Zwei Verliebte, ein Lied, viel Gin und ein Werwolf auf zwei Beinen
Droht die Diskrepanz zwischen Liebe und Job aus Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) wieder einen Narren zu machen? Es gab da mal diese reizende Frau aus der Jugendabteilung einer JVA. Was mit ihr nichts wurde, könnte er nun mit seiner Ex-Kollegin Constanze Hermann (Barbara Auer) nachholen, die er quasi wieder für seinen Dienst eigenmächtig rekrutiert hat. Der Kommissar scheint ein Faible für komplizierte Frauen zu haben. Doch diese Constanze hat nicht nur ein Suchtproblem, sie ist auch gut in ihrem Beruf. So gibt sie von Meuffels Tipps zu einem Fall, der bald kein Fall mehr ist: Eine Rechtsanwältin ist einfach nur gestorben, das entstellte Gesicht erweist sich als die Reaktion ihrer Katze auf deren fehlendes Fresschen. Dass die wieder in Hamburg lebende Kommissarin aber nicht verrät, dass sie sich in einer Art Wellness-Suchtklinik am Alpenrand befindet, sich also ganz in seiner Nähe aufhält, könnte von Meuffels zu denken geben. Doch er stellt wenig Fragen, auch nicht am nächsten Morgen, an dem er plötzlich vor ihrer Zimmertür steht. Eine junge Frau (Anna Unterberger) ist ermordet worden. Eine Frau, die am Abend ziemlich merkwürdige Dinge zu der Kommissarin gesagt hat. Danach hat Constanze ein trauriges Lied gehört, neun Gin Tonic getrunken, ist in derselben Nacht noch durch den Wald getorkelt, in dem der „Mord“ passiert ist, und hat einen Wolf auf zwei Beinen gesehen. Ein Wolf muss – laut des bereits beim Todesfall in München zu Rate gezogenen Zoologen (Sebastian Hülk) – tatsächlich mit der Toten in Berührung gekommen sein. Aber kann denn ein Wolf ein Betäubungsgift spritzen?!
Foto: BR / Christian Schulz
Hinter den faszinierenden Charaktere tritt die Krimi-Spannung zurück!
Die von Barbara Auer gespielte Constanze Hermann geht im „Polizeiruf 110 – Wölfe“ eigentlich nur zum Zigarettenholen. Dass das, was sie danach erlebt, Halluzinationen einer Alkoholikerin sind, wie ihr Kollege annimmt, darf bezweifelt werden. Denn auch dem Zuschauer zeigt sich ja der vermeintliche Werwolf in jener Vollmondnacht. Trotz der deutlichen Attrappenhaftigkeit: dieser Schock sitzt – und das in einem Film, der sich wenig um das Genre und um die von den Krimikonventionen bestimmten Zuschauerbedürfnisse schert. Auch in seinem zweiten Münchner „Polizeiruf 110“ versteckt Deutschlands derzeit renommiertester Autorenfilmer, Christian Petzold, den Krimiplot hinter seinen faszinierenden Charakteren. Dabei verzichtet er auf die üblichen Verdächtigen oder auf Spannung im Nervenkitzel-Sinne. Häufig verwendete Krimihandlungsmuster (der sich formierende, ausländerfeindliche Mob, die übergeordnete Dienststelle, die in die Ermittlungen pfuscht, der Fall, der als abgeschlossen gilt) deutet er nur kurz an, bevor er sie wohl überlegt wieder fallen lässt, und er macht keine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenhandlung. So lässt sich – je nach persönlicher Vorliebe – die private durchaus auch als die wesentliche Geschichte lesen. Da sieht man dann einen Kommissar, der es sichtlich genießt, gemeinsam mit der Frau zu ermitteln, in die er verliebt ist und die er bewundert ob ihrer klugen Betrachtungen der Fälle. Er genießt es, Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr zu reden, vertraut, klug, feinfühlig, nie aufdringlich und häufig an dem Ort, an dem Petzold Paare am liebsten beobachtet: im Auto.
