Solo für Weiss – Die Wahrheit hat viele Gesichter

Mühe, Krauter, Jordan, Thomas Berger. Die LKA-Ermittlerin hat noch Potenzial

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Tilmann P. Gangloff

Auch „Solo für Weiss – Die Wahrheit hat viele Gesichter“ (ZDF), der zweite Film mit Anna Maria Mühe als LKA-Ermittlerin, ist ein klasse Krimi mit vielen überraschenden Wendungen, zumal sich der neue Fall schließlich als Fortsetzung entpuppt: Nora Weiss sucht immer noch nach den Hintermännern der Kindesentführungen, muss sich aber zunächst um einen Mordfall kümmern. Regisseur Thomas Berger hält die Spannung auf hohem Niveau und sorgt mit dem dramatischen Finale für einen würdigen Abschluss der komplexen Geschichte.

Das ZDF will erst mal abwarten, wie gut die beiden Filme mit Anna Maria Mühe beim Publikum ankommen, bevor es entscheidet, ob „Solo für Weiss“ fortgesetzt wird. Das wäre zu wünschen; die Hauptfigur hat noch viel Potenzial. Selbst wenn der Typus der eigenbrötlerischen Ermittlerin mit Nora Weiss nicht neu erfunden worden ist: Allein der Kontrast zwischen dem oft brüsken Auftreten der schleswig-holsteinischen Zielfahnderin vom LKA und dem engelsgleichen Gesicht der Schauspielerin ist enorm reizvoll. Wenn das „Zweite“ seine Tradition langlaufender Samstagskrimireihen fortführen möchte, böte sich „Solo für Weiss“ als Nachfolge für „Bella Block“ & „Unter Verdacht“ an, vorausgesetzt, die Bücher sind so gut wie die ersten beiden über die Suche nach verschleppten jungen Mädchen.

„Die Wahrheit hat viele Gesichter“ (dieses Mal geschrieben von Sören Hüper, Christian Prettin, Mathias Klaschka) beginnt zunächst jedoch mit einem scheinbar neuen Fall: In einem Auto, das mit hupender Alarmanlage vor ihren Haus steht, findet Nora Weiss einen Toten. Der Mann war Besitzer eines Busunternehmens und hatte kurz zuvor einige Mitarbeiter entlassen. Ein Fahrer (Rainer Piwek) war offenbar besonders erzürnt. Kurz drauf liegt der Mann tot in seiner Badewanne, der mutmaßliche Suizid wirkt wie ein Geständnis. Warum Weiss auch diesmal wieder mit Simon Brandt (Jan Krauter) von der Lübecker Mordkommission, zusammenarbeitet, wird nicht ganz klar, denn der Mord an dem Busunternehmer fällt gar nicht in ihre Zuständigkeit. Aber das Ermittlerduo wäre ohnehin wieder zusammengekommen, denn das Drehbuch verknüpft den zweiten Fall auf raffinierte Weise mit dem ersten, bei dem die vor geraumer Zeit verschwundene junge Lisa offenbar in die Fänge einer Organisation für Kinderprostitution geraten war. Die Ermittlungen konnten nicht abgeschlossen werden, weil Noras Chef Jan Geissler (Peter Jordan) die mutmaßlichen Kidnapper bei der versuchten Festnahme ohne Not erschossen hatte. Für Brandt und Weiss war damit klar, dass Geissler auf der Lohnliste der Organisation stehen muss. Die Ereignisse werden geschickt als Rückblende in ein Dreiergespräch zwischen Nora, Geissler und dem gemeinsamen Vorgesetzen integriert. Dabei erfährt sie, dass die beiden Todesfälle bloß inszeniert waren; die Männer sollen als Kronzeugen dienen. Nora muss jedoch eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben und darf Brandt daher nicht informieren. Sie hat ohnehin Anlass, ihm zu misstrauen: Offenbar hat der spielsüchtige Kollege 25.000 Euro unterschlagen, die ein Einbrecher in der Wohnung des Busunternehmers stehlen wollte. Der Dieb entpuppt sich als unehelicher Sohn des Mordopfers; nun schließt sich überraschend der Kreis zum ersten Film.

Solo für Weiss – Die Wahrheit hat viele Gesichter
Im zweiten Film der Krimi-Reihe „Solo für Weiss“ geben sich populäre ZDF-Gesichter die Ehre: u.a. Marcus Mittermeier („München Mord“) und Anja Kling, die Frau für alle Rollen.

