Schimanski muss sich und seinem Mythos nichts mehr beweisen. Allzu häufige Action-Einlagen wirken nur noch lächerlich. Das haben nun auch die Macher eingesehen und lassen den Ex-Bullen nur noch gelegentlich Türen eintreten. Lieber schleust man ihn wie in Andreas Kleinerts “Tödliche Liebe” undercover ein in die geschlossene Welt des Drücker-Milieus. Hier bricht sie dann wieder auf die harte Schale, hinter der der weiche Kern sichtbar wird, der ungeschützt mit den Problemzonen der Gesellschaft konfrontiert wird. Im mittlerweile achten Film nach Schimanskis Reaktivierung überkommt den Parka-Träger die Sorge darüber, dass er noch immer kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt und keinen Baum gepflanzt hat.
“Es ist ein Film über Liebe, über Sehnsüchte und die Angst, das zu verlieren, was man hat”, sagt Regisseur Andreas Kleinert. Schimanski liebt Marie-Claire. Und doch muss er tun, was er zu tun hat. Des Kripo-Youngsters Hunger kleine Schwester liegt tot am Ufer des Rheins. Das Mädchen arbeitete in einer Drückerkolonne. Schimanski schleust sich ein unter falschem Namen, gibt sich aus als Baldorf, einen für seine Brutalität legendären Drücker-König. Das Szenario, das sich ihm auftut, ist erschreckend. Sitten wie bei einer Sekte. Demütigungen und Schläge sind an der Tagesordnung. “Schimanski ist reifer, aber auch älter geworden”, sagt Götz George. “Das ist durchaus reizvoll, weil er nun auch mit seinem Alter kämpfen muss.” Die grandiose Idee aber ist das Doppelspiel, aus dem sich für George die Chance ergibt, dem Helden mit den Mitteln des Charakterfachs mehr Leben und Wahrhaftigkeit einzuhauchen.
Was kann man mit einem TV-Mythos wie Schimanski überhaupt machen? Gebhard Henke, Fernsehfilmchef des WDR, sieht drei Möglichkeiten: “Entweder man bedient den Mythos oder man ironisiert ihn und spielt mit dem, was das Publikum er wartet. Die dritte Möglichkeit ist: du machst was Neues, zeigst einen Helden, der auch mal anders sein kann.” Der WDR geht derzeit den dritten Weg: mit dem Redakteur Wolf Dietrich Brücker und Regisseuren wie Kleinert, Matthias Glasner oder Mark Schlichter setzt man auf Regisseure mit Handschrift. “Es läuft irgendwann einfach leer, wenn sich eine Figur selbst zu sehr ironisiert”, so Henke.
Wer hätte gedacht, dass einer wie der Ostdeutsche Andreas Kleinert, der neben der “Klemperer”-Serie bislang mit existentialistisch-morbiden Filmen wie dem schweren Vereinigungsverlierer-Drama “Wege in die Nacht” von sich reden machte, einmal einen “Schimanski” drehen würde!? “Alles anders machen konnte ich natürlich nicht”, sagt Kleinert. Mehr interessiert als die Krimi-typische Suche nach dem Täter hat ihn die Suche nach Liebe. Bei Schimanski selbst wollte er “das Jungenhafte herauskitzeln”, aber auch das Komödiantische. “Bei aller Düsternis und Tragödienklasse wollte ich etwas Frisches reinbringen”, so Kleinert. Zu DDR-Zeiten sei Schimanski eindeutig sein “Tatort”-Liebling gewesen. “George war im Osten unheimlich populär.” Dem kann Katrin Saß, die die Drücker-Chefin mit geheimnisumwobener Kühle spielt, nur zustimmen: “Was mir an ihm immer schon so gefiel, dass er sich physisch ganz stark einbringt und nicht neben seiner Figur steht.”
George ist voll des Lobes für Kleinert und seine jungen Kollegen. “Die Arbeit mit den jungen Leuten ist fruchtbar auch für die Entwicklung der Figur. Die neuen Regisseure mögen die Schauspieler und sie verstehen ihr Handwerk, sie sind schnell und ziemlich perfekt.” Aber vernachlässigen die anspruchsvollen Filmemacher nicht zu sehr den Krimi? “Das Grundthema ist eigentlich immer die Vereinsamung von Menschen gewesen, der Schrei nach Kommunikation”, erinnert sich George an seine “Tatorte” aus den Achtzigern. “Im Mittelpunkt stand der einsame Mensch, der nach Liebe buhlt und versucht, Anschluss zu finden.” Der Bogen also ins dritte Jahrtausend ist gespannt. (Text-Stand: 12.11.2000)