Es war offenbar der tückische Sekundenschlaf, der Schicksal spielte und die dramatische Handlung des Fernsehfilms „Schuld und Rache“ bestimmt. Ein kurzer Aussetzer und das Leben von drei Menschen nimmt einen völlig unerwarteten Verlauf. Gerade noch stand das Trennungsgespräch eines Ehepaars im Raum – ein nächtlicher Unfall der beiden, bei dem der betrunkene Ehemann Max eine Frau anfährt, schweißt sie vorübergehend wieder enger zusammen. Beide wollen die Fassade aufrechterhalten, beide wollen ihre Ehe retten. Doch sie haben die Rechnung ohne die Steuerberaterin Tina gemacht, das Opfer, das sich nicht auf die Polizei verlässt, sondern selbst nach dem Täter sucht. Sie will ihm in die Augen schauen, will wissen, was das für ein Mensch ist, der sie am Straßenrand hat liegen lassen.
Und die von Lisa Martinek gespielte Frau, die durch den Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist, kommt dem Ehepaar schnell auf die Spur. Sie hält die Ehefrau Corinna für die Person am Steuer. Dem Ehemann traut sie nicht einmal zu, dass er von dem nächtlichen Unfall mit Fahrerflucht weiß. Bei ihm, dem Mitbesitzer einer Zwei-Mann-Schreinerei, lässt sie sich Regale für ihr Büro bauen. Beide finden sich sympathisch, Max scheint sogar tiefere Gefühle für Tina zu hegen, überträgt ihr seine Steuergeschäfte, um so möglichst viel mit ihr zusammen zu sein. Die zunehmende Vertrautheit zwischen den beiden und die Schuldgefühle, die Max plagen, führen dazu, dass er Tina von seiner Unfallgeschichte erzählt.
Foto: ZDF / Erika Hauri
„Schuld und Rache“ handelt nur vordergründig von einem Verkehrsunfall. Detlef Michel legt vielmehr der Geschichte einen Beziehungsunfall zugrunde. „Für Max und Corinna wird dieser Unfall zur Metapher des eigenen Lebens, ihrer angeschlagenen Beziehung“, so Michel. Der Autor macht bei allen Hauptfiguren deutlich, wie schnell der Selbsterhaltungstrieb in Selbstzerstörung umschlagen kann. Und Michel moralisiert nicht. Er zeigt, wie „natürlich“ Gewaltphantasien und Rachepläne sein können. „Spannend wird es aber erst in dem Moment“, so der Autor, „wo man sich rächen könnte, aber begreifen muss, dass man sich in seinem Hass ein falsches Bild von dem Täter gemacht hat.“ Der Film relativiert menschliches Verhalten, relativiert Gefühle, ohne den Konflikt und die Tragik des Opfers klein zu reden.
„Schuld und Rache“ ist kein gnadenloses Emotionsstück, kein brachiales TV-Movie. Das Rache-Motiv ist zwar Antrieb, verflüchtigt sich aber. Mit Martin Enlen fand das ZDF den richtigen Regisseur für diesen Konsens-Stoff. Der Mann, der wie kaum ein anderer starke Frauenfiguren zu inszenieren weiß, kann bei diesem konzentrierten Kammerspiel seine Stärken ausspielen. Der Wahlmünchner lässt Bilder erzählen und Gesichter sprechen. Katharina Böhms und Lisa Martineks Figuren geben den Ton an, dem großartigen Justus von Dohnányi als ewiger Leisetreter und verkörpertes schlechtes Gewissen, bleibt da nicht viel mehr als zwischen den beiden Frauen hin und her zu trotteln, wunderbar eingefangen im Schlussbild dieses fesselnden TV-Dramas. (Text-Stand: 12.12.2007)