Schneller als die Angst

Becht, Klare, Letkowski, Arriens/Wilke, Baxmeyer. Die Dunkelheit hinter dem Licht

05.02.2025 23:30 SWR Folgen 1+2
12.02.2025 23:30 SWR Folgen 3+4
Foto: MDR / Degeto / Stephan Rabold
Foto Tilmann P. Gangloff

Sechsteilige Serien sind oft eine Episode zu lang, aber für „Schneller als die Angst“ (Degeto, MDR / Rowboat) gilt das nicht. Friederike Becht spielt eine Magdeburger LKA-Fahnderin, die bei der Jagd auf einen Frauenmörder mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert wird: Kurz zuvor ist sie vergewaltigt worden. Nun projiziert sie ihre Wut auf den Serienkiller. Als sie herausfindet, dass der Vergewaltiger mutmaßlich ein Kollege war und der Mörder einen Spitzel in der Abteilung hat, kann sie niemandem mehr trauen. Die Serie ist ausgezeichnet gespielt und preiswürdig fotografiert (Regie: Florian Baxmeyer), lebt aber vor allem vom ständigen Rollentausch zwischen der Jägerin und ihrer Beute, zumal in der ohnehin komplexen Handlung auch die weiteren Charaktere unerwartete Seiten offenbaren. Mindestens so sehenswert wie Becht ist Felix Klare als ihr charismatischer Gegenspieler.

„Wir sind doch eine Familie“, heißt es in Polizeifilmen gern, aber selbstredend ist das suggerierte Gefühl von Sicherheit und Solidarität trügerisch; die schlimmsten Verbrechen werden schließlich innerhalb von Familien begangen. Tatsächlich hat die junge Magdeburger LKA-Fahnderin Sonja Becker, genannt Sunny (Friederike Becht), allen Grund dazu, sämtlichen Mitgliedern ihrer Abteilung zu misstrauen, aber das kann sie zunächst noch nicht ahnen. Dass sie neben der Spur ist, hat einen anderen Grund: Nach einer Party ist sie in ihrer Wohnung vergewaltigt worden. Der maskierte Täter hat ihr K.O.-Tropfen verabreicht, weshalb sie sich nur bruchstückhaft an das Verbrechen erinnern kann. Beim nächsten Einsatz haben ihre Nerven versagt, eine Kollegin ist deshalb in große Gefahr geraten. Anschließend hat sie eine Lungenentzündung vorgetäuscht und sich eine Auszeit genommen. Nach ihrer Rückkehr will sie dort weitermachen, wo sie vor der Party aufgehört hat, aber das funktioniert nicht, zumal ihrem Chef (Thomas Loibl), nicht verborgen bleibt, dass mit seiner besten Frau etwas nicht stimmt. Als ein dutzendfacher Frauenmörder aus dem Gefängnis ausbricht, überträgt Keller die Einsatzleitung nicht Sunny, sondern Markus Fechner (Christoph Letkowski).

Schneller als die AngstFoto: MDR / Degeto / Stephan Rabold
LKA-Abteilungsleiter Keller (Thomas Loibl) überträgt die Einsatzleitung Markus Fechner (Christoph Letkowski). Sunny soll erst mal die Vergewaltigung verdauen.

Clever verteilen die Drehbücher dieser auch über die Dauer von 270 Minuten jederzeit fesselnden, äußerst handlungs- wie wendungsreichen und immer wieder überraschenden Miniserie die Spannung fortan auf zwei Ebenen: hier das Beziehungsgeflecht innerhalb des Teams, dort die Jagd auf den Serienkiller, die sich schon bald zu einem Katz-und-Maus-Spiel zuspitzt, als der Mörder, André Haffner (Felix Klare), in Sunny eine ebenbürtige Gegnerin erkennt. Die Polizistin wiederum ist völlig auf sich allein gestellt, und das nicht nur, weil der bornierte Fechner hartnäckig die falsche Spur verfolgt, anstatt auf ihren Instinkt zu hören: Sie findet heraus, dass der Vergewaltiger ein Kollege sein muss. Außerdem ist Haffner der Polizei stets einen Schritt voraus, und dafür kann es nur eine Erklärung geben: Jemand aus der Abteilung muss ihn mit Informationen versorgen.

Inhaltlich liegt der Reiz der Geschichte neben dem Erzählmuster „Allein gegen alle“ vor allem in der Ambivalenz der beiden Hauptfiguren: Sunny ist gleichzeitig Jägerin und Opfer, wie ultrakurze Rückblenden immer wieder ins Gedächtnis rufen. Sie versucht zwar, auch weiterhin ihrem draufgängerischen Image gerecht zu werden, hat aber regelmäßig Panikattacken. Friederike Becht ist in beiden Facetten glaubwürdig: hier die drahtige Polizistin, die sich erfolgreich in einer Männerwelt behauptet, dort die zutiefst verletzte und entsprechend fragile Frau, die ihre Wut auf den Mörder projiziert. Felix Klares Rolle ist sogar noch vielschichtiger. Natürlich ist Haffner ein Narzisst, aber eben auch ein begnadeter Manipulator, der den Menschen „in den Kopf kriecht“, wie es heißt. Er wählt mit Vorliebe selbstbewusste Frauen aus, die er mit seinem Charme um den Finger wickelt. Der Darsteller musste also ein Mann sein, der nicht bloß attraktiv ist, sondern auch die nötige Ausstrahlung hat. Entsprechend klug war die Entscheidung, ihn von einem Sympathieträger mit freundlichen Lachfältchen um die Augen verkörpern zu lassen. Klare hat solche „Doppelrollen“ bereits gespielt, etwa in dem Drama „Zweimal lebenslänglich“ (2015) als mutmaßlicher Mörder, aber der Rahmen einer Serie bietet natürlich ganz andere Möglichkeiten, die Untiefen einer Figur auszuloten.

Schneller als die AngstFoto: MDR / Degeto / Stephan Rabold
Ein starkes Doppel. Der Gejagte und die Jägerin: Serienmörder André Haffner (Felix Klare, der auch als Böser überzeugt) überrumpelt Fahnderin Sunny Becker (Friederike Becht).

Wenn Haffner gegen Ende aus dem Stegreif auf Französisch aus Baudelaires „Die Blumen des Bösen“ zitiert, wirkt das nicht etwa prahlerisch, sondern einfach belesen; und natürlich ist die hübsche Studentin ähnlich beeindruckt von diesem faszinierenden Mann wie die anderen Frauen, die er im Verlauf der Geschichte mühelos um den Finger gewickelt hat. Fast noch grausiger und daher auch eindrücklicher als die beiläufig ausgeführten Morde sind daher die seelischen Abgründe, die der Serienmörder immer wieder offenbart: wenn sich herausstellt, dass ein Anhänger, den er seiner Mutter mit 16 geschenkt hat, von seinem ersten Opfer stammt; oder wenn er beschreibt, wie er es genießt, wenn er in den Augen seiner Opfer erst Verlangen, dann Panik und schließlich die Dunkelheit hinter dem Licht erblickt. Eine vergleichbare Ambiguität prägt das Miteinander der Polizistin und des Mörders: Gleich zu Beginn, als Sunny ahnt, dass Haffner keineswegs das Weite gesucht hat, sondern sich im Gegenteil noch ganz in der Nähe aufhält, läuft sie ihm prompt in die Arme, aber er tötet sie nicht. Die Jägerin und ihre Beute werden ihre Rollen noch häufiger tauschen. In dieser Hinsicht hat das Krimiserien-erfahrene Autorenduo Klaus Arriens & Thomas Wilke („Notruf Hafenkante“) vorzügliche Arbeit geleistet; von der Komplexität ihrer raffinierten Geschichte, in der auch die Nebenfiguren regelmäßig andere Gesichter offenbaren, ganz zu schweigen.

Zum Glück waren die auch binnendramaturgisch sehr plausibel konzipierten Drehbücher bei Florian Baxmeyer und Kameramann Marcus Kanter in guten Händen. Baxmeyer hat zuletzt für Netflix „Tribes of Europa“ (2021) gedreht und mit Kanter diverse „Tatort“-Episoden aus Bremen inszeniert. Die auffallend kreative Kameraarbeit und der Schnitt (Friederike Weymar) sind dynamisch, aber nie hektisch, die Blickwinkel bieten einen abwechslungsreichen Mix aus subjektiven und objektiven Perspektiven; vielen Einstellungen ist anzusehen, dass die Bildgestaltung besonders sein sollte, ohne sich über die Handlung zu erheben. Ausgezeichnet zusammengestellt ist zudem das junge LKA-Ensemble, das bei einem derartigen „Familiendrama“ ja auch als Gruppe funktionieren muss. Trotzdem sind die Mitglieder, die fast alle etwas vor den anderen verbergen, weit mehr als bloß Typen; gerade Oleg Tikhomirov und Lisa Hrdina bleiben in Erinnerung. Die interessanteste Figur ist jedoch ein LKA-Kollege aus Potsdam, der als Verstärkung nach Magdeburg kommt, weil er schon mal mit Haffner zu tun hatte. Torsten Wächter ist angemessen schockiert über die Zustände in Sunnys Abteilung, verfolgt aber in Wirklichkeit eine ganz eigene Agenda; Andreas Döhler versieht diesen Polizisten mit einer angemessen düsteren Aura. (Text-Stand: 10.12.2021)

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ARD Degeto, MDR

Mit Friederike Becht, Felix Klare, Christoph Letkowski, Andreas Döhler, Golo Euler, Thomas Loibl, Oleg Tikhomirov, Carina Wiese, Lisa Hrdina, Sarah Bauerett, Hildegard Schroedter, Stephanie Japp, Hannah Ehrlichmann, Idil Üner

Kamera: Marcus Kanter

Szenenbild: Frank Godt

Kostüm: Majie Pötschke

Schnitt: Friederike Weymar

Musik: Michael Kadelbach

Soundtrack: Bob Hepp („Sunny“), Little Big („Skibidi“), Tom Rosenthal („All Of Them Dreams“), Fink („Honesty“)

Redaktion: Barbara Süßmann, Christoph Pellander (beide Degeto), Adrian Paul, Jana Brandt, Johanna Kraus (alle MDR)

Produktionsfirma: Rowboat Film- und Fernsehproduktion

Produktion: Sam Davis, Kim Fatheuer

Drehbuch: Klaus Arriens, Thomas Wilke

Regie: Florian Baxmeyer

Quote: (1+2): 3,35 Mio. Zuschauer (12,3% MA), (3+4): 3,30 Mio. (12,4% MA); (5+6): 2,86 Mio. (12,9% MA)

EA: 01.01.2022 21:45 Uhr | ARD

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