Liebe, magische Momente und die dunkle Seite der deutschen Romantik
Nach der trostlosen Agonie des deutschen Mittelstandes in „Kreise“ rückt Petzold in „Wölfe“ nun die romantischen Befindlichkeiten seiner Protagonisten in den Vordergrund. Ähnlich vergeblich erscheint auch in diesem Film am Ende die Tat: Schmerz und Scham bekommt man nicht raus aus dem Körper, von Katharsis also keine Spur. Romantik ist hier die schwarze Seite der blauen Blume. Die Sehnsucht nach dem Unendlichen stößt im deutschen Wald auf ihre Grenzen. Das Dunkle der Seele, die Schwermut, die Angst, der Hang zum Übersinnlich-Phantastischen, das alles behält die Oberhand über die Liebe. Bildgestaltung und Szenenbild deuten es an: Bäume, Regen, immer wieder Nacht, die Blicke des Zuschauers bleiben eingeschränkt. Petzold, oftmals Vermesser deutscher Industrielandschaften, findet selbst im Voralpenland keine Naturschönheit. Wenig anheimelnd sind auch die Innenräume: zweckmäßige, bedrückende Funktionsräume, Gänge, Käfige und eine Gasthausstube, in der einem nichts anderes übrig bleibt als zu saufen. Dagegen wirken die Überlandfahrten der Kommissare geradezu entspannend. In diesen Szenen dominiert die Erotik des Augenblicks. Beide reden langsam, denken nach, öffnen sich von Fahrt zu Fahrt. Sie reden über sich, über ihre Sehnsüchte, die Fluchttasche im Kofferraum oder über Filme, die verklausuliert eigene Ängste spiegeln. Matthias Brandt und Barbara Auer sorgten schon in „Kreise“ für magische Momente. In „Wölfe“ dominieren diese fein nuancierten, doppelbödigen Situationen zwischen den beiden noch deutlicher – das wie selbstverständlich Dahingesagte, das vermeintliche Spielen ins Nichts. Diese Dialogszenen sind Ruhemomente, in denen die (Krimi-)Handlung still steht. Dieses gesteigerte Ausspielen der Beziehungsebene geht ein wenig auf Kosten des Krimiplots, der in Petzolds erstem „Polizeiruf 110“ komplexer war, weil er neben der Psychologie noch einen gesellschaftlich interessanten Subtext anbot. Dafür erfährt Petzolds zweiter Anti-Krimi ausgerechnet in dem Moment, in dem das Vertrauen des „Liebespaars“ ausreicht, gemeinsam in den Urlaub fahren zu wollen, eine dramatische Wendung, die dem gemeinen Zuschauer zumindest ein Versprechen gibt auf einen Last-Minute-Rescue.
Foto: BR / Christian Schulz
Weniger Wahrscheinlichkeitskrämerei, mehr alltagsnahe Wahrheiten
Im deutschen Fernsehkrimi werden die dem Gerechtigkeitssinn verpflichteten Kommissare immer ganz närrisch, wenn sie von ihren Vorgesetzen oder einer übergeordneten staatlichen Institution, dem BKA oder dem BND, bei ihrem heldenhaften Ermitteln ausgebremst werden. In „Wölfe“ hält sich Hanns von Meuffels’ Ärger in Grenzen. Denn ist es nicht mindestens ebenso befriedigend, sich frisch verliebt mit der neuen Herzdame eine Auszeit zu nehmen?! So etwas gehört zum Realismuskonzept, wie Petzold es versteht. Sein Bezugssystem dafür, was realistisch ist und was nicht, ist nicht das Krimi-Genre oder besser gesagt das, was das Fernsehen aus ihm gemacht hat, sondern es sind die Dinge des Lebens, die die Wirklichkeit im Sinne einer tiefer liegenden Wahrheit (nicht eines bloßen Abbilds) bestimmen. Eine solche Wahrheit ist auch im exzentrischen Rauchverhalten der beiden zu finden. Der blaue Dunst, der für die Psychologie, die Erzähllogik