Storno – todsicher versichert

Max Riemelt, Jeanette Hain, Amelie Kiefer, Jan Fehse. Kriminelle Energien geweckt

Foto: BR / Barbara Bauriedl
Foto Rainer Tittelbach

Ein verunsicherter junger Mann aus Rügen heuert ausgerechnet als Versicherungsvertreter (und dann auch noch in Niederbayern) an. Dabei ist er selbst der lebende Beweis dafür, wie wichtig es im Leben ist, gut versichert zu sein. Es folgt ein Versicherungsbetrug, der fatale Folgen hat… „Storno – todsicher versichert“, die dritte Regiearbeit von Kameramann Jan Fehse, ist eine tiefschwarze Komödie, an der auch Zuschauer, denen die Filme der Coen-Brüder zu böse und zu blutig sind oder denen das typisch Bayerische eher fremd und unverständlich bleibt, Gefallen finden dürften. Und der Komödienfan, der muss diesen großartig besetzten, dramaturgisch und filmisch präzise erzählten Film einfach lieben.

Sicher versichert – bis in den Tod
Ein junger Mann aus Rügen versucht sein Glück in Niederbayern. Rupert Halmer ist gebrochenen Herzens unter die Versicherungsvertreter gegangen. Die fallen, angetrieben von den martialischen Sprüchen ihres Chefs, wie ein Söldnertrupp über die Landbevölkerung her. Eigentlich ist das gar nicht die Art des eher zurückhaltenden Norddeutschen – aber man muss ja auch an die eigene Zukunft denken. Und außerdem will Rupert vor Wirtstochter Lena nicht als Loser dastehen. Was ist da schon ein kleiner Versicherungsbetrug. Doch das Unheil naht in Form der auf dem verwahrlosten Hof ihres Vaters hängengebliebenen Bäuerin Olivia Poltrock. Was mit einer Lebensversicherung über 100.000 € für einen alten Mann beginnt, der nur noch röchelt und seit Jahren kein Wort mehr spricht, endet in einem einzigen Chaos, bei dem Menschen verschwinden, Autos eine Rolle spielen und die Schweine endlich mal wieder anständig was zu futtern kriegen. Doch das Schicksal, verkleidet als ein süßes, kleines Glücksferkel, meint es am Ende gut – und so kriegt jeder schließlich das, was er verdient.

Storno – todsicher versichertFoto: BR / Barbara Bauriedl
Die helle Seite. Zarte Bande zwischen Rupert Halmer (Max Riemelt), Lena (Amelie Kiefer) und dem anhänglichen Glücksferkel. Wer Tiere liebt, kann kein schlechter Mensch sein!

Der ideale Held für Versicherungen jeder Art
„Storno – todsicher versichert“ beginnt bereits vielversprechend – mit einem Unfall der Hauptfigur. Der knallt mit seinem Auto in den mit Marmeladen bestückten Leiterwagen jener Bäuerin, mit der die richtig unheilvolle Begegnung aber erst noch folgen wird. Sein alter Mercedes, ein Erbstück seines Vaters, fällt langsam auseinander, der TÜV ist abgelaufen und der Dorfbulle verdient sich gern mal was nebenbei. Kein Kuhfladen ist vor Rupert Halmer sicher – und auch sein neuer Chef faltet ihn vor den anderen Versicherungsvertretern erst mal ordentlich zusammen. Dieser verunsicherte junge Mann, der verzweifelt alles richtig machen will und dabei allzu rasch die Orientierung verliert, wäre der ideale Kunde für Versicherungen jeder Art. Und er ist zugleich der lebende Beweis dafür, wie wichtig es im Leben mit seinen Unwägbarkeiten ist, gut versichert zu sein. Max Riemelt spielt in seiner unnachahmlichen Art den sympathischen, etwas unbedarft wirkenden Leisetreter, der es allen recht machen möchte, aber zu spät merkt, dass dies unmöglich ist. In Filmen wie „13 Semester“ oder „Der zweite Mann“ hat er gezeigt, dass er wie kaum ein anderer Schauspieler seiner Generation für diesen Rollen-Typus prädestiniert ist; auch sein Held in „Im Angesicht des Verbrechens“, für den er 2011 den Grimme-Preis bekam, zeigt anfangs Spuren eines naiv Suchenden.

Vom Typenkabinett bis zur Wahnsinnsbäuerin
Eine fremde, seltsame Welt tut sich diesem Rupert Halmer auf. Die Autoren Georg Ludy und Nils-Morten Osburg haben einen dramaturgisch extrem dichten Mikrokosmos geschaffen. „Die gesamten Nebenfiguren werden zum heimlichen Hauptdarsteller“, sagt Regisseur Jan Fehse. Bezogen auf den unsicheren Helden bedeutet das: sie alle verschmelzen quasi zu einem Antagonisten. Der Dorfbulle, eine bestens getimte komische Miniatur von Jürgen Tonkel, bei dem man nie so genau weiß, ob er nun verschlagen oder eher langsam im Kopf ist. Der Wirt mit nur einem Arm und noch sparsamerem Blick (großartig: Alexander Held), der mit dem Kinn den Zapfhahn bedient und dem die Gläser im Minutentakt vom Tresen fallen. Der Versicherungsmann der mittleren Ebene (ideal besetzt: Axel Stein), der sich anhört wie der schlimmste Schleifer beim Bund. Die steinalte Bäuerin (ein Unikat: Erni Mangold), die immer noch Angst hat, „vom Russ’ geholt zu werden“. Oder der Dorfarzt, drei Auftritte für Marcus Mittermeier, die eine „Puntila“-hafte Doppelrolle sind – besoffen und nüchtern. Treten diese Figuren dem Protagonisten anfangs entgegen wie ein absurdes Typenkabinett mit dezenten, eher menschlichen als aufdringlichen Running Gags, einem Typenkabinett, aus dem einzig Lena, das Mädchen für alles im Wirtshaus, dramaturgisch und menschlich heraus sticht, übernimmt in der zweiten Hälfte des Films Bäuerin Olivia die Regie. Die (im Leben) hübsche Jeanette Hain spielt sie mit Warzen und wirrem Blick. Diese Frau ist mehr als nur der Mensch gewordene Wahnsinn, den die Geschichte gern mitnimmt, um „Storno“ die nötige Portion „Fargo“ zu verpassen. Diese Frau ist und bleibt aber ein Rätsel in ihrer bipolaren Struktur – und das ist gut, weil so die Verbindung zum liebenswerten Helden aufrecht erhalten bleibt und Fehses Film nicht zu sehr vom Bösen heimgesucht wird. Hain selbst beschreibt ihre bauernschlaue Olivia so: „Einerseits hat sie eine große Zartheit und Verspieltheit, andererseits ist sie mit den Jahren lieblos, ungeduldig und grob im Umgang mit ihrem Vater geworden.“

Storno – todsicher versichertFoto: BR / Barbara Bauriedl
Chef Schulze (Axel Stein) gibt sich übermütig kumpelhaft. Kein Wunder: einen lukrativen Vertragsabschluss über 100.000 € hält er für so gut wie sicher. Max Riemelt

Jeanette Hain über die (filmische) Welt ihrer sehr seltsamen Figur:
„Das bis ins kleinste Detail durchkomponierte Kostümbild von Theresia Wogh, hat mich, zusammen mit den verfilzten Affenschaukeln, den Warzen und dem Hauch von blauem Lidschatten, den die Maskenbildnerin, Britta Balcke, auf mein Gesicht gezaubert hat, nicht nur äußerlich in Olivia verwandelt, sondern waren auch der Schlüssel zu der knorrig verträumt, verrückt verwilderten Seele der Bäuerin.“

Dichte Dramaturgie, ein Fest der Gewerke, dynamisch der Erzählfluss
„Storno – todsicher versichert“ ist eine schwarze Komödie, in die eine leise angedeutete Liebesgeschichte identifikationsträchtig eingewoben ist und so für ein wenig „Normalität“ sorgt. Nicht nur dem norddeutschen Helden eröffnet diese zarte Annäherung an Lena (klasse: Amelie Kiefer) die nötige Perspektive. So dürften auch die Zuschauer, denen der schwarze Humor der Coen-Brüder beispielsweise zu böse und zu blutig ist oder denen das typisch Bayerische eher fremd und unverständlich bleibt, Gefallen finden an der dritten Regiearbeit von Kameramann Jan Fehse. Dem Mikrokosmos, den das Buch wunderbar entwickelt, haben er und sein Team, insbesondere die Gewerke Szenenbild, Kostüm und Maske, auch szenisch im Detail sehr beeindruckend umgesetzt. Der filmische Eindruck, der Fluss der Geschichte, der ergibt sich dann aus der präzisen, erzählenden Kamera von Philipp Kirsamer („Oh Boy“), einem stimmungsvoll in den Tempi akzentuierten Country Blues und aus der Montage von Max Fey, die gleichsam für Atmosphäre und Dynamik sorgt und jegliche Redundanz vermeidet. Dass Timing für eine Komödie das Maß aller Dinge ist, klingt nach Gemeinplatz – trifft aber natürlich auch auf diesen höchst unterhaltsamen Film zu, der aber noch weitere Geheimnisse in sich birgt und der jeden Komödien-Fan einfach glücklich machen muss.

Storno – todsicher versichertFoto: BR / Barbara Bauriedl
Grandiose Location und ein Szenenbild mit Liebe zum (schrecklich geschmacklosen) Detail: nicht nur in der Gegend scheint die Zeit stillzustehen. Fred Stillkrauth & Jeanette Hain in „Storno – todsicher versichert“ (ARD/BR, 2015)

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Fernsehfilm

BR

Mit Max Riemelt, Jeanette Hain, Amelie Kiefer, Axel Stein, Alexander Held, Fred Stillkrauth, Eisi Gulp, Jürgen Tonkel, David Zimmerschied, Sigi Zimmerschied, Marcus Mittermeier, Erni Mangold

Kamera: Philipp Kirsamer

Szenenbild: Uta Hampel

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Max Fey

Musik: Eddy Coupé, Cowboys on Dope („Another Song About The Weather“)

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Sven Burgemeister, Andreas Schneppe

Drehbuch: Georg Ludy, Nils-Morten Osburg

Regie: Jan Fehse

Quote: 3,81 Mio. Zuschauer (12,7% MA)

EA: 20.05.2015 20:15 Uhr | ARD

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