Schneewittchen am See

Maria Ehrich, Andrea Sawatzki, Sarah Esser, Alex Schmidt. Bild gewordene Landlust

Foto: ZDF / Boris Laewen
Foto Rainer Tittelbach

Reagierten die Zuschauer 2018 noch verhalten auf die ersten zwei sehr frei in die Gegenwart adaptierten modernen Märchen im ZDF, brachte es letztes Jahr „Frau Holles Garten“ auf stolze 5,19 Millionen Zuschauer. Und so darf nun in „Schneewittchen am See“ (sabotage films) Autorin Sarah Esser abermals Motive & Bilder eines Grimm‘schen Klassikers mit dem heutigen Zeitgeist kurzschließen. In diesem etwas anderen „Herzkino“-Movie ist es vor allem die Ikonografie der Hauptfigur, die an die Vorlage erinnert. Gesungen wird ein Hohelied auf die Gemeinschaft, auf Freundschaft – und auf den schönen Schein. Die Träume, die sich die Figuren verwirklicht haben, kommen ganz nah ran an die Sehnsuchtsbilder jener Zuschauer, die bereit sind, sich auf ein solches Genre einzulassen. Geschmackvoller Landhaus-Stil trifft auf gepflegte Villa Kunterbunt. Der auch an die weihnachtlichen Konsum-Lust andockende Film lebt weniger vom Plot als vielmehr von Stimmungen, von Bildern, dem sympathischen Personal – und vom Corona-Effekt: Der Sommer strahlt, die Jugend lacht, und alles ohne Abstandsregeln, Menschen umarmen sich, und man kann ihnen offen ins Gesicht sehen.

Ein Restaurant am See, ein Bauernhof, eine Gemeinschaft & so manche Herzenssache
Smilla (Maria Ehrich) fasst sich ein Herz und will in diesem Sommer ihrem Vater Heinrich (Jürgen Tarrach) und seiner neuen Lebenspartnerin und Köchin Regina (Andrea Sawatzki) mehr als einen Anstandsbesuch abstatten. Sie hat vor zehn Jahren ihrer Heimat den Rücken gekehrt, obwohl es seit der Jugend ihr Traum war, in dem Restaurant ihrer Eltern einmal als Köchin zu arbeiten. Der Grund für den abrupten Abgang war der Unfalltod der Mutter, der bei Smilla ein schweres Trauma hinterließ: Der jungen Frau war es fortan unmöglich zu kochen – obwohl sie in der Küche immer schon ähnlich kreativ war wie ihre Mutter. Jetzt ist sie gekommen, weil sie ihren Vater, aber auch ihre beste Freundin besuchen will. Hedi (Hanna Plaß) hat sich ihren Traum erfüllt: Sie lebt auf einem wunderschönen Bauernhof, gemeinsam mit ihrem Bruder Victor (Jochen Schropp), dessen Ehemann Lorenz (Lucas Reiber), zwei Ferkeln und zwei Hühnern, und verdient sich ihre Brötchen als Töpferin. Die in den letzten Jahren zur Einzelgängerin gewordene Smilla genießt die Gemeinschaft. Und dann ist da ist ja noch Jugendliebe Jan (Max Breitschneider), mit dem sie schon so manche gastronomische Geschäftsidee geschmiedet hat. Die Gefühle von damals sind bald zurück – aber ebenso die andere Herzenssache: das „Schneewittchen am See“. Der Vater wäre begeistert, wenn Smilla bei ihm Chefköchin werden würde. Regina allerdings, deren schlechte Augen in der Küche zunehmend zum Sicherheitsrisiko werden, fühlt sich unsanft aufs Abstellgleis befördert.

Schneewittchen am SeeFoto: ZDF / Boris Laewen
Mit gemischten Gefühlen ist die traumatisierte Smilla (Maria Ehrich) in ihre Heimat zurückgekehrt. Was kann sie von ihrem Vater Heinrich (Jürgen Tarrach) und dessen Freundin Regina (Andrea Sawatzki) erwarten? Womöglich ein weiteres Trauma? Erfreulicherweise werden die kleinen Intrigen nicht überdramatisch ausgespielt.

