Eine polnische Studentin liegt tot in einem Kanu am Ufer des Finowkanals. Vincent Ross (André Kacmarczyk) und Karl Rogov (Frank Leo Schröder) schließen eine Beziehungstat aus; obgleich der Ex-Freund der Toten (Dominikus Weileder) ziemlich von der Rolle ist. Zielführender sind die Ermittlungen auf den Wasserwegen, bei denen ein Schiffshebewerk und der Eberswalder Hafen ins Zentrum rücken. Freundlich unterstützt werden die Kommissare von der Wasserschutz-Polizistin Gunde Johannsen (Petra van de Voort), die Rogov auffallend sympathisch ist. Für die Tote war die „Hafenaktivität“ im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung von Interesse; dafür hat sie Kameras installiert. In der Mordnacht könnten ihr illegale Vorgänge am Hafen aufgefallen sein. Am Abend hat sie noch mit Kommilitonen und ihrem Professor (Robert Kuchenbuch) in der Nähe gefeiert. Seltsamerweise arbeitet dessen Bruder (Wanja Mues) als Schweißer am Hafen. Beide sind wenig auskunftsfreudig. Ungewöhnlich spät passierte an jenem Abend noch das Binnenschiff der Schwestern Thiele (Jana Julia Roth, Sophie Pfennigstorf) das Hebewerk und nahm im Eberswalder Hafen Fracht auf. Ob Bananen und Viehfutter des Pudels Kern sind?
Foto: RBB / Christoph Assmann
Dieser Krimi erfindet den Whodunit nicht neu, das versucht er gar nicht erst. Dafür punktet dieser „Polizeiruf 110“ mit vielen sympathischen Details auf allen Ebenen, beim Plot, der Dramaturgie und bei der Inszenierung, die in der Summe aus „Wasserwege“ zwar einen unspektakulären Film, aber eine runde Sache machen. Die Geschichte entpuppt sich trotz des möglichen Nachhaltigkeitsgedanken in der Masterarbeit der Toten weder als weltbewegend, noch als übermäßig raffiniert entwickelt. Dafür erlebt man als Zuschauer mit, wie der Fall akribisch rekonstruiert wird. Wie immer in solchen Krimis wird nicht wenig geredet, doch wie Ross und Rogov miteinander kommunizieren, das ist mehr als bloßer Faktencheck. Selbst der graue Ermittlungsalltag („Gut, dann gehen wir noch mal zu Frau Johannsen“) hat bei den beiden etwas Erfrischendes, inklusive eines kaum merklichen Grinsens des Jüngeren über die manchmal etwas ungelenke Art seines Kollegen. Doch wichtiger noch: Über das Reden hinaus bekommt man eine gute sinnliche Vorstellung davon, was wann und wo in der Mordnacht vor sich gegangen sein kann. Anderen Krimis mangelt es häufig an dieser Anschaulichkeit. Immer wieder draußen vor Ort zu sein, in der Landschaft, am Kanal oder auf dem Schiff ist das Alleinstellungsmerkmal dieses Films und sein Titel entsprechend gut gewählt. Auch ein Foto vom Hafen spielt eine verhängnisvolle Rolle für die Geschichte. Es war der Auslöser dafür, dass sich die Studentin am Abend zum Hafen aufmachte. Sie wunderte sich offenbar über das, was sie auf dem Foto sah. Doch was ist das Außergewöhnliche? Kommissar Ross sieht nichts.
Dass zumeist drei Handlungsstränge parallel erzählt werden, fällt in der wenig hippen Pampa um den Oder-Havel-Kanal – im Gegensatz zu Berlin oder Hamburg, wo sich darin die Hektik der Großstadt und die Intensität der Ermittlungen spiegeln könnte – besonders ins Auge und wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Auf Strecke aber erweist sich diese Methode des flotten Szenen-Verschnitts für diese Gegend und diese Geschichte(n) als passend und erzählökonomisch effektiv, hinzu kommen guter Flow und narrative Abwechslung. So geht es beispielsweise vom penibel aufgeräumten WG-Zimmer der Toten mit einem Schnitt aufs Polizeiboot und zurück. Informationsdialoge, vornehmlich adressiert an den Zuschauer, sind in Krimis immer ein Problem. In dem „Polizeiruf“ von Felix Karolus („Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts“) ergibt sich durch das getrennte Ermitteln von Ross & Rogov eine angenehme Informationsdichte, die durch das parallele Erzählen aufgelockert wird. Außerdem wird durch die Zwei-Personen-Szenen, hier Ross mit dem Studenten, dort Rogov mit der Polizistin vom Wasserschutz, ein Beziehungsaspekt etabliert, zu dem es in Interaktionen zu dritt nicht kommen würde. Auf dem Polizeiboot scheint sich zart etwas anzubahnen, und in der WG kann sich Ross Zeit nehmen für den schluchzenden Ex-Freund der Toten. Eine Befragung, in der ein Kommissar dem „Zeugen“ in dessen Wohnung einen Tee kocht, sieht man nicht alle Tage; dieser feinfühlige Jungkommissar, konzentriert gespielt und charismatisch verkörpert von André Kacmarczyk, macht’s möglich. Und Vincent Ross macht noch mehr möglich. Da er nur selten die Respektsperson im Staatsdienst raushängen lässt, kann es zu einer originellen Befragung wie der des Schweißers am Hafen kommen. Der antwortet zwar, arbeitet aber weiter und lässt dabei munter die Funken sprühen. Jeder andere „Tatort“-Kommissar hätte seine Autorität ins Spiel gebracht und damit die Besonderheit dieser Szene zerstört.
Foto: RBB / Christoph Assmann
Oberflächlich betrachtet mag dieser „Polizeiruf“, bei dem der Zuschauer den Kommissaren oft einen kleinen Schritt voraus ist, ein durchschnittlicher Sonntagskrimi sein. Aber wie Ross und der leicht kauzige Rogov hat „Wasserwege“ innere Werte. Und manches, was auf den ersten Blick konventionell erscheint, so im Schlussdrittel das Reinpfuschen des LKA in den Mordfall in Eberswalde, wird erfreulicherweise nicht ausgespielt. Das Finale ist spannend, weil die Situation auch für die Kommissare schwer zu kontrollieren ist und der mutmaßliche Mörder selbst in Lebensgefahr schwebt. Die filmische Auflösung ist etwas weniger gut gelungen. Der Knall-auf-Fall-Schluss wird sicherlich manch einen Zuschauer irritieren. Und der Kritiker hat das Gefühl, dass der eine oder andere Handlungsfaden (die Beziehung der ungleichen Brüder) lose baumelt; so auch am Ende, dort allerdings bewusst. Als ein Schuss Realität? Oder eine Chance, sich wie so oft im Leben und noch öfter in Film-Reihen zweimal zu begegnen?