Stralsund – Der letzte Sieg

Sophie Pfennigstorf, Held, Anke, Lars Hennig. "Irgendwann war der Körper durch"

Foto: ZDF / Sandra Hoever
Foto Rainer Tittelbach

Die ZDF-Reihe „Stralsund“ (Network Movie) hat einige Format-Mutationen hinter sich. Nicht erst nach der Zäsur im Cast, ab Episode 21, in der Sophie Pfennigstorf Katharina Wackernagel ersetzte, wirken die Filme eine Nummer kleiner. Das muss kein Nachteil sein, wie „Der letzte Sieg“ beweist. Der Film des „Stralsund“-erfahrenen Lars Hennig ist ein Krimi, der ein dunkles Kapitel der DDR-Vergangenheit, das staatlich organisierte Doping, noch einmal beleuchtet, und ist zugleich ein stimmiges Drama, das sensibel seine Schicksale zeichnet, schauspielerisch und inszenatorisch überzeugt und dem es gelingt, trotz Verjährungsfrist eine kriminalistisch spannende Geschichte zu erzählen. Die Reduktion auf zwei Ermittelnde besitzt (noch) dramaturgische Schwächen; allerdings wird das an sich gute Duo Pfennigstorf/Held ab der nächsten Episode wieder zum Trio erweitert.

„Sind Sie DER Andy Block?“, will Karl Hidde (Alexander Held) wissen? Ja, der Mann, der seine Hinfälligkeit nur schwer verbergen kann, ist jener Andy Block (Andreas Anke), 1988 Silbermedaillen-Gewinner im Gewichtheben. Die Frage macht den reservierten Ex-Sportler ein wenig zugänglicher. Hiddes junge Kollegin Jule Zabek (Sophie Pfennigstorf) ist mit DDR-Geschichte inklusive Staatsdoping im Leistungssport nicht allzu vertraut. Dieser Block jedenfalls – Legende hin oder her – kommt ihr reichlich merkwürdig vor. Und tatsächlich ist er alsbald Tatverdächtiger in einem Stralsunder Mordfall. Die Leiche eines Sportjournalisten wurde angeschwemmt. Tatort aber ist eine Ferienwohnung, deren Anlage Block als Hausmeister betreut. Zwar hat er die Spuren und die Leiche beseitigt, ja, er legt sogar ein Geständnis ab – aber war er auch der Täter? Block deckt offenbar eine andere Person. Ist es möglicherweise die junge Frau (Irina Potapenko), die sich in seiner Wohnung versteckt und sich auffallend für die Sportgeschichte der DDR interessiert? Sie ist die Tochter einer Schwimmerin, die 1989 mit 19 Jahren plötzlich an „Herzversagen“ gestorben ist. Mit ihren Recherchen scheucht sie in Stralsund die alten Seilschaften auf, zu denen eine Ärztin (Katrin Pollitt) und ein ehemaliger Trainer (Tilo Nest) gehören. Die Doping-Fälle sind jedoch längst verjährt. Außerdem ist völlig unklar, was der Sportjournalist mit den alten Geschichten zu tun hat?

Stralsund – Der letzte SiegFoto: ZDF / Sandra Hoever
„Irgendwann war der Körper durch.“ Wenig Lebensmut: Andy Block (Andreas Anke) versteckt sich in seinem Trainingskeller.

„Herzfehler“ oder „plötzlicher Herztod“ hieß es im DDR-Sprachgebrauch. Steckte das systematische, staatlich geförderte Doping dahinter? In der Regel war jenes Doping ein Tod auf Zeit – ein schleichendes Gift wie bei dem Gewichtheber in „Der letzte Sieg“, der 24. „Stralsund“-Episode, der nur mit täglicher Dialyse bis heute überlebt hat. Ist das womöglich der Grund, weshalb der Mann bereit ist, sich für einen anderen zu opfern? Andy Block ist ein gebrochener Mann. Andreas Anke spielt ihn als bemitleidenswerte Kreatur, als Opfer, das zumindest auch Tatbeteiligter ist. Wie er sich gleich zu Anfang des Films dahinschleppt, wie er die Leiche entsorgt und den Tatortreiniger gibt, wie er schwitzt und ständig nach Atem ringt – das versinnbildlicht all das, was einem die Handlung erst nach und nach verrät. Erzählt wird die Geschichte dieses gebrochenen Mannes – und mit ihr wird eines der dunkelsten Kapitel der DDR-Vergangenheit noch einmal beleuchtet. Um das Drama in einen Krimi zu zwingen, mussten vier Autoren Hand anlegen. Die Plot-Konstruktion mit der Journalistenleiche zu Beginn ist eine Genrevorgabe, die retrospektiv wie ein Vorwand wirkt, über die sich allerdings leicht hinwegsehen lässt: Zu einfühlsam sind die Schicksale gezeichnet, zu überzeugend sind die meisten Schauspieler und zu gut ist auch die Inszenierung von Lars Henning, insbesondere die Tristesse der Bilder (Kamera: Carol Burandt von Kameke) und der atmosphärisch dichte Score (Oliver Kranz), die stimmig den Moll-Grundton der Geschichte treffen. Und dass der Plot trotz Verjährung eine Möglichkeit findet, die Täter von damals zu überführen, dürfte auch bei Vielen für eine gewisse Genugtuung sorgen.

