Ein Kommissar mittendrin in einem weißblauen Verschwörungsszenario?
Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) wird mit einem über fünf Jahre alten Fall konfrontiert. Damals verhaftete er eine offenbar geistig unzurechnungsfähige Frau, die einen Brandanschlag auf ihren Mann verübt hatte. Jetzt wurde jene Julia Wendt (Judith Engel) aus der Psychiatrie entlassen. Die Frau will vor ihrer Verurteilung Beweise dafür gesammelt haben, dass ihr Mann für solvente Kunden Schwarzgeld in die Schweiz transferierte. Jetzt will Wendt mit einer Liste der Steuerbetrüger an die Öffentlichkeit gehen. Doch sie fühlt sich beschattet und sucht eines Abends Hilfe bei von Meuffels. Der hört sie an, ist dann aber genervt von den offensichtlich haltlosen Ängsten. Als die Frau Minuten später vor seinen Augen überfahren wird, sieht der Kommissar Wendts Äußerungen plötzlich in einem anderen Licht. Jetzt ist er es, der nervt mit Fragen zum Prozess von damals, zu den Schwarzgeldkonten, jener Liste und mit dem Namen „Marlene“, dem letzten Wort, das die Sterbende von Meuffels ins Ohr flüsterte. Sein Vorgesetzter Beck (Ulrich Noethen) versucht, von Meuffels in seinem Elan zu bremsen. Und bald stellt sich auch der Fahrer des Unfallfahrzeugs und gesteht die Tat. Doch für von Meuffels passt ein Baustein zum anderen, er malt sich bald ein düsteres Verschwörungs-Szenario aus – und er mittendrin als Zielobjekt einer Überwachung. Auch wenn Beck einzulenken versucht – als dann auch noch das LKA in Gestalt des unangenehmen Matthias Dell (Oliver Masucci) ins Spiel kommt, ist sich von Meuffels seines Verdachts völlig sicher.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Einer, der weiß wie der große Lauschangriff geht, wird doppelt panisch
Ein Kommissar, der mehr und mehr in einen psychischen Ausnahmezustand gerät, weil er das bayerische Demokratieverständnis, bei dem die Großkopferten immer ein bisschen sehr die Nase vorn haben, nicht akzeptieren will – davon erzählt der zwölfte Münchner „Polizeiruf 110 – Sumpfgebiete“. Wem kann von Meuffels noch trauen? Er weiß, wie Observieren geht: der große Lauschangriff heutzutage ein Kinderspiel. Gerade noch hatte er mit seinem neuen Kollegen und einer Überwachungsspezialistin die Wohnung eines mutmaßlichen Prostituiertenmörders fachgemäß verwanzt und mit Minikameras ausgestattet. Kehrt sich nun tatsächlich das System mit denselben Mitteln gegen einen der „Guten“? Ist der aufrechte Preuße im weißblauen Bayern mit seiner Spezerln-Wirtschaft wirklich in ein gesellschaftliches Sumpfgebiet geraten? Oder ist alles nur die Projektion eines Mannes, der in München noch immer nicht recht heimisch geworden ist, eines Einzelgängers, der bei allzu kumpelhaftem Verhalten reflexartig auf Distanz geht (schön die kleinen Gesten, wie sein Chef ihn „verbindlich“ antatscht und von Meuffels das offensichtlich nicht mag)? Oder ist es die Projektion eines moralischen Menschen, dem eine gewisse Mitschuld in den Knochen steckt?
Lange wird der Zweifel genährt: Bei von Meuffels kann man sich nie sicher sein
Fast eine ganze Filmstunde schaffen es die Autoren Holger Karsten Schmidt und Volker Einrauch sowie die vierfach Grimme-Preis-gekrönte Regisseurin Hermine Huntgeburth („Männertreu“), den Zweifel aufrechtzuerhalten. Als ob sie auch dem Zuschauer die Botschaft mitgeben wollten: Du kannst dir niemals sicher sein. Irgendwas wird schon dran sein an dem Verdacht des Kommissars, Opfer einer Verschwörung geworden zu sein, ahnt man als genreerfahrener Zuschauer. Aber Tatsache ist auch, dass sich von Meuffels’ Verdacht in eine Paranoia auswächst. Mitunter sieht er Gespenster. Blicke auf der Straße, keiner ohne Hintergedanken: „Wer observiert mich?“, scheint er sich bei jedem, der seinen Weg kreuzt zu fragen. Vielleicht ist er ja doch mehr neben der Spur, als man einer Fernsehkommissar-Figur für gewöhnlich zugesteht? Hatten wir nicht schon einmal diesen eigenwilligen Adelsspross, fast einen ganzen Film lang, im Titel gebenden „Fieber“ in einer Klinik vor sich hin phantasieren sehen?! In „Sumpfgebiete“ lässt er sich selbst in die Psychiatrie einweisen.
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Hanns von Meuffels ist auf sich allein gestellt – zum Wohle der Filmsprache
In diesem Film ist sich die Hauptfigur selbst genug. Es gibt nicht – wie in zahlreichen Episoden des Reihenablegers aus München – einen Gegenspieler oder fast gleichrangigen Mitakteur. Die Gegner sind lange Zeit unsichtbar, und Hanns von Meuffels ist auf sich allein gestellt; das macht einen Teil der (psychologischen) Spannung aus. Und dieses Faktum bestimmt auch die Inszenierung des Films. Die Regisseurin sah sich erinnert an Francis Ford Coppolas „Der Dialog“. Ähnlich wie dieser New-Hollywood-Klassiker ist auch Huntgeburths „Polizeiruf“ eine One-Man-Show: Ein Mann, seine ungemütliche Wohnung, die Stadt und ihre Plätze, Straßen, ein Imbiss, ein Hotelzimmer, ein Tennisclub, der Olympiapark. Momente fast wie im Kino der 60er und 70er Jahre. Ein Mann ermittelt mit seinen Sinnen: Aus von Meuffels’ gesteigerter und übersteigerter Wahrnehmung entwickelt sich die Geschichte.
Matthias Brandts Kommissar darf seine existentialistische Note betonen
Aus Einsamkeit wird Isolation, aus Eigensinn resultiert Gefahr. Matthias Brandt bläst zwar nicht wie Gene Hackman bei Coppola verzweifelt sein Saxofon, aber auch zum Blues dieses verlorenen Mannes in dieser fremden Stadt passt nichts anderes als cooler Jazz. Der farbentsättigte, anfangs fast schwarzweiß anmutende Look hat etwas Nüchtern-Realistisches und wirkt durch seine filmhistorischen Referenzen zugleich auch kunstvoll stilisiert. Dazu passt, dass Brandts Kommissar wieder einmal seine existentialistische Note betonen darf. Zwar fehlt der klassische Trenchcoat, dafür sieht Oliver Masucci als arroganter LKA-Mann umso mehr aus wie einer, der aus einem Sixties-Spionagethriller entsprungen ist. „Machen Sie jetzt nichts Unüberlegtes“, rät er von Meuffels auf der Zielgeraden, doch dieser will – die Seele lädiert, das Gesicht blutig geschlagen – nicht klein beigeben. Koste es, was es wolle.
Foto: BR / Hendrik Heiden