Sarah Kohr – Mord im Alten Land

Potthoff, Knaup, Feifel, Kowalski, Berndt, Rosenmüller. In vertrautem Rahmen

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Harald Keller

In „Sarah Kohr – Mord im Alten Land“ (die film gmbh) gibt es ein Wiedersehen mit einigen Figuren der ZDF-Produktion „Der letzte Kronzeuge – Flucht in die Alpen“ – mit einem überraschendem Ortswechsel. Dort hatte es Potthoffs Kommissarin in Berlin mit korrupten Kollegen zu tun bekommen. Seither ist sie für die Teamarbeit verloren. Im neuen Fall sind die Ermittler integer, lassen sich aber vom Anschein in die Irre leiten. Erst eine dramatische Geiselnahme mit der Heldin als Opfer bringt die Ermittler auf die Spur der wahren Täter. Kohr ist bei aller Sperrigkeit eine sympathische Figur und kluge Kriminalistin. Auch Potthoff, oft erprobt in ähnlichen Rollen, überzeugt, insgesamt aber dominiert (Schauspieler-)Routine.

„Glücklich ist, wer vergisst“, heißt es im Land der Operette. Einer nicht glückseligen, aber halbwegs unbeschwerten Rezeption dieses ZDF-Krimis wäre zuträglich, wenn man den Vorgängerfilm „Der letzte Kronzeuge – Flucht in die Alpen“ aus dem Jahr 2014 nicht mehr im Gedächtnis hat. Denn damals siedelten drei – genau genommen vier – Hauptfiguren in Berlin. Jetzt finden sich alle, die Kriminalbeamtin Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff), deren als Ärztin tätige Mutter (Corinna Kirchhoff), ihr Ex-Geliebter, der Staatsanwalt Anton Mehringer (Herbert Knaup), in Hamburg und Umgebung wieder. Auch Mehrings Ehefrau (Stefanie Eidt) ist zugegen, die zwar im ersten Film keine Rolle spielte, aber laut Handlungslogik damals schon mit ihm verheiratet war. Sie weiß nämlich von der Affäre zwischen Kohr und ihrem Mann und nimmt noch immer übel. Es müssen schlagartig Stellen bei der Hamburger Polizei, der dortigen Staatsanwaltschaft und in einem Hamburger Krankenhaus freigeworden sein.

Los geht es mit einer flotten Autofahrt durchs titelgebende Alte Land. Das an der Elbe, mit den vielen Apfelstrauchplantagen. Warum es dort nur noch Apfelsträucher und keine -bäume mehr gibt, wird später noch beiläufig erklärt. Die Kommissarin wurde zu einem Labor für biochemische Untersuchungen beordert. Durch eine Glastür sieht sie jemanden am Boden liegen, kann nicht hinein, zertrümmert die Scheibe. Die Laborantin ist verletzt und blutet heftig. Thomas Lichter (Marcus Mittermeier) erscheint in der Tür, ein blutiges Messer in Händen. Sie fordert ihn auf, die Klinge fallen zu lassen, feuert einen Warnschuss in die Zarge. Zu einem scharfen Schuss kann sie sich nicht durchringen, woraufhin Lichter die Flucht gelingt. (An dieser Stelle sind Erinnerungen an Kohrs ersten Fall allerdings doch hilfreich, weil sie im Zuge dessen erstmals einen tödlichen Schuss abgeben musste.) Gefasst wird er trotzdem, kommt vor Gericht, beteuert fortwährend seine Unschuld. Die Verurteilung scheint nur noch eine Formsache. In einer Verhandlungspause nimmt er die als Zeugin geladene Sarah Kohr als Geisel. Wieder geht es ins Alte Land. Wie sich zeigt, ereignete sich die Entführung nicht spontan. Sie war anders geplant, aber gut vorbereitet. Kohr kommt unbehelligt frei und erkennt langsam, dass Lichter bezüglich des Tathergangs die Wahrheit sagt. Er wurde Opfer eines weitreichenden Komplotts, das die Vergiftung einer Apfelplantage durch einen Chemiemulti vertuschen soll. Der global tätige Konzern schreckt nicht davor zurück, ein Team körperlich wie ethisch robust ausgestatteter Berufsmörder loszuschicken.

