Wer erinnere sich nach ein paar Tagen noch an einen TV-Krimi? Lars Becker findet es schade, dass die Geschichten im beliebtesten aller TV-Genres so abgewirtschaftet haben. „Es gibt ein Überangebot an Krimis, was sie relativ austauschbar erscheinen lässt.“ Becker versucht es in „Rette deine Haut!“ einmal anders. „Mir ging es weniger um die Kriminalgeschichte, sondern vielmehr um eine soziale Situationsbeschreibung von drei Polizeifamilien, die über ihre Verhältnisse leben und in Not geraten.“ Eigentlich sind es nette Jungs, liebende Väter, die zum Wohle der Familie die Hand aufhalten. Und ihre Frauen verschließen die Augen vor dem doppelten Spiel ihrer Männer. Die neue Couch ist bestellt, die nächste Shopping-Tour winkt – das Leben ist teuer in der Vorstadt. Als sie ihren geheimen Gönner verhaften müssen, droht dieser, die Kommissare auffliegen zu lassen, wenn sie die Beseitigung der Zeugin nicht decken würden. Sollen sie also Mitwisser eines Mordes werden oder ihre Existenz verspielen?
Nicht nur der Polizei-Thriller an sich, auch der Zugriff auf dieses Genre, das kaum einer so beherrschte wie Beckers Lieblingsregisseur Jean-Pierre Melville („Vier im roten Kreis“), ist ungewöhnlich fürs deutsche Fernsehen. Wortkarge Typen, ausdrucksstarke Gesichter, lakonischer Erzählstil ohne die TV-üblichen Ausrufezeichen, dafür mit viel Gespür für Rhythmus, Genre-Variation und Spannung. Bei uns beherrscht das außer Dominik Graf („Die Katze“) und Hartmut Schoen („Warten ist der Tod“) kaum ein Regisseur so gut. Becker: „Ich habe versucht, die Figuren differenzierter darzustellen, nicht so monothematisch und eindimensional.“ Diese Mehrschichtigkeit dringt auch ein in die Bilder, spiegelt sich im Look, in den Kostümen, der Ausstattung, der Kamera. Kühles Blaugrau beherrscht die Szenerie.
„Rette deine Haut!“ ist ein Film aus einem Guss. Beckers besondere Stärke: er vergisst bei aller visueller Brillanz und dramaturgischer Finesse seine Schauspieler nicht. Der knapp 3,5 Millionen Mark teure ZDF-Fernsehfilm besticht durch eine außergewöhnliche Ensembleleistung. Gregor Törzs könnte einem Scorsese-Mafiadrama entsprungen sein. Ken Duken als Sympathieträger agiert locker und unangestrengt wie selten zuvor. Gegen Ende übernehmen dann die Frauen das Regiment. Das Gesicht des Jahres, Henriette Heinze, prollt sich eindrucksvoll durchs Neureichen-Ambiente. Und eine glänzende Katharina Böhm lässt endlich einmal vergessen, dass sie seit Jahren im Mainstream dümpelt. Die Action dieses außergewöhnlichen Filmes kommt von Innen – und sie trifft sich punktgenau mit der Genre-Ikonografie. Es explodiert nichts, „Rette deine Haut!“ ist ein Film der nervenaufreibenden Implosionen. Milieu-Schilderung und ästhetische Perfektion fließen ineinander.
Ein weiteres Reihen-Projekt, das Lars Becker mit einem Autoren-Team unter dem Titel „Nachtschicht“ entwickelt hat und in dem jede Episode um ein Kommissariat in nur einer Nacht erzählt wird, verfährt ähnlich. Die Realisierung ist unsicher. „Wir haben von hochrangigen Schauspielern schon Zusagen, aber die Produzenten und Sender tun sich schwer“, betont Becker. Irgendwie typisch. An Kriminalfilme, an die man sich auch noch Wochen nach der Ausstrahlung erinnert, traut sich im hierzulande offenbar kaum einer ran. (Text-Stand: 2001). Nachtrag: mittlerweile konnte „Nachtschicht“ doch realisiert werden!