Als sie zum ersten Mal mit ihrem wollweißen Mantel zum Dienst ging, war Berlin noch eine dreckige Stadt. „Rosa Roth“, die ZDF-Kommissarin aus dem frühen Nachwende-Berlin, teilte mit „Bella Block“ die Alliteration im Namen, wirkte aber in vielem wie der Gegenentwurf zur erfolgreichen Frauenkrimiheldin aus Hamburg: Die war von Doris Gercke in der eleganten Hansestadt als whiskeyselige, hüftstarke Ex-Beamtin in den besten Jahren erfunden worden. Das ZDF-Fernsehspiel hatte die mit Hannelore Hoger stimmig besetzte Kratzbürste Bella im Frühjahr 1994 kurzerhand wieder in den Kommissarsstatus zurück beordert, um sie am Ende des Films aber mit einem braven Diener vor der Vorlage den Dienst wieder quittieren zu lassen. Rosa Roth war von Anfang an aus anderem, telegeneren Holz geschnitzt: Ein originärer Fernsehstoff aus der versierten Feder von Felix Huby. Mit der unnahbar schönen Iris Berben als Kaschmir-Ermittlerin, die in von Carlo Rola kunstvoll in den Dreck gezogenen Moloch Berlin erst recht makellos wirkte. „Den krieg ich, und wenn es das letzte ist, was ich in diesem Laden tue!“, rief Rosa Roth in der Premierenfolge „In Liebe und Tod“ im November 1994 und zielte auf den armen Udo Kier, als habe sie in ihrem langen Berufsleben nie etwas anderes tun wollen. In Wahrheit hatte Iris Berben für diese Rolle den korrekten Umgang mit der „Walter PPK“ auf dem Schießplatz lange üben müssen. Vor lauter Schreck, dass das Ding losgehen könnte, habe sie zunächst immer instinktiv die Augen zugekniffen, erzählte sie der Presse. Und dass der Name Rosa ihr Vorschlag gewesen sei. Wegen Rosa Luxemburg, die in Berlin von Rechtsextremisten ermordert wurde… Das alles ist lange her.
Nun also quittiert Iris Berben nach 19 Jahren ihren Rosa-Roth-Dienst, während Hannelore Hoger soeben der Presse verriet, sie müsse ihre Bella Block noch ein wenig weiter arbeiten lassen – die Rente reicht nicht. Die Finissage von „Rosa Roth“ ist so fernsehgerecht wie ehedem: Ein besonderer Film, aber kein allzu besonderes Ereignis. Eine Reminiszenz an das eigene Sendungsbewusstsein, aber vorgetragen mit nur wenig Wehmut und sogar mit einem Hauch Selbstironie. Rosa Roth wird in dieser letzten Folge „Der Schuss“ in eine Falle gelockt. Im Affekt erschießt sie ein unschuldiges Kind, am Nachmittag erst war sie vor Gericht von der Verteidigerin bloß gestellt worden, deren Pflegetochter Deborah nun leblos am Boden liegt. Reiner Zufall? Die interne Ermittlerin muss das fragen und Rosa Roth ist Profi genug, um sachdienlich zu antworten. Aber das ist nur die eine Seite des Spiels. Iris Berben lässt die Zuschauer unübersehbar daran teilhaben, wie es in der Seele jener Frau brodelt, die ihren Vornamen von Rosa Luxemburg hat. Die abgeklärte Kommissarin wittert den späten Rachefeldzug eines russischen Waffenhändlers, den sie vor 19 Jahren vergeblich versucht hat, hinter Gitter zu bringen. Und schon damals war ein unschuldiges Mädchen erschossen worden. In Rosas Umgebung hält zunächst jeder ihr „Da steckt doch Raskow dahinter!“ für eine fixe Idee. Aber das Genre gibt dem Zuschauer ja vor, dass sich die Hauptfigur nicht täuschen kann. Hans-Michael Rehberg hat den kaltherzigen und geldgierigen Oligarchen Nikolai Raskow schon 1994 in der ersten „Rosa Roth“-Folge gespielt, und er gibt ihn voller Grandezza noch einmal. Überhaupt läuft der ganze Plot von „Der Schuss“ letztlich auf dieses recht selbstbezügliche Ziel zu: In einer Rückblende wird die Begegnung von Raskow und Roth aus den neunziger Jahren noch einmal in Wort und Bild zitiert. Kurz genug, um das alte Fernsehbild mit seiner leicht unscharfen 4:3-Ästhetik zu entzaubern, lang genug, um den Zuschauer denken zu lassen: Donnerwetter, die Berben hat sich aber gut gehalten!
Sicher, immer mal wieder hat Drehbuchautor Torsten Wettke situationskomische Einsprengsel lanciert, die von der verblühten Aura der Hauptfigur, von dem eigenen „Fall aus der Zeit“ berichten. Aber bei Lichte betrachtet meinen alle, die an diesem Filmrondo beteiligt waren, das alles doch ganz ernst: Das Spiel mit der Vergangenheit ist keine allzu tiefe Verneigung vor den neuen Erzähldramaturgien der Gegenwart. Die Regie von Hannu Salonen, der Carlo Rola nach 30 „Rosa Roths“ im 31. beerbt hat, will den Fernsehkrimi so kurz vor Toresschluss nicht noch eben neu erfinden müssen. Jürgen Vogel, Devid Striesow und selbst der alte Haudegen Thomas Thieme wirken hier wie die etwas unterforderten, weil durchtrainierten Mittelstürmer einer All-Stars-Mannschaft, die beim Abschiedsspiel der alten Garde höflich darauf achten, niemanden aus Versehen auszuspielen. Alles ist zugeschnitten auf ein Finale, das kein pathetischer Abschied sein will. Es aber genau deswegen dann doch geworden ist.