Sarah Kohr – Mord im Alten LandFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Anton Mehringer (Herbert Knaup ) und Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff) fühlen sich immer noch zueinander hingezogen.

Autor Timo Berndt, der das Personal von Stefan Kolditz übernommen hat, vermag die Zuschauerschaft im Verein mit Regisseur Marcus O. Rosenmüller durchaus zu fangen. Die Geschichte beginnt, buchstäblich, in voller Fahrt, wahrt dank Rosenmüllers schmissiger, aktionsbetonter Inszenierung ihren Elan, und die Volte, die Kommissarin aus einer Geisel-Situation heraus ohne Rückgriff aufs Stockholm-Syndrom auf die Seite des Beschuldigten zu bringen, ist durchaus gelungen. Doch dann greift Berndt, der allein 2017 und 2018 auch die ZDF-Reihen „Die Toten vom Bodensee“, „Friesland“, „Ein starkes Team“, „Die Chefin“, „Marie Brand“ belieferte, in die Trickkiste des Krimiroutiniers. Ein Zeuge kommt ins Spiel, ein  im Rollstuhl sitzender Fotograf (Hannes Hellmann), der entscheidendes Hintergrund-Wissen offenbar allwissend mal eben aus dem Ärmel schüttelt. Im Finale dann werden ein paar kraftstrotzende Verfolger von einer Handvoll herunterfallender Äpfel ausgeknockt.

Schade drum, denn die Titelheldin Sarah Kohr ist durchaus eine Bereicherung der Riege weiblicher ZDF-Ermittler. Ihren Scharfsinn beweist sie auf eine angenehm nüchterne Art, besitzt eine gute Beobachtungsgabe, geht gern ihren eigenen Weg (eine schlüssige Entwicklung, weil sie vordem mit korrupten Kollegen zu kämpfen hatte), zeigt aber kein übermäßig abweichendes Sozialverhalten. Und sie kann raufen: Lisa Maria Potthoff spielt die Action-Szenen selbst, und das sieht man. Nicht nur auf visueller Ebene ein Vorzug. Denn immer noch sieht man viel zu häufig (meist junge) Frauen, die vor Männern kuschen. Es kommt natürlich aufs Setting an, aber: die hier keilt zurück. Eine erfreuliche Abwechslung vom üblichen Muster. Nebenbei bemerkt: Am 3. April 2018 jährte sich zum 55. Male die Premiere der ZDF-Serie „Die Karte mit dem Luchskopf“, in der Kai Fischer sexy, wortgewandt & sportlich allen wehrhaften Fernsehheldinnen den Weg bereitete. Auf diesem Gebiet hat sich Schauspielerin Lisa Maria Potthoff schon mehrfach hervorgetan und bewährt. Man gönnt es ihr, und sie macht das gut, aber sie ist oft in ähnlichen Rollen zu sehen. In den bislang drei abstrusen Craig-Russell-Verfilmungen der ARD, dort auch in der sehenswerten Reihe „Der Usedom-Krimi“. Auch sonst gilt für diese Produktion: zu viele bekannte Gesichter – Herbert Knaup, Martin Feifel, Rudolf Kowalski, Hannes Hellmann. Alle routiniert, in vertrautem Rahmen, nicht sonderlich gefordert, überraschungsfrei. Die richtige Richtung ist eingeschlagen, aber bis zur echten Krimiklasse sind noch ein paar Schritte zurückzulegen.

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Reihe

ZDF

Mit Lisa Maria Potthoff, Herbert Knaup, Marcus Mittermeier, Martin Feifel, Rudolf Kowalski, Hannes Hellmann, Stephanie Eidt, Katja Studt, Corinna Kirchhoff

Kamera: Tomas Erhart

Szenenbild: Thomas Neudorfer

Kostüm: Rike Russig

Schnitt: Raimund Vienken

Musik: Boris Bojadzhiev

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: die film gmbh

Produktion: Uli Aselmann, Sophia Aldenhoven

Drehbuch: Timo Berndt – Nach einem Konzept von Stefan Kolditz

Regie: Marcus O. Rosenmüller

Quote: 7,33 Mio. Zuschauer (23,9% MA); Wh. (2020): 5,42 Mio. (16,8% MA)

EA: 22.04.2018 20:15 Uhr | ZDF

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