Im Januar 2014 zeigte das Erste eine „Tatort“-Premiere entgegen der üblichen programmgestalterischen Praxis erst um 22 Uhr. Die Episode „Franziska“ erschien den Verantwortlichen für ein Publikum unter 16 Jahren und damit für eine frühere Ausstrahlung nicht geeignet. Der Beitrag zur Reihe hatte eine Geiselnahme in einem Gefängnis zum Thema. Das Opfer war Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt), eine wiederkehrende Figur in den „Tatort“-Folgen mit Schauplatz Köln. Dass die Figur nicht überlebt, dürfte zur damaligen Einschätzung der Jugendschützer beigetragen haben. Der Vergleich mit jenem öffentlich heiß diskutierten „Tatort“-Beitrag drängt sich auf – auch im Kriminaldrama „Sieben Stunden“ nimmt eine Geiselnahme in einer Haftanstalt zentralen Raum ein. Die Sozialtherapeutin Hanna Rautenberg (Bibiana Beglau) wird von dem Straftäter Peter Petrowski (Till Firit) gefesselt, geknebelt, herabgewürdigt, mehrfach vergewaltigt. Sieben Stunden lang hält er sie in seiner Gewalt. Draußen steht eine komplette Sondereinheit, greift aber nicht ein. Rautenberg hatte den psychisch gestörten Sexualstraftäter und Mörder Peter Petrowski seit vier Jahren betreut und ihm gerade erst eine positive Entwicklung attestiert. Ihr Kollege Ulrich Riedel (Norman Hacker), der telefonisch mit Petrowski verhandelt, hält das einsatzbereite SEK in Schach, weil er der Meinung ist, Rautenberg habe ihren Patienten unter Kontrolle. Ein tragischer Irrtum.
Foto: BR / Barbara Bauriedl
Hanna Rautenberg trägt ein schweres Trauma davon. Ihrer Arbeit kann sie nicht länger nachgehen, das Verhältnis zu ihrem Verlobten Stephan (Thomas Loibl) nimmt nachhaltig Schaden. Sosehr er sich auch um Sensibilität bemüht – ein falscher Ton, eine missverständliche Frage, und sie braust auf, weist ihn zurück, stellt seine Liebe infrage. Die Hochzeit findet dennoch statt. Bei der Feier sind Freunde und Kollegen anwesend, Rautenbergs Mutter macht eine taktlose Bemerkung. Die Situation kann jederzeit eskalieren. Die erzählerische Qualität „Spannung“ bekommt in der BR-Produktion „Sieben Stunden“ eine andere als die gewohnte Bedeutung. Die Unwägbarkeiten und Fragestellungen des konventionellen Krimis klingen auch hier an, seine Wirkung aber bezieht der Film über seine psychologischen Implikationen. Dies umso mehr, als die Handlung auf Tatsachen beruht. Die Autoren Christian Görlitz (Grimme-Preis für „Freier Fall“, 1997) , auch Regie, und Pim G. Richter verfassten das Skript frei nach dem Buch „Sieben Stunden“ von Susanne Preusker. Einem biografischen Buch. Die ehemalige Gefängnispsychologin hatte das skizzierte Märtyrium erlebt und offen darüber Auskunft gegeben. Sie wollte kein schweigendes Opfer sein, sich nicht wegducken. Sie wurde Schriftstellerin, schrieb im Weiteren Ratgeber und Krimis. Im Februar 2018 entschied sie sich, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
„Sieben Stunden“ wird damit zu einem Vermächtnis, zu einem filmischen Mahnmal. Auch die Filmfigur Hanna Rautenberg bäumt sich gegen die Opferrolle auf: „Als Opfer ist man das Letzte.“ In der ersten Zeit nach der Tat sieht sie im Geiste immer wieder ihren Peiniger vor sich, mit dem Messer in der Küche, aus der Tiefgarage auf sie zu kommend. Beim Schwimmen glaubt sie, von Petrowski in die Tiefe gezogen zu werden. Sie wolle wieder leben, sagt Rautenberg. „Ich kann nichts mehr. Ich kann nicht mal mehr mit meinem Mann schlafen.“ Eine einfühlsame, aber mit der nötigen Robustheit ausgestattete Psychotherapeutin (Imogen Kogge) hilft ihr, ihre Panikattacken zu überwinden. Und mehr noch: Rautenberg geht in die Offensive, stellt sich ihren Ängsten, tritt Petrowski sogar im Gerichtssaal gegenüber. Es scheint, als habe sie wieder Mut gefasst. In diesem Punkt straft die Wirklichkeit den Film Lügen. Das ist dessen Schöpfern nicht anzulasten.
Foto: BR / Barbara Bauriedl
Regisseur Görlitz gelingt es, den psychisch kranken Straftäter angemessen bedrohlich in Szene zu setzen, ohne ihn in billiger Psychothriller-Manier allein über seine Gewalttaten zu definieren und so zum Monstrum zu stilisieren. Überzeugend auch seine Lösung für die wohl schwierigste Aufgabe: Wie ein Sexualdelikt darstellen, ohne den Voyeurismus zu bedienen? Görlitz löst das Problem, indem er die entsprechende Sequenz diskontinierlich zerlegt, zu den bangenden Kollegen und wartenden Polizisten schneidet, ferner in kurzen Einschüben vorausblickt zum späteren Gerichtsverfahren, zur Anklage-Erhebung. Der Richter trägt vor, was die Kamera nicht zeigen kann. Nicht zeigen sollte. Der Wirkung tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Das Publikum sieht die gebrochene Frau, die Wunden an ihrem Körper, auch die seelischen Verheerungen. Wie sie nach der Befreiung in den Gefängniskorridor wankt und wild um sich schlägt, als einer der SEK-Polizisten sie stützen will.
Eine solche Rolle stellt eine unerhörte Herausforderung dar. Sie verlangt nach einer Schauspielerin, die bereit ist, sich auf Extreme einzulassen, die außerordentlichen Mut besitzt. Fast zwangsläufig kommt man auf den Namen Bibiana Beglau, die in ihrer Figur aufgeht und damit ein weiteres Mal eine intensive schauspielerische Leistung liefert, wie sie selten ist im deutschen – man darf wohl sagen: im internationalen – Fernsehen. Bei allem Lob sollte aber nicht vergessen werden: Dieser Film verlangt ein starkes Gemüt. (Text-Stand: 12.8.2018)