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Eine, die zuschlagen kann. Jule Zabek (Sophie Pfennigstorf) überwältigt den unbekannten Angreifer und schlägt ihn in die Flucht.

Die ZDF-Reihe „Stralsund“ hat einige Format-Mutationen hinter sich. Mit Action und Genre-Raffinesse begann die Reihe, wechselnde Gesichter im Ermittlerteam, häufig großes Besteck im Einsatz, horizontale Erzählstränge über mehrere Episoden und das symptomatische Bild – Katharina Wackernagel mit Schutzweste – sind einem in Erinnerung geblieben. Eine Nummer kleiner wirken die Filme nicht erst nach der Besetzungszäsur ab Episode 21. Das muss kein Nachteil sein. Sophie Pfennigstorf ist die Neue: War es anfangs Jule Zabeks instabile Verfassung inklusive Trauma und Dienstaufsichtsbeschwerde, die sie charakterisierten, ist es – nachdem sich die Figur beruhigt hat – nun das Spiel und das Ikonische ihrer Erscheinung, welches sie von anderen Kommissarinnen unterscheidet: eine gewisse Strenge, ein klarer, zunehmend offener, sehr wacher Blick, dem nichts zu entgehen scheint. Hinzu kommt eine physische Präsenz, die durch das Parka-Outfit in der Schimanski-Faber-Linie steht. Der neue Film, der besonders als Drama überzeugt, geht ein bisschen in die Richtung, in die sich der Magdeburger „Polizeiruf 110“ mit Claudia Michelsen in den letzten Jahren entwickelt hat: Krimi-Dramen mit starken Charakteren, reduziert, konzentriert – und nur zwei Ermittelnde. Pfennigstorf ist 35, noch keine Michelsen, aber sie hat großes Potenzial. Eine dramaturgische Herausforderung ist das Ermitteln zu zweit und oft gemeinsam. Außer Thorsten Grams (Claudiu Mark Draghici), der allenfalls mal Observieren darf, gibt es keine fleißigen Lieschen, die im Hintergrund recherchieren, was mitunter zu Sätzen führt wie „Aber wir wissen immer noch viel zu wenig über die Nacht; wir kennen ja noch nicht mal den Tatort“ und wodurch die Handlung anfangs wie an einem Faden, Szene für Szene, aufgezogen wird, anstatt zwischen mehreren parallelen Szenen hin und her zu schneiden.

Durch die Reduktion auf zwei Ermittelnde wird zu schnell das, was die beiden miteinander austauschen, auf die Goldwaage gelegt. Jede Diskrepanz sticht ins Auge. Der Generationenkonflikt wirkt dadurch mitunter etwas zwanghaft. „Ich habe den Eindruck, Sie wollen es ein bisschen zu sehr, dass er es ist“, wirft Hidde ein, der autoritärer als Alexander Helds Kommissar Schaller aus der ZDF-Reihe „München Mord“ mit der jüngeren Kollegin umgeht. „Wir haben eine Aufgabe, da hilft es gar nicht, den Blick für das Wesentliche zu verlieren“, insistiert Hidde. „Ja, ganz genau!“, mosert Zabek und startet einen Alleingang: Sie nimmt Tuchfühlung zu der elternlosen Frau auf, die zwar im gleichen Alter ist wie sie, der aber sofort diese Bullen-Ausfragerei auffällt. Noch fehlt dem Ermitteln der beiden das Selbstverständliche. Doch es ist zu erwarten, dass sie sich annähern werden. So findet denn auch der erfahrene Kommissar zum Schluss ein erstes freundliches Wort für seine junge Kollegin. Der Fall ist zu einer menschlichen Tragödie geworden. Zabek: „Damit kann ich mich nicht so gut abfinden.“ Hidde: „Ich weiß. Das find’ ich gut.“

Stralsund – Der letzte SiegFoto: ZDF / Sandra Hoever
Nachdem Jule Zabek (Sophie Pfennigstorf) den unbekannten Angreifer überwältigt hat, hilft sie Silvana Hildebrandt (Irina Potapenko). Dass ihr die Polizistin möglicherweise das Leben gerettet hat, dankt sie ihr nicht. Wenig später ist sie verschwunden.

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Reihe

ZDF

Mit Sophie Pfennigstorf, Alexander Held, Andreas Anke, Irina Potapenko, Tilo Nest, Daniel Michel, Katrin Pollitt, Gabriele Völsch, Claudiu Mark Draghici, Carla Becker, Andreas Grötzinger

Kamera: Carol Burandt von Kameke

Szenenbild: Benjamin Speiswinkel

Kostüm: Noëmi Lara Streber

Schnitt: Jan von Rimscha

Musik: Oliver Kranz

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera

Drehbuch: Daniel Schwarz, Thomas Schwebel, Jan Paul Bachmann, Lars Henning

Regie: Lars Henning

Quote: 5,39 Mio. Zuschauer (24,9% MA)

EA: 05.04.2025 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 12.04.2025 20:15 Uhr | ZDF

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