Alfie (Maja Bons) kommt aus gutem Hause, hat jedoch die Villa auf Rügen gegen einen Restaurantjob in Stralsund eingetauscht. Hier, im Umfeld eines Ausbildungsbetriebs für straffällig gewordene Jugendliche, der vorgibt, ohne Profit zu arbeiten, hat sie nicht nur eine neue Bestimmung, sondern mit Tim (Julius Nitschkoff) auch die Liebe gefunden. Sein Vater Matthias (Dirk Borchardt), Kopf der Küchenbetriebe Busch, eine Stralsunder Institution, die sogar die Polizei mit ihrem Catering versorgt, ist mittlerweile auch groß ins Immobiliengeschäft eingestiegen. Wie er das gemacht haben könnte, lässt sich nur erahnen: Geldwäscheparadies Deutschland! Dummerweise hat Alfie dem unwissenden Tim ihre Hilfe bei der Buchhaltung angeboten. Wegen des offensichtlichen Steuerbetrugs sucht sie Rat bei einem Bekannten, der beim Finanzamt arbeitet. Der fällt wenig später vom Balkon. Aus Alfies Angst wird Panik. Dass sie den Laptop mit den Steuerunterlagen noch bei sich hat, macht die Sache nicht ungefährlicher. Von Jule Zabek (Sophie Pfennigstorf) erbittet sie zwar Schutz, den Laptop aber rückt sie nicht raus. Kommissar Hidde (Alexander Held) macht sich derweil bei Raimund Morel (Stephan A. Tölle) vom Finanzamt schlau. Und dann ist da noch Dennis (Gustav Schmidt), Buschs junger Mann fürs Grobe, der sich mit Tomasz Nowak (Jakub Gierszal), dem polnischen Austauschkollegen anlegt. Doch Busch & Co sind nur kleine Fische im Gegensatz zu denen, mit denen sie sich da eingelassen haben. Wer so viel Geld wäscht, der wäscht für Mörder.
Foto: ZDF / Sandra Hoever
Dass Ermittlungen zu zweit dramaturgisch eine besondere Herausforderung sind, ließ „Der letzte Sieg“, die 24. Episode der ZDF-Reihe „Stralsund“, unlängst deutlich erkennen. Den vier Autoren gelang das Duett von Zabek und Hidde nur bedingt; als stark gespieltes, auf Reduktion der Konflikte setzendes (Krimi-)Doping-Drama konnte der düster realistisch inszenierte Film von Lars Henning am Ende dennoch überzeugen. Einen Monat später ausgestrahlt, aber zeitgleich mit dem Vorgängerfilm als ZDF-Stream (die ZDF-Mediathek war gestern!) online, folgt nun „Blutgeld“ von Stepan Altrichter („Nationalstraße“), Jahrgang 1981. Ermittelt wird wieder zu dritt, und das Drehbuch von Martin Behnke („Dark“) und Marc Zwinz ist komplexer, die Handlung vielschichtiger, weiß man doch lange nicht genau, wer hier alles seine schmutzigen Finger im Spiel hat. Das Organisierte Verbrechen bleibt nur angedeutet, bekommt erst auf der Zielgeraden ein markantes Gesicht und ein sehr, sehr langes Messer. Auch diese 25. Episode der wandlungsfähigen Reihe ist ein mehr als solider Krimi mit ein paar Spannungsspitzen und gleichzeitig ein intensives Drama, eine bewegende Familientragödie mit einem Hauch „Romeo und Julia“. Besonders gelungen sind die vielfältigen Konfliktlagen. Immer wieder tut sich ein Dilemma auf. Wie kann man der lebenslangen Geiselnahme durch die eigene Familie entfliehen? Alfie hat es bereits als Teenager geschafft, sich von ihrem „Bonzen-Vater“ zu befreien. Tim indes fällt es schwerer, den Busch-Clan hinter sich zulassen.
Soundtrack: Feine Sahne Fischfilet („Kiddies im Block“), Edwin Rosen („Verschwende deine Zeit“), Zugezogen Maskulin („Plattenbau O.S.T.), Adele („Hello“), James Blake („Retrograde“)
Foto: ZDF / Sandra Hoever
Die Stärke des Drehbuchs liegt neben der formalen Dichte vor allem in der Ambivalenz, die das Autorenduo den Charakteren zugesteht. Das spiegelt sich bereits in den Grundpfeilern der Geschichte: Diese Gruppe der sogenannten „Jungschen“ war im legalen Grauzonen-Bereich karitativ tätig. Sie kamen in den 1990er Jahren aus der Mitte eines toten Stadtviertels, sie haben es wiederbelebt und dem vom Westen bestimmten Markt die Krallen gezeigt. Die Aversion gegen staatliche Institutionen ist bis heute tief in der Gruppe verwurzelt – auch wenn Papa Busch nach außen auf moderat macht. Schließlich will er es sich nicht mit der Polizei verscherzen, nicht nur, weil er deren Kantine beliefert. Dass sein Küchenpersonal eben mal schnell in den Bullen-Gulasch rotzt (ein Bild, das mehr sagt als viele Worte), davon weiß er nichts. Ein ganz so schlimmer Finger scheint er auch ohnehin nicht zu sein. Es schlagen offenbar zwei Herzen in seiner Brust: Sein soziales Engagement wirkt weitgehend echt; allerdings ist da mittlerweile auch Gier und eine gehörige Portion Selbstüberschätzung im Spiel. Auf jeden Fall echt aber ist die Liebe zu seinem Sohn. Dirk Borchardt spielt das stimmig als Boss und Vater, als Täter und Opfer. Gleiches gilt für Julius Nitschkoff, dessen Tim an seiner Liebes-Doublebind-Interaktion zu scheitern droht. Und auch jene blaublütige Alfie (von Stenz) ist ständig hin- und hergerissen zwischen Liebe und Vernunft, zwischen Schweigen und Auspacken. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Jungtalent Maja Bons („Everyone is f*cking crazy“, „Marzahn Mon Amour“) bald häufiger in Filmen & Serien zu sehen sein wird.
Abgerundet wird „Blutgeld“ durch eine ebenso narrativ umsichtige wie ästhetisch stimmige Inszenierung. Gleich zu Beginn fällt der Blick auf Plattenbauten, so weit das Auge reicht. Damit wird auch visuell der Bezug zur (Stralsunder) Geschichte hergestellt. Und passend zur vornehmlich jungen Besetzung ist der insgesamt junge Look inklusive einer – was das Tempo betrifft – gut austarierten Montage. So wird das Gestern mit dem Heute kurzgeschlossen, werden die jüngeren und die älteren Figuren überzeugend in einen filmisch realistisch anmutenden Mikrokosmos eingebunden. Dazu passt auch die Arbeitsteilung der beiden Hauptermittelnden, die sich bereits in „Der letzte Sieg“ abzeichnete: Hidde ist für den historischen Diskurs zuständig, erklärt, was die Jungspunde (und sicher auch viele Zuschauer) nicht wissen, und Zabek nimmt sich den jungen Frauen an. „Ja, ich bin Polizistin, aber nicht nur.“ Diese menschliche und doch emotional zurückhaltende Ermittlungsart könnte zum Wesenskern dieser jungen Kommissarin werden. Sophie Pfennigstorf spielt das, wenn sie die richtigen – und nicht zu viele – Sätze ins Drehbuch geschrieben bekommt, ausgesprochen stark: reduziert auf Blicke, klar, markant, kombiniert mit einer ebensolchen Filmsprache. Und ihrer Figur tut auch mal ein Lächeln sichtlich gut.
Foto: ZDF / Sandra Hoever