Grausig ragt eine Hand aus dem Moor. Experten legen einen ganzen Körper frei. Die mumifizierte Leiche geht nach Berlin, wo das Antlitz des Toten rekonstruiert wird. Dass die Fotos wenig später vom verantwortlichen Arzt für plastische Unfallchirurgie höchstpersönlich in den Spreewald gebracht werden, hat seinen guten Grund: Der Tote ist ein Freund aus Abiturzeiten – von dem es hieß, er sei in den Westen getürmt und habe dafür seine Freunde an die Staatssicherheit verraten. Jetzt kommen Zweifel auf, denn der junge Mann war offenbar im Augenblick des Verrats bereits tot. Jemand anderes muss die Abiturienten, die damals vom goldenen Westen träumten, bei der Stasi „hingehängt“ haben. Die Frage nach der moralischen Schuld treibt die einst Beteiligten um, juristisch heißt es aber vor allem, Licht ins Dunkel eines mysteriösen Mordfalls zu bringen.
In fremde, seltsame Welten einzudringen bleibt in der Regel dem Kino vorbehalten. In „Das Geheimnis im Moor“ gelingt es dem Autor Thomas Kirchner („Mord am Meer“) und dem Regisseur Kai Wessel, die Grundstimmung einer Landschaft und das Eintauchen in eine undurchsichtige Vergangenheit zu einer ikonografischen Einheit zu verschmelzen. Das Rätselhafte steckt in jedem Bild, ohne dass der Film auf eine prätentiöse Weise verrätselt wäre. Denn formal herrscht Klarheit in diesem höchst bizarren Mikrokosmos: Einer von der banalen Alltäglichkeit entkernten Sprache steht ein meisterlich reduziertes Spiel gegenüber, das zwischen magischer Poesie und wuchtigem Realismus pendelt. „Der Spreewald ist eine wunderbare Kulisse für einen Krimi, der mehr erzählen will als das bloße Aufklären eines Mordes oder Totschlags“, bringt es Wessel auf den Punkt. Und er zeigt die Parallele zwischen menschlichen Lebenswegen und der Natur in einem stimmigen Bild: „Wasser, in fast 1000 Kilometer verzweigt, verästelt, verwirrend, immer in Bewegung, immer neues, und immer in den gleichen Bahnen.“ Oder auch nicht.
„Das Geheimnis im Moor“ erzählt von Brüchen im Lebensweg, von Verletzungen, von nicht verheilten Wunden. Präsentiert wird das dem Zuschauer quasi als ästhetisches Gegenbild: als ein Film aus einem Guss. Bei diesem Freundschafts- und Familiendrama aus dem Spreewald sind wirklich die Besten der Besten am Werk – und sie alle, ob Autor Kirchner oder Grimme-Preisträger Wessel, ob Kameramann Holly Fink oder Cutterin Tina Freitag, sie alle erzählen in ihrer Kunst und „Sprache“ etwas, was sich zu erzählen und zu betrachten lohnt.
Bei einem Film, der getragen ist vom Mut zur Langsamkeit, kommt den Schauspielern eine besondere Aufmerksamkeit zu. Da muss das Timing, muss jede Pause stimmen, muss jeder Blick die richtige Intensität besitzen, sonst kippt eine solche Tonlage schnell ins Bedeutungsschwangere. Wen nennen aus der langen Liste der Ausnahmeschauspieler, die hier alle ausnehmend gut sind? Natürlich den Hauptdarsteller: Sebastian Blomberg, der liefert, von Scham bis Wut, eine breite Gefühlspalette. Gut wie immer: Anna Loos, Claudia Geisler und Christian Redl. Besonders eine aber muss hervorgehoben werden, Angela Winkler „auratisch verschleiert“, die der „Spiegel“ nach der Premiere auf dem Münchner Filmfest zu Recht als „das wirkliche Wunder“ dieses Films bezeichnete.