxushotel wird dennoch ein Reinfall. Denn im Bett herrscht Flaute; allerdings ist nur ihr die Lust abhanden gekommen, er hingegen wünscht sich regelmäßig Sex. Julia, die ihren Mann nicht verlieren möchte, macht ihm einen pragmatischen Vorschlag. Patrick solle sich eine junge Gespielin im Internet suchen, um seine erotischen Phantasien auszuleben. „Nur Sex – sonst nichts!“ Klare Regeln, keine Gefühle, ein sauberer Deal. Der 56-Jährige lässt sich davon überzeugen, dass dies von allen schlechten Lösungen die beste ist. Und so hat er sich bald die junge Studentin Klara alias Claire (Cosima Henman) ausgeguckt, die den lieben langen Tag nur eines macht: „andere Menschen glücklich.“ Bald fährt sie vornehmlich auf den spendablen „Sugardaddy“ Patrick ab, doch als dieser von seinen Liebsten erzählt, auch von seiner Tochter Kristina (Marie Förster), alleinerziehende Krankenschwester, und vom Arrangement zwischen ihm und seiner Frau, hat er nicht nur die anfangs festgelegte Grenze überschritten, sondern damit auch den Weg freigemacht für die süße Rache der immer unberechenbarer werdenden Claire.
Foto: SWR / Wolfgang Ennenbach
„Eine externe Dienstleistung buchen für den dysfunktionalen Teil unserer Ehe?“, das kommt dem liebenden Gatten anfangs spanisch vor. Doch man ist ja aufgeklärt und aufgeschlossen, und außerdem liefert das Ganze auch noch Anschauungsmaterial zum aktuellen Uni-Projekt des Soziologen, „Das Ende der Liebe – Der Kapitalismus und die Ökonomisierung der Gefühle“. Damit grundiert Autorin Silke Zertz („Tannbach“ / „Auf dünnem Eis“) in dem ARD-Fernsehfilm „Sugarlove“ ihre Geschichte allenfalls, der Fokus bleibt erfreulicherweise auf die Dreierkonstellation und die jeweiligen Abhängigkeiten gerichtet. Auf vordergründige Moral-Diskurse, Themenfilm-Anflüge und ablenkende Egotrips der Figuren wird verzichtet. Selbst wenn etwas nur kurz und beiläufig ins Spiel kommt hat es eine entscheidende Bedeutung für die Handlung. Der Drehbuchplot ist klug ausgedacht und clever umgesetzt; das narrative Konstrukt unterläuft ständig die Erwartungen sowohl an die Geschichte als auch an das Genre. So bekommt man es als Zuschauer in dem von Regisseurin Isabel Kleefeld („Aufbruch in die Feiheit“ / „Eine harte Tour“) kongenial umgesetzten Film nicht nur zu tun mit dem Ehedrama eines gutsituierten Paares, das auf hohem Niveau jammert. Es sind auch nicht allein die romantischen Gefühle, die die Konstellation kompliziert machen; so hätte man die Geschichte noch vor zehn Jahren erzählt. Nein, Zertz lässt die junge Frau reagieren und macht sie in der zweiten Filmhälfte zum Motor einer Handlung, die unter Thrillerverdacht gerät, ohne sich vom Drama mit seiner alltagsnahen Konfliktsituation zu verabschieden.
Alle Wendungen sind entsprechend von den Charakteren bestens motiviert. Die impulsive Claire, die sich benutzt fühlt und mit einer niedrigen Frustrationsschwelle zu kämpfen hat, wandelt sich vom „blauen Engel“ zum Racheengel. Von wegen: „Ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“ Der Soziologe, Nickname Professor Raat, kann sich nur schwer dieses Sugarbabys erwehren, das sich auf die egozentrischen Spielchen der Jugend versteht. Beim ersten Date würde er am liebsten einen Rückzieher machen. Danach kauft er ihr erst mal ein anständiges Bett. Auch später findet er gegen das „Miststück“ keine Mittel. Sie macht sich mit seinem Auto aus dem Staub. Sie nimmt Kontakt zur Ehefrau und zu seiner Tochter auf. Sie dringt in sein Haus ein. Julia indes, die als Ersatz ihr Enkelkind mit ins Bett nimmt, macht sich von Anfang an etwas vor. „Ich kann das trennen.“ Die Bilder sagen etwas anderes. Wie paralysiert sitzt sie in ihrer Psychotherapiesitzung (zu hören ist dabei das Rauschen der Dusche, in der sich der Ehemann von der Liebesnacht mit der anderen reinigt). Und auch Julia bricht mit der Regel, keine Dritten einzuweihen. Und sie, die erfahrene Psychotherapeutin, leugnet jede Verletzung, ja, sie redet sich geradezu die Situation schön. „Sie tut dir gut“, sagt sie. „Findest du?“, ist sich Patrick nicht so sicher. „Ja, du siehst gut aus.“ Das Arrangement bleibt aber das, was es ist: ein Handel im Privaten, ein intimes Tauschgeschäft. Das erkennt selbst Claire sofort, die sich ja mit ihrem Mantra „Ich mache das, was mir am meisten Spaß macht: andere Menschen glücklich“ auch so einiges vorlügt: „Ich bin also sowas wie die outgesourcte Muschi für euch beide?“ Etwas ist faul an so einem Deal. „Wenn einer Geld hat und der andere keins, dann ist gar nichts freiwillig“, reagiert Julias Freundin entrüstet.
Foto: SWR / Wolfgang Ennenbach
Soundtrack: The Emotions („Best of My Love“), Iggy Pop (The Passenger“), The Knack („My Sharona“)
Das Phänomen einer solchen pragmatischen Sex-Dienstleistung wird in „Sugarlove“ von allen Seiten beleuchtet. Dabei wirken die unterschiedlichen Bewertungen nicht wie Zugeständnisse an das öffentlich-rechtliche Ausgewogenheitsdiktat, sondern sie spiegeln vielmehr die reale Palette möglicher Haltungen zu diesem Thema. Anfangs könnte der Verdacht aufkommen, dass der Film eine der ewigen Alt-Männerphantasien aufwärmt. Aber erzählt er dann nicht auch eine Jung-Frauenphantasie? Denn im Gegensatz zu diesem Sugardaddy, der sich nie ganz frei machen kann von seinen Schuldgefühlen, scheint das Sugarbaby zunächst mehr Gefallen an dieser Lifestyle-Form der Prostitution zu finden. Die männliche Identifikationsfigur hat also ein gebrochenes Verhältnis zu ihrem eigenen Tun; und der Lust folgt sowieso bald der Frust dieses Arrangements. Die Stärke des Drehbuchs ist ohnehin, dass man als Zuschauer:in alle drei Figuren und deren Motive – egal, welche moralische Haltung man vertritt – verstehen und nachvollziehen kann. Das verstärkt noch den Sog, den diese Geschichte nach der erotischen Schmetterlinge-im-Unterleib-Phase entwickelt. Man möchte keinen gegen den anderen ausspielen, umso lustvoller der vierte Akt, in dem man dank des partiellen Mehrwissens mit allen drei Figuren gleichermaßen mitfiebert. Ahnungen, wohin die Geschichte führen wird, lassen sich früh entwickeln. Zwei Polizeibeamte (Caroline Schreiber, Denis Schmidt) nehmen bereits vor der Exposition ihre Arbeit auf. Am Ende dann kann man aber vor allem bestaunen, wie Zertz und Kleefeld dem Krimi, in den heutzutage offenbar jede Beziehungsgeschichte im deutschen Fernsehen verpackt sein muss, die lange Nase zeigen.