Der Chef feiert Geburtstag, doch Kommissar Benjamin Lietz hat noch insgeheim etwas zu erledigen und kommt verspätet zur Karaoke-Party. Der oft unbedacht handelnde Ermittler im vierköpfigen „Stralsund“-Team verstrickt sich im fünften Fall in immer größere Schwierigkeiten. Lietz begleicht die Schulden für seinen spielsüchtigen Bruder. Neben Geld liefert er den kriminellen Gläubigern Infos, zum Beispiel über den Transport eines Häftlings am nächsten Tag. Der Mann, ein wichtiger Zeuge, der gegen den Chef eines Drogenrings aussagen wollte, wird schließlich auf dem Weg zur Befragung beim Staatsanwalt erschossen. Lietz gerät schnell in Verdacht, der Maulwurf bei der Polizei zu sein, wird aber vorerst von seiner Lebensgefährtin und Kollegin Nina Petersen gedeckt. Auf eigene Faust versucht er, den Mord aufzuklären und den unbekannten Drogenchef mit dem Decknamen Victor zu finden.
Krimi-Reihen sind nicht zuletzt eine Besetzungsfrage: Weil Wotan Wilke Möhring mittlerweile zum „Tatort“-Ermittler avancierte und sich dies mit einer Hauptrolle in einer ZDF-Krimireihe angeblich nicht verträgt, galt es, dem Darsteller eine Art Abgang ins Drehbuch zu schreiben – der allerdings kein kompletter Abschied von der Reihenfigur und Möhring sein wird, wie das ZDF gegenüber tittelbach.tv bestätigte. Möhring alias Lietz wird in „Freier Fall“ zur zentralen Figur, ein Polizist als Getriebener und Zerrissener, der seine Schuld wieder gutmachen will und sich der Verfolgung durch die eigenen Kollegen entziehen muss. Man könnte sagen: Martin Eigler und Sven Poser, die „Väter“ der Reihe, nutzen den äußeren Zwang, Möhring als einen der Hauptdarsteller herauszuschreiben, offensiv und clever.
Der Film fällt buchstäblich aus der Reihe: Es gibt keine Geiselnahme wie in den vier Filmen zuvor. „Stralsund – Freier Fall“ verlässt den bisher eingeschlagenen Weg des Polizeithrillers. Action-Elemente werden zurückgefahren, die Spannung bleibt dennoch erhalten. Sie entsteht nicht zuletzt deshalb, weil man sich fragt, wie weit Lietz bei seinem rücksichtslosen Alleingang noch gehen wird. Und ob er den Kopf noch aus der Schlinge ziehen kann. Möhring gelingt dieser „freie Fall“ überzeugend. Am Ende traut man Lietz alles zu, ohne dass sein Motiv, sich für den Bruder und dessen Familie einzusetzen, in Frage stünde. Nicht einmal Nina Petersens Schwangerschaft kann ihn von seinem selbstzerstörerischen Trip abbringen.
Neben der psychologisch interessanten Geschichte des Hauptprotagonisten bieten Eigler und Poser jedoch nicht viel mehr als durchschnittliche Krimikost: Ein verschlungen angelegter Fall und die üblichen Polizei-Ermittlungen in einer routinierten Inszenierung. Abgesehen von Lietz bleiben die übrigen Charaktere blass. Auch das Ermittler-Ensemble entwickelt sich nicht weiter: Gregor Meyer ist der unsympathische Chef, der zum Abkanzeln neigt, Karl Hidde der gehbehinderte Kommissar, der wertvolle Ermittlungsarbeit vom Büro aus übernimmt, und Nina Petersen sitzt zwischen allen Stühlen. Hinzu kommt nun mit Max Morolf ein Drogenfahnder vom LKA. Viele steife Dialoge in einer recht konventionellen Inszenierung – alles wirkt reichlich statisch, selbst in den emotionalen Momenten, etwa wenn Nina Petersen ihrem Freund von der Schwangerschaft erzählt. Katharina Wackernagel trägt meist ein sehr besorgtes Gesicht zur Schau, aber der Funke mag nicht so recht überspringen.
Das gilt auch für die Nebenfiguren. Wolfram Koch als spielsüchtiger Bruder etwa wirkt reichlich unterfordert. Am Ende hat Rudolf Kowalski, diesmal mit grauem Vollbart, immerhin noch einen bemerkenswerten Auftritt. Seine Figur hat neben Lietz die tiefsten Abgründe zu bieten, aber die müssen bis zur Auflösung verborgen bleiben. Die „Stralsund“-Reihe muss sich nach Möhrings „Tatort“-Engagement weiterentwickeln – und das sollte sie auch.