Die Qualität des Drehbuchs besteht nicht zuletzt in dieser verblüffenden Wendung: Über weite Strecken hat das Autorentrio geschickt kaschiert, dass Teil zwei keineswegs dem derzeit üblichen Krimimuster folgt, wonach ein horizontaler Erzählstrang mit einem eigenständigen Fall verknüpft wird; in Wirklichkeit ist der Film eine Fortsetzung. Den entsprechenden Hinweis gibt Thomas Berger gleich zu Beginn, als Nora auf ihrem Schreibtisch eine Matjroschka findet, eine dieser eiförmigen ineinander geschachtelten russischen Holzpuppen, ergänzt um einen Zettel von Geissler, auf dessen Botschaft sich der Titel bezieht: „Die Wahrheit hat viele Gesichter“; auch der Film erzählt eine Geschichte in der Geschichte. Die Notiz ändert aber nichts an Noras Misstrauen, das sich durch den ganzen Film zieht. Brandts mutmaßliche Unterschlagung hat zur Folge, dass sie den beiden Männern, mit denen sie eng zusammenarbeitet, nicht mehr vertrauen kann; selbst wenn es in Noras Haus nach Ohrfeigen zum Sex mit ihrem Chef kommt. Die Szene beschert Noras Vater (Bock) den süffisantesten Dialogsatz des Films: „Grüßen Sie mir Ihre Frau“, wirft er Geissler zum Abschied hinterher.

Spätestens mit dem zweiten Film empfiehlt sich auch die Kombination Weiss/Brandt für eine weitere Kooperation. Obwohl Jan Krauter, der als Sohn der Titelfigur in „Grzimek“ einen guten Eindruck hinterlassen hat, etwas älter als Mühe ist, wirkt sein Kommissar weniger erfahren, zumal Simon Brandt eindeutig nicht in der Liga von Nora Weiss spielt. Dieses berufliche Gefälle ist im zweiten Teil etwas nivelliert worden, sodass Brandt an Format gewinnt. Allerdings gehört es auch zum Reiz des Films, wie Nora verhindert, dass es zur Augenhöhe kommt, denn sie lässt den Kollegen nach wie vor regelmäßig ins Leere laufen. Fragen, die sich nicht direkt auf den Fall beziehen, ignoriert sie einfach, und wenn er sich mal einen Scherz erlaubt, antwortet sie mit unbewegter Miene: „nicht lustig“. Das klingt als Figurenentwurf zwar etwas schlicht, funktioniert aber, weil Anna Maria Mühe die Vorgabe konsequent umsetzt. Zwei emotionale Szenen gönnt das Drehbuch Nora aber doch: Als sie zu Beginn von Geisslers Scharade erfährt, ist sie stinksauer, weil sie nicht eingeweiht worden ist; und gegen Ende kann endlich die ganze Anspannung von ihr abfallen.

Auch wenn Berger „Die Wahrheit hat viele Gesichter“ durchgehend fesselnd inszeniert hat und schließlich für ein dramatisches Finale sorgt, so gibt es doch einige filmische Versatzstücke. Das beginnt schon mit der ersten Einstellung, einem gerade in ZDF-Krimis beliebtem Kameraflug übers Wasser. Wenn Nora mit dem Auto unterwegs ist, was ziemlich oft der Fall ist, zeigt die Kamera sie immer wieder aus derselben Perspektive vom Beifahrersitz. Ebenso häufig gibt es eine Einstellung, in der die Kommissarin energischen Schritts vor der Kamera herstapft. Zum Ausgleich verblüfft Berger mit zwei Gastrollen: Den Vorgesetzten der beiden LKA-Beamten spielt eine kurze Szene lang Hannes Hellmann (am besten bekannt durch seine Rolle als Chef von Jenny Berlin in der ZDF-Krimireihe „Einsatz in Hamburg“), und die depressive Witwe des Mordopfers wird von Anja Kling verkörpert, die zwar öfter auftaucht, aber nicht viel zu sagen hat. Eine interessante Rolle hat auch Marcus Mittermaier als Schwager des Busunternehmers, dessen joviale Fassade finstere Machenschaften verbirgt. In der Auseinandersetzung mit dem Mann greift Nora zu einer Maßnahme, die derart illegal ist, dass sich die Frage nach weiteren Filmen womöglich erledigt. (Text-Stand: 20.10.2016)

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Reihe

ZDF

Mit Anna Maria Mühe, Jan Krauter, Rainer Bock, Peter Jordan, Marcus Mittermaier, Steffi Kühnert, Bernhard Schütz, Natalia Rudziewicz, Grace Serrano-Zameza, Aaron Karl, Emilio Moutaoukkil, Rainer Piwek, Anja Kling, Hannes Hellmann

Kamera: Frank Küpper

Szenenbild: Benedikt Herforth

Kostüm: Natascha Curtius-Noss

Schnitt: Lucas Seeberger

Musik: Florian Tessloff

Produktionsfirma: Network Movie

Drehbuch: Sören Hüper, Christian Prettin, Mathias Klaschka

Regie: Thomas Berger

Quote: 6,41 Mio. Zuschauer (19,8% MA); Wh. (2018): 4,36 Mio. (16,7% MA)

EA: 09.11.2023 20:15 Uhr | ZDF

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