Sarah Kohr – Zement

Potthoff, Knaup, Fürmann, Berndt, Schmidt. Auch im Schockzustand schlagfertig

Foto: ZDF / Christine Schroeder
Foto Tilmann P. Gangloff

Die neunte „Sarah Kohr“-Episode, „Zement“ (ZDF / die film gmbh), ist zwar nicht ganz so packend wie frühere Krimis aus der Reihe mit Lisa Maria Potthoff, aber der Auftakt ist spektakulär: Erst überschlägt sich ein Rettungswagen mit der LKA-Kommissarin an Bord nach einer Kollision mit einem PKW, dann erfährt die Polizistin, als sie aus der Ohnmacht erwacht, dass sie den Fahrer des Autos erschossen hat. Fortan versucht sie, die Tat zu verstehen; die Spur führt schließlich zu einer Zementfabrik, deren Betreiber erpresst wird. Dass die Spannung nach dem Prolog nachlässt, hat auch mit der Inszenierung zu tun. Außerdem wirkt die Handlung mitunter wie ein Vorwand für gleich mehrere Zweikämpfe der schlagkräftigen Ermittlerin mit einer ähnlich prügelfreudigen Gegnerin. Die Bildgestaltung ist jedoch sehenswert und Benno Fürmann als Schurke ein charismatischer Gegenspieler.

Alle reden von Verkehrswende, Heizungsgesetz und Flugscham. Ein Aspekt kommt bei den Diskussionen über den Klimawandel jedoch viel zu kurz: Ohne Zement läuft beim Bauen in der Regel nichts, ganz egal, ob es sich um Häuser, Brücken oder einen U-Bahn-Tunnel handelt. Für die Produktion dieses Baustoffs sind enorme Energien nötig, vom CO2-Ausstoß ganz zu schweigen. Aber ist das ein Krimithema? Wie immer auch die Genese der neunten Episode mit Lisa Maria Potthoff als Hamburger LKA-Kommissarin für besondere Fälle war: Themenkrimis sind stets eine Gratwanderung, weil die Drehbücher eine Balance aus Hintergrund und Vordergrund, aus Informationsvermittlung und Spannung finden müssen. Einer wie Timo Berndt, der die Reihe nach dem Auftakt 2014 übernommen hat, ist dazu in der Lage. Schwierig bleibt es trotzdem, weshalb „Zement“ auch nicht so fesselnd ist wie die meisten anderen Filme der Reihe, was allerdings auch mit der Regie zu tun hat; schon Katrin Schmidts Beiträge für die ARD-Donnerstagsreihen „Der Dänemark-Krimi“ („Blutlinie“) und „Die Füchsin“ („Alte Sünden“ und „Game Over“, 2023) waren recht spannungsarm.

Sarah Kohr – ZementFoto: ZDF / Christine Schroeder
Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff) versucht, Staatsanwalt Kiemen (Benito Bause) von ihrer Version der Geschichte zu überzeugen.

Umso spektakulärer ist diesmal zwar der Auftakt, aber er weckt auch Erwartungen, die die restlichen 85 Minuten kaum erfüllen können: Auf der Fahrt in die Klinik kollidiert ein Rettungswagen mit einem PKW und überschlägt sich. Die Kamera bleibt bei Sarah Kohr, die den Patienten begleitet und nun in Zeitlupe durch das Auto gewirbelt wird. Die Szene dauert nur dreißig Sekunden, aber hinter dieser halben Minute steckt vermutlich viel Aufwand. Der eigentliche Knüller folgt jedoch, als die Polizistin im Krankenhaus aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht: Sie hat den Unfallverursacher erschossen. Ihr Freund und Mentor, Oberstaatsanwalt Mehringer (Herbert Knaup), hat dafür sogar Verständnis: Im Schockzustand ist ihr Verstand automatisch in den Kampfmodus gewechselt. Vor einer Suspendierung bewahrt sie das trotzdem nicht. Einem Kollegen Mehringers, Sebastian Kiemen (Benito Bause), sind Kohrs halblegale Ermittlungsmethoden ohnehin mehr als suspekt, weshalb sie mit einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung rechnen muss. Dass sie sich weder an die Tat noch an die Ereignisse zuvor erinnern kann, hält er für eine Lüge.