und die Semiotik des Films eine entscheidende Rolle spielt, wird einigen Zuschauern ein Dorn im Auge sein, andere werden das Gequalme als untypisch für unsere Zeit, also „unrealistisch“, erachten. „Diese Wahrscheinlichkeitskrämerei, wie man sie oft beim ‚Tatort’-Twittern liest, ist mir fremd“, sagte hingegen Petzold in einem FAZ-Interview zu „Kreise“. Die Hamburger Kollegin, ganz unbürokratisch mal eben in die Ermittlungen einzubeziehen, auch das ist sicherlich nichts für die Glaubwürdigkeitspolizei. Auf Zuschauer dagegen, die Matthias Brandt und seinen kultivierten, zur Arroganz neigenden Adelsspross mögen, wirkt gerade dieser Eigensinn außerordentlich erfrischend und er wirkt belebend auf das formelhaft erstarrte Krimi-Einerlei. „Ich finde, die Gefühle, die Angst, die Verzweiflung – das alles muss realistisch sein“, betont Petzold. Auch die Lebensräume müssten stimmen. „Wenn die Kommissariate aussehen wie Büros von Hedgefonds-Managern, missfällt mir das.“ Dagegen sei es ein Zeichen für Realismus, wenn man in den Filmen auch mal mitbekommt, dass sich die Münchner Polizisten keine Wohnungen in der Innenstadt leisten können und deshalb 45 Minuten brauchen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen.
Ein sehr privater Kommissar – mehr Privatdetektiv als Polizeibeamter
Da haben sich zwei gefunden: Christian Petzold und Matthias Brandts Kommissar, ein eigenwilliger Filmemacher und ein unkonventioneller Ermittler. Hanns von Meuffels erinnerte schon immer mehr an einen Privatdetektiv als an einen Kriminalbeamten: gesellschaftlicher Außenseiter, zur Melancholie neigender Einzelgänger, ein Preuße in Bayern. Er sah immer so ein bisschen aus wie die Trenchcoat-Kommissare im französischen Film Noir, Simenon-Gestalten, existentialistisch angehaucht und äußerlich kaum zu unterscheiden von den Antagonisten, den Protagonisten des Gangsterfilms. Auf der Seite des Gesetzes hat er (bis die alkoholkranke Kollegin kam) noch nie jemanden getroffen, der ihm das Wasser reichen konnte. Es ist kein Zufall, das sich Petzold vor seinem ersten „Polizeiruf 110“ noch einmal Robert Altmans charakterorientierte Chandler-Verfilmung „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ angeschaut hat. Und es ist auch kein Zufall, dass der Autor-Regisseur, der auch in „Wölfe“ nicht gänzlich auf das Zitieren kultureller Prägungen verzichtet (wieder kommt eine Wurlitzer-Musikbox ins Spiel, wieder übernimmt ein Song, von Cilla Black, eine handlungstreibende Funktion), zwei Filme in den Beziehungsdiskurs seines Paares integriert, die sehr treffend den Referenzrahmen der Hauptfigur spiegeln: „Ein Fall für Harper“ mit Paul Newman als Privatdetektiv nach einem Roman von Ross Macdonald und „Vier im roten Kreis“, Jean-Pierre Melvilles Gangsterfilm-Meisterwerk, ein cooles Schaulaufen im Trenchcoat, bei dem sich Barbara Auers Kommissarin besonders gut an Yves Montand erinnert, der im Delirium tremens allerlei Ekelgetier auf sich zukommen sah. Constanze Hermann muss am Ende keine Angst haben, dass auch sie in den Alkoholwahnsinn abdriftet. Aber es bleibt auch keine Zeit, die mühsam sich erarbeitete Nähe zu ihrem Kollegen auszuleben. Und so darf Christian Petzold Brandt und Auer noch für einem dritten Film begleiten. (Text-Stand: 15.8.2016)
Foto: BR / Christian Schulz