Die Ikonografie der Hauptfigur/-darstellerin: Schönheit, Natürlichkeit & Ausstrahlung
Reagierten die Zuschauer 2018 noch verhalten auf die ersten beiden sehr frei in die Gegenwart adaptierten modernen Märchenklassiker im ZDF, brachte es im letzten Dezember „Frau Holles Garten“ auf stolze 5,19 Millionen Zuschauer und 15,3% Marktanteil, Werte, die das „Herzkino“ gegen die direkte Konkurrenz des „Tatort“ in den letzten Jahren nur noch höchst selten erreichte. Und so konnten sich Drehbuchautorin Sarah Esser und die Produktionsfirma sabotage films ein weiteres Mal einige Motive und Bilder eines Grimm‘sches Märchens hernehmen und mit dem aktuellen Zeitgeist kurzschließen. In „Schneewittchen am See“ ist es vor allem die Ikonografie der Hauptfigur (der Lippenstift, die Augen, die luftigen Kleider), die Maria Ehrich zu einem Bild von einer Frau werden lässt: Weiß und Rot sind ihre Farben. Und wenn Blutstropen auf das weiße Flatterkleid fallen, dann hat das auch eine narrative Bedeutung, dann meldet sich ihr Trauma: Denn Smilla saß einst mit im Wagen, als ihre Mutter tödlich verunglückte, und sie sah ihr – in ihrem Blut liegend – beim Sterben zu. Schönheit, Natürlichkeit, Ausstrahlung, das sind die Qualitäten, die von Ehrich in der Rolle vor allem gefordert werden; dass sie auch eine gute Schauspielerin ist, wie sie beispielsweise in der „Ku’damm“-Trilogie oder zuletzt in „Altes Land“ zeigen konnte, merkt man aber gerade auch in einer solchen Rolle, die einem vermeintlich kein großes Spiel abverlangt.

Schneewittchen am SeeFoto: ZDF / Boris Laewen
„Wer liegt denn da in unserem Hängebett?“ Smillas Gespür fürs Schöne & Drollige. Schneewittchen hat hier keine 7 Zwerge, sondern 3 Freunde, 2 Hühner und 2 Ferkel. Schönheit, Natürlichkeit und Ausstrahlung gehören zu Maria Ehrichs Rollenprofil. Dass sie aber auch eine gute Schauspielerin ist, das merkt man auch bei dieser Figur.

Sinnliches Vergnügen: Die Natur und deren Idealisierung spielen die zweite Hauptrolle
Mit Subtexten ist „Schneewittchen am See“ nicht so reich bestückt wie die Vorgängerfilme. Die schöne Oberfläche obsiegt über das, was man altmodisch „Gehalt“ nennen könnte. Gesungen wird ein Hohelied auf Freundschaft, Gemeinschaft & den schönen Schein. Sinnlichkeit und Sinn verschwimmen allerdings auf eine faszinierende, selten in dieser Form dargestellten Weise. Die Träume, die sich die Filmfiguren verwirklicht haben, kommen dabei ganz nah ran an die zeitgemäßen Sehnsuchtsbilder jener Zuschauer, die bereit sind, sich auf ein solches Genre einzulassen. Der Film von Alex Schmidt („Armans Geheimnis“) mit seiner warmen Optik und den sonnenbestrahlten Schönheiten illustriert die Bild gewordene Landlust: Ob paradiesischer Bauernhof oder idyllisches Restaurant am See – Die Natur und deren Idealisierung spielen die zweite Hauptrolle in diesem Film. Geschmackvoller Landhaus-Stil trifft auf gepflegte Villa Kunterbunt. Und die magische Sieben erreicht der „Zwergenhof“ durch seine Tiere. Das mag produktionstechnisch preisbewusst sein, ist vor allem aber, was die Wirkung der goldigen Schweinchen angeht, einfach hinreißend drollig. Der Plot ist zwar nicht gerade weltbewegend. Dafür sieht die Dramaturgie – anders als in den ersten drei modernen Märchen-Variationen – von allzu übertriebenen Konflikten in Form länger ausgespielter Intrigen ab. Am Ende hat selbst die Stiefmutter, deren Ängste nicht unberechtigt sind und die keineswegs hier das Ur-Böse darstellen soll, selbst ein Einsehen. Auch bedarf es keiner mehrminütigen romantischen Retardation: Junge Menschen können reden, das hilft und ist glaubwürdiger als umständliche Erzählkonventionen. Darüber hinaus ist der Film angenehmerweise nicht so handlungsüberladen wie viele andere „Herzkino“-Produktionen.

Schneewittchen am SeeFoto: ZDF / Boris Laewen
Bullerbü für Erwachsene. Darauf musste Smilla lange verzichten: Freundschaft und Gemeinschaft im Grünen. Lucas Reiber, Jochen Schropp, Hanna Plaß, Maria Ehrich.

Soundtrack: Ingrid Michaelson („You And I“ / „I Remember Her“ / „Be Ok“), Adele („Set Fire To The Rain“), Sara Bareilles („Everything Changes“), Christina Perri („The Words“ / „Tragedy“ / „All That Matters“)

Ohne Abstandsregeln: Der Film befriedigt romantisch-konsumistische Sehnsüchte
Nichtsdestotrotz ist die Tonlage gewöhnungsbedürftig. Aber so wie man bei einer Märchen-Adaption eben keine realistische Darstellung der Wirklichkeit oder eine ausdifferenzierte Psychologie erwartet, so sollte man auch nicht damit rechnen, dass alle Figuren so alltagsnah sprechen, wie man es aus den Dramödien des deutschen Fernsehens kennt. Und so pendelt der Tonfall zwischen „wie aus dem Leben“ über dezent pointiert (etwas übertriebener als eine Alltagsunterhaltung unter Freunden) bis hin zu einer komödiantisch deutlich überzogenen, aber nie unangemessen plakativen Spielweise, die im Übrigen kaum eine(r) so gut beherrscht wie Andrea Sawatzki. Diese deutlichen mimisch-gestischen Ausreißer taugen zwar nicht zum ironischen V-Effekt, sie erreichen dafür aber auch nicht die infantile, grenzdebile Humortonlage einiger ARD-Märchenverfilmungen. In seiner ästhetischen Anmutung, der clippigen Bildsprache, untermalt mit Women-Indie-Pop, und dem lustvoll ausgestellten Lebensstil, weckt „Schneewittchen am See“ nicht nur romantische Sehnsüchte beim Zuschauer, sondern auch dessen Konsumfreude. Das passt nicht schlecht zur Weihnachtszeit. Dank Corona dürfte dieser Film sein eskapistisches Sehnsuchtspotenzial aber ohnehin voll ausschöpfen. Der Sommer strahlt, die Jugend lacht, und alles ohne Abstandsregeln, Menschen umarmen sich, und man kann ihnen offen ins Gesicht sehen. (Text-Stand: 29.11.2020)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Maria Ehrich, Andrea Sawatzki, Jürgen Tarrach, Max Breitschneider, Hanna Plaß, Jochen Schropp, Lucas Reiber, Timur Uelker, Katharina Nesytowa, Alexander Herrmann

Kamera: Timo Moritz

Szenenbild: Jörg Prinz

Kostüm: Andreas Janczyk

Schnitt: Friederike von Normann

Musik: Therese Strasser

Redaktion: Silvia Hubrich

Produktionsfirma: sabotage films

Produktion: Annedore von Donop, Karsten Aurich

Drehbuch: Sarah Esser

Regie: Alex Schmidt

Quote: 3,97 Mio. Zuschauer (11,1% MA)

EA: 20.12.2020 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach