Noch versetzt das Spieglein an der Wand die Königin (Nadeshda Brennicke) in Feierlaune. Doch die selbstverliebte Herrscherin fürchtet die Frau, die ihre Stieftochter Schneewittchen (Tijan Marei) einmal sein wird. „Ihre Haut weiß wie Schnee, ihre Lippen rot wie Blut und ihr Haar schwarz wie Ebenholz.“ Da kann diese langsam verblühende Schönheit auf dem Thron nicht mehr lange mithalten. Um die Gunst und die teuren Geschenke des reichsten Mannes im Lande (Sascha Alexander Gersak) nicht zu verlieren, hört die Königin auf den Rat ihres Bruders Gilig (Victor Schefé), jenem Sebald, der sie nach ihrer jahrelangen Hinhaltetaktik zur Ehe drängt, Schneewittchen zur Frau zu geben. Damit wäre zwar das ökonomische, nicht aber das narzisstische Problem gelöst. Und als dann auch noch bei der Brautpräsentation ein Raunen ob der Schönheit Schneewittchens durch den Saal geht, platzt die Königin regelrecht vor Wut. Gilig, der bereits den König vergiftet hat, soll nun einmal mehr die Treue zu seiner Schwester beweisen, indem er die Prinzessin in den Wald locken und töten soll. Doch die behände junge Frau kann entkommen und sucht Zuflucht bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Da diese trinkfreudigen Meisterhandwerker mit einem Magier als Anführer (Peter Brownbill) jedoch selbst ums Überleben kämpfen, erweisen sie sich als wenig gastfreundlich – nur einer (Mick Morris Mehnert) möchte helfen. Noch schwieriger wird die Lage für Schneewittchen, als sich die Königin mal wieder von ihrem Spiegel die Bestätigung holen möchte, dass sie die Schönste im Lande sei: Denn was muss sie da hören…?!
Foto: ZDF / Conny Klein
Im Gegensatz zur ARD mit ihren mittlerweile 48 Märchenverfilmungen in 12 Jahren setzt das ZDF wie meist so auch 2019 auf nur eine einzige Märchenverfilmung zur Weihnachtszeit. Dieses Jahr fiel die Wahl auf einen Grimm‘schen Klassiker: „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ hat – wie immer im Zweiten – Spielfilmlänge. Autor Max Honert („Die weiße Schlange“) hat die Geschichte der über 200 Jahre alten Vorlage stark bearbeitet: Die Backstory wird kurz nacherzählt, anders als in der ARD-Adaption von 2009 gibt es weder einen albernen Hofnarren noch einen Jäger, auch der König ist längst tot. Und selbst wenn die Königin nur ein einziges Mal versucht, Schneewittchen zu töten, so lebt die aktuelle Verfilmung noch stärker vom Gegensatz zwischen der bösen, egozentrischen Herrscherin und ihrer mutigen, selbstlosen Stieftochter. Während Schneewittchen sich bei den sieben Zwergen nach und nach Respekt verschafft, ja, es ihr sogar gelingt, zwischenzeitlich ihre Anführerin zu werden, sieht man, wie im Schloss die Königin in Zwiesprache mit ihrem Spiegel tobt und wie sie Pläne schmiedet, um ihre Schönheit für die Ewigkeit zu konservieren. Dabei geht sie einen Pakt mit dem Zauber-Zwerg ein. Und so steckt Schneewittchen bald in einer gefährlichen Zwickmühle. Einzig und allein der Prinz (Ludwig Simon) steht uneingeschränkt auf ihrer Seite; doch seine Möglichkeiten sind beschränkt. Wie man sieht, hat Honert vor allem also dramaturgisch geschickt Hand an den Stoff angelegt. Das Gut/Böse-Schema weicht einem komplexeren System von emotionalen Beziehungen und Abhängigkeiten. So gibt es einen Schneewittchen-freundlichen Zwerg und einen, der der Königin zu Diensten sein muss – ob er will oder nicht. Und die anderen Fünf sind eher indifferente, etwas wankelmütige Feierbiester.
Foto: ZDF / Conny Klein
Aber auch was Figuren und Rollenbilder angeht, haben Zeitgeist und weibliche Emanzipation deutlich Einzug gehalten ins Drehbuch. Der Narzissmus der Königin wurde zeitgenössisch forciert, und er wird von Nadeshda Brennicke ausgesprochen anschaulich verkörpert. Und das Schneewittchen ist 2019 eine junge, sympathische, gutaussehende Frau, die aber nicht auf ihre Schönheit reduziert wird, sondern deren inneren Werte betont werden. Und diese bestehen nicht darin, dass sie in der die männlichen Chaosbude der Zwerge Ordnung macht oder womöglich mal ordentlich durchputzt, sondern sie spiegeln sich in ihrem Wesen, ihrer Haltung und in ihrem Können. Dass andere sie schön finden, tangiert sie wenig. Wenn es sein muss, schmiert sie sich Dreck und Ruß ins Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Sie ist sportlich und trägt schon mal Hosen. Sie ist mutig, klug und hat gute Nerven, sie versteht sich aufs Schmiedehandwerk, und am Ende sagt sie frei heraus, was sie sich vom Leben erträumt, und sie ist es, die um die Hand des Prinzen anhält. Sie will anders regieren als ihre Vorfahren. Bei der Bestrafung der Königin fängt sie damit schon mal an: So muss diese – anders als im Urmärchen der Gebrüder Grimm – für ihre Schandtaten nicht in rotglühenden Eispantoffeln tanzen – bis sie tot umfällt. Es ist eine sehr heutige Prinzessin, die Hauptdarstellerin Tijan Marei („Ellas Baby“) energiegeladen, forsch und mit spitzbübischem Lächeln verkörpert.
Heutiger als das Gros der ARD-Märchenfilme ist auch die Inszenierung. Das Regie-Debüt des preisgekrönten Kameramannes Ngo The Chau kann sich wie einige ZDF-„Märchenperlen“ der letzten Jahre, „Der Eisenhans“, „Der Zauberlehrling“ oder „Rübezahls Schatz“, durchaus sehen lassen. Optisch arbeitet der Film mit den in Märchen-Adaptionen beliebten Hell-Dunkel-Kontrasten, wobei das Düstere, das Mystische vor allem im Reich der Zwerge visuell wundervoll ausgelebt wird. In der Höhle der kleinen Männer durfte sich vor allem Szenenbildner Colin Taplin austoben. Auch der (dezente) Einsatz von Visual Effects sorgt für einen zusätzlichen Reiz und verstärkt die Märchenstimmung. Sehenswert sind aber auch die weitgehend nicht verfremdeten Naturaufnahmen: Im Reich der Zwerge leuchtet das Wasser türkisblau, und mehrfach wird die Bedrohlichkeit des deutschen Waldes atmosphärisch eingesetzt. Die Szenen im Schloss, insbesondere die Massenszenen, können trotz der ansehnlichen Location nicht die gleiche Magie erzeugen. Wenn allerdings die Kamera den Figuren auf die Pelle rückt und die Gesichter ihre Märchen-typisch überzogenen Emotionen freien Lauf lassen, wenn etwa das Spieglein angerufen wird, dann obsiegt auch hier das Aufregende und Unerwartete über Indoor-Statik und Verkleidung, wie man sie aus mindestens jedem zweiten Märchenfilm der letzten Jahre kennt. Da stellt sich abschließend auch die Frage, weshalb es denn schon wieder dieser Grimm’sche Evergreen sein muss. „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ ist zwar ein anderes filmisches Kaliber als das kreuzbrave, überfreundlich ausgeleuchtete ARD-„Schneewittchen“ aber die besten Märchenfilme der letzten Jahre waren nun mal die nach den hierzulande nicht so populären Vorlagen wie etwa „Rübezahls Schatz“ (ZDF) oder „Nussknacker und Mausekönig“ (ARD).