Sarah Kohr – ZementFoto: ZDF / Christine Schroeder
Eine Frau im Dauerkampfmodus mit der Lizenz zur Action. Dies ist noch eine eher harmlose Situation. Lisa Maria Potthoff

Die Ausgangslage ist also schon mal interessant, zumal Erinnerungsfetzen dafür sorgen, dass der Fall zunehmend rätselhafter wird. Der Patient, der den Unfall zwar überlebt hat, aber schwerverletzt im Koma liegt, ist ein Nachbar der Polizistin, und jetzt kommt Berndt zu seinem eigentlichen Thema: In seiner Wohnung überrascht Kohr einen Eindringling, und prompt kommt es zu einer jener Handgreiflichkeiten, die im deutschen Fernsehkrimi das Alleinstellungsmerkmal der Reihe bilden. Was der Mann gesucht hat, weiß sie natürlich nicht, aber sie entdeckt Flyer einer Umweltgruppe, die gegen eine Zementfabrik in einem Vorort protestiert. Die Sprecherin (Liza Tzschirner) der Initiative ist die Freundin des Nachbarn, sie versorgt Kohr und damit auch das Publikum mit den ökologischen Details über die Zement-Produktion. Zu klären belibt nur, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, und dafür sorgt der Episoden-Star: Benno Fürmann spielt einen auf den ersten Blick als Ganove erkennbaren Müllentsorger mit respektablem Strafregister, aber ohne jede Verurteilung.

Natürlich schürt die Frage, wie Kohr in die Sache hineingeraten ist, eine gewisse Neugier; sie selbst will ebenfalls verstehen, was passiert ist. Außerdem mischt plötzlich auch noch ein Arzt (Bastian Reiber) mit, der den Fabrikbesitzer (Merlin Sandmeyer) gemeinsam mit dem Nachbarn der Kommissarin erpresst hat. Zu viele optische Lückenfüller wie etwa Autofahrten oder Stadtbilder in Panoramaformat sorgen jedoch dafür, dass sich die Dramatik zumeist gleich wieder verflüchtigt. Zwischenzeitlich wirkt die Handlung gar wie ein Vorwand, um die Polizistin gleich mehrfach in Zweikämpfe mit der Schlägerin (Annabelle Mandeng) des Schurken zu verwickeln. Die Prügeleien sind zwar wie stets überzeugend choreografiert, doch auch in diesen Szenen sorgt vor allem die Musik (Boris Bojadzhiev) für Spannung. Die Auflösung des Unfallhergangs ist allerdings ziemlich verblüffend; zum Finale schüttelt Berndt eine weitere ähnlich unvorhersehbare Überraschung aus dem Ärmel. Sehenswert ist „Zement“ neben interessanten Schauplätzen wie etwa der stillgelegten Sietas-Werft auch wegen der hochwertigen Bildgestaltung; Kameramann Simon Schmejkal hat schon bei Schmidts „Dänemark-Krimi“ für eine spezielle Atmosphäre gesorgt.

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Reihe

ZDF

Mit Lisa Maria Potthoff, Herbert Knaup, Benno Fürmann, Liza Tzschirner, Benito Bause, Annabelle Mandeng, Bastian Reiber, Merlin Sandmeyer, Victoria Trauttmansdorff, Zeynep Bozbay

Kamera: Simon Schmejkal

Szenenbild: Marion Foradori

Kostüm: Christine Zahn

Schnitt: Martin Rahner

Musik: Boris Bojadzhiev

Redaktion: Eva Katharina Klöcker

Produktionsfirma: die film gmbh

Produktion: Uli Aselmann, Sophia Aldenhoven

Drehbuch: Timo Berndt

Regie: Katrin Schmidt

Quote: 6,25 Mio. Zuschauer (23,8% MA)

EA: 13.01.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 22.01.2024 20:15 Uhr | ZDF

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