Cris Blohm (Johanna Wokalek) fährt mit der U-Bahn zur Arbeit. Um sie herum sieht man die Vielfalt menschlicher Typen: eine Frau mit Kopftuch, ein Bayer in Lederhosen-Tracht, eine Trans-Person, ein tätowierter Kerl mit langen Haaren und weitere ausdrucksstarke Figuren aus dem realen Leben. Alle sind mit ihren Smartphones beschäftigt, blicken dann auf und direkt in die Kamera – eine schöne, stumme Szene, begleitet nur von den Four Tops und ihrem fast 60 Jahre alten Song „Reach Out I’ll Be There“. Blohm sieht müde aus, aber das ändert sich schnell. Die Kommissarin scheint ein sonniges Gemüt zu sein. Sie redet und lächelt viel, lässt sich praktisch nie provozieren und wirkt immer neugierig und offen. Eine Menschenfreundin. Auch auf ihren neuen, wortkargen Kollegen Otto Ikwuakwu (Bless Amada) geht sie entschlossen zu. Langsam taut das Eis zwischen der zierlichen Weißen im legeren Outfit und dem großgewachsenen Schwarzen im Maßanzug. Noch schneller warm wird Otto Ikwuakwu allerdings mit Dennis Eden (Stephan Zinner), der auch nach Verena Altenbergers Ausscheiden im Team geblieben ist und weiterhin den klassischen, Dialekt sprechenden Münchener gibt. Weiße Frau, schwarzer Mann und ein Bayer mit Bierruhe – mehr Diversität geht kaum.
Behauptet auch die Polizei: „Bunter als du denkst“, lautet die PR-Kampagne, für die sich Kommissarin Blohm in Uniform fotografieren lässt. Damit sollen mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen angeworben werden. „Vielfalt ist so wichtig“, flötet Pressesprecher Wendelin Georgi (Matthias Bundschuh) ins Mikrofon einer BR-Journalistin. Doch als die keck nachfragt, ob die Polizei ein Problem mit alten, weißen Männern habe, grätscht Polizei-Vizepräsidentin Beatrix Grandl (Christiane von Poelnitz) in scharfem Ton dazwischen: „Das fragt ausgerechnet jemand vom Bayerischen Rundfunk.“ Durchaus witzig, wie hier gleich zu Beginn – zwar etwas plakativ, aber auch mit einem Schuss Selbstironie – die neue Begeisterung für das Schlagwort „Diversität“ aufs Korn genommen und als bloße Sprechblase entlarvt wird.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Das Thema ist damit jedenfalls gesetzt – und wird in der Folge als absurdes gesellschaftliches Theater vorgeführt, in dem sich die Beteiligten hinter ideologischen Mauern in ihrer „little box“ verschanzen und mit leeren Worthülsen aufeinander schießen. Das gilt vor allem für das Uni-Milieu, in dem Blohm und Ikwuakwu das Umfeld des Opfers ausleuchten. Auf dem Rücken der nackten Leiche von Dr. Dawoud Alrashid (Lucas Janson), einem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut für Postcolonial Studies, fand sich das mit Blut geschriebene Wort „Rapist“. Ob Alrashid wirklich ein Vergewaltiger war, lässt sich aber nicht so leicht ermitteln. Denn bei den Befragungen in Alrashids WG und erst recht im Institut treffen Blohm und Ikwuakwu auf lauter Parolenschleudern, zumeist Frauen, die eine gestelzte Formel nach der anderen herbeten und die Polizei ohnehin ablehnen. Abgesehen von dem mulmigen Gefühl, dass sich der Teil des Publikums, dem die zurecht eingeforderte Sensibilität gegenüber Rassismus und Sexismus ohnehin lästig ist, begeistert auf die Schenkel klatschen, bleibt bei dieser Satire auf „Wokistan“ (Dennis Eden) schlicht die Spannung auf der Strecke. Schon das anstrengende Polizei-Führungsduo Grandl/Georgi sind eher Karikaturen, aber die Student:innen und Professor:innen wirken wie fremdgesteuerte Sprech-Automaten. Jedenfalls sind sie erkennbar künstliche Wesen aus der Feder eines Drehbuch-Schreibers, denen Lebendigkeit und Tiefe fehlen. Jede Dialogszene ein vielsagender Schlagabtausch. „Bitte nicht noch einen Vortrag“, sagt Kommissarin Blohm irgendwann genervt. Dem kann man nur zustimmen. Was Autor Stefan Weigl in dem Kino-Kammerspiel „Zeit der Kannibalen“ formidabel gelang, bleibt hier formelhaft und blutleer.
Wenn nach gut 50 Minuten Otto und Dennis zu „Ebony and Ivory“ Arm in Arm durchs Büro tanzen, atmet man erleichtert auf. Auch Johanna Wokalek gibt später noch eine kleine Tanzeinlage, die als Insel der Leichtigkeit willkommen ist. Es gibt auch durchaus treffende Pointen, und wer Aphorismen mag, kommt ohnehin auf seine Kosten. Das ermittelnde Trio von der Polizei tut sich da ebenfalls hervor. „Subtil bringt nicht viel“, passt wohl am besten zum Film. Vielleicht wäre mit