Stärke 6

Claudia Michelsen, Aleardi, Kaufmann, Sabine Boss. Eine Deutsche rettet, was zu retten ist

Foto: SRF /SWR / Nikkol Roth
Foto Rainer Tittelbach

Eine Detonation im Flachbereich des Vierwaldstättersees hat einen Seismologen getötet. Seine (Lebens-)Partnerin, eine Geologin, erwartet eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Könnte die tonnenweise im See bis in die 1960er Jahre hinein versenkte Kriegsmunition Auslöser der tödlichen Druckwelle sein? Das spannende Umweltdrama „Stärke 6“ baut auf eine reizvolle Ausgangsidee, auf telegene See-Locations und mit Michelsen auf eine Hauptdarstellerin, die die dramaturgischen Unzulänglichkeiten zu überspielen in der Lage ist. Die Inszenierung von Sabine Boss hält unaufgeregt die Waage zwischen Arthaus-Ästhetik und TV-Dramatik.

Die deutsche Geologin Maria Graf wollte mit ihrem Freund in seiner Schweizer Heimat am Vierwaldstättersee die Arbeit, ein Auftrag des Eidgenössischen Erdbebendienstes, mit einem Familienbesuch verbinden – doch von einer Sekunde zur nächsten steht ihre gesamte Existenz auf dem Spiel. Ihr Freund, ein Seismologe, kommt bei ersten Untersuchungen ums Leben. Eine plötzlich auftretende Druckwelle muss ihm beim Tauchgang die Lunge zerrissen haben. So jedenfalls erklärt sich Maria den tragischen Todesfall. Die Polizei und das Schweizer Militär, das allmächtig über den See wacht, sehen das allerdings völlig anders – und so könnte die renommierte Geologin bald eine Anklage wegen Todschlags oder zumindest fahrlässiger Tötung am Hals haben. Derweil lässt Maria nichts unversucht, den Ursachen für die mysteriöse Detonation im Flachbereich des Sees auf den Grund zu kommen. Könnte vielleicht die tonnenweise im See bis in die 1960er Jahre hinein versenkte Kriegsmunition Auslöser der tödlichen Druckwelle sein? Ausgerechnet der Kommandant der Schweizer Armee, der anfangs als Belastungszeuge auftritt, schlägt sich nach längerem Zögern auf Marias Seite.

In den Schweizer Seen lagern über 8000 Tonnen Munition, verschüttet und vergessen, auf dem Seegrund. Noch 20 Jahre nach Kriegsende wurde die Kriegslast auf diese Weise „günstig“ entsorgt. Das Thema als Ausgangspunkt für ein persönliches Drama zu nutzen, ist eine vielversprechende Idee. Die Schweizer Behörden kommen 2012 zu dem Schluss, „dass die Seen durch die Munitionsablagerungen nicht belastet werden und selbstständige Detonationen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können“, heißt es im Abspann des Fernsehfilms „Stärke 6“ von Sabine Boss („Tatort – Hanglage mit Aussicht“) nach dem Buch von Claudia Kaufmann („Tödliche Versuchung“). Weiter heißt es: „Eine Bergung wäre zu teuer und für Mensch und Umwelt zu risikoreich.“ Selbstredend ist auch das im Film behauptete Munitionsdepot in Ufernähe am Urner See frei erfunden. Auch wenn der Film durch den Schlusstitel – was die Brisanz des Themas angeht – ein bisschen zurückrudert, ein reizvolles Sujet bieten diese Tauchgänge mit Eidgenossen-Kritik allemal.

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Das Schweizer Militär wacht allmächtig über den See und seine „Schätze“. Das bekommt die deutsche Geologin Maria (Michelsen) hautnah zu spüren. Regisseurin Sabine Boss setzt auf eine Landschaft, die die Befindlichkeit der Heldin spiegelt.

Übersehen lässt sich allerdings nicht, dass die Geschichte durch ein Bündel an Zufällen in Gang gesetzt wird. Hier ein unglückliches Hantieren mit der Pressluftflasche, dort ein missverständliches Gerangel und ein folgenschwerer Allein(tauch)gang – der See liegt still und schweiget, aber die Dramaturgie ächzt umso lauter. Nicht viel komplexer als die geologischen Detonationen sind auch die menschlichen Eruptionen geraten – und auch der beliebte Antipathie-ersetzt-Sympathie-Zyklus, wie er oft und gern in Bedrohungs- oder Verschwörungsszenarien konventioneller Genrefilme Verwendung findet, ist arg nach Schema F getaktet. Subtext und Leerstellen kennt die Erzählung kaum, die sich ihren linearen Weg durch die Wortwörtlichkeit ihrer Konflikte bahnt. Die renommierte Münchner Autorin musste sich hier offenbar auf die (etwas umständliche) Art des Schweizer Erzählens einlassen. Dramaturgischer Lichtblick: nach 50 Minuten werden ultimativ die Fronten geklärt – und die Handlung erfährt nicht länger ihre Spannungsmomente von einer halbherzigen Rätselstruktur.

Der Film insgesamt läuft ein bisschen untertourig. Das entspricht ganz der schweizerischen Naturlandschaft, die ja ein eher bedächtiges Tempo vorgibt. Die Inszenierung, die unaufgeregt die Waage hält zwischen getragener Arthaus-Tonlage mit Atmosphäre ohne alpenländliche Schönfärbe-Ästhetik und etwas unbedarft wirkender 90er-Jahre-Fernsehspiel-Dramatik, ist ähnlich gewöhnungsbedürftig wie das Spiel der meisten eidgenössischen Schauspieler. Hat man aber erst die deutschen Krimidrama-Sehgewohnheiten abgestreift, entfalten Schauspieler wie Andreas Matti als mächtiger Kommisskopf oder besonders Pierre Siegenthaler als einsilbiger Bulle einen speziellen Genre-Charme. Bleibt das stärkste Pro-Argument für „Stärke 6“: Hauptdarstellerin Claudia Michelsen. Die Grimme-Preisträgerin 2013 & 2014 veredelt die psychologisch etwas eindimensionale Dramaturgie mit wohlgesetzten Zwischentönen und einer Menge Physis. Heftet man sich als Zuschauer ganz an ihre Fersen, folgt man ihr in die Tiefen des Urner Sees, einem Teil des Vierwaldstätter Sees, und begibt sich auf die Wutspur, mit der der Film zeitweise einige Stiernacken-Machos belegt, kann man sich „Stärke 6“ vor allem in der spannenderen zweiten Hälfte schwerlich entziehen. (Text-Stand: 24.7.2014)

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Fernsehfilm

SRF, SWR

Mit Claudia Michelsen, Pasquale Aleardi, Andreas Matti, Pierre Siegenthaler, Jessy Moravec, Irene Fritschi, Robert Hunger-Bühler

Kamera: Roland Schmid

Szenenbild: Marion Schramm

Schnitt: Stefan Kälin

Produktionsfirma: T&C Film, cut.it film

Produktion: Uli Aselmann

Drehbuch: Claudia Kaufmann – Mitarbeit: Urs Bühler

Regie: Sabine Boss

EA: 20.08.2014 20:15 Uhr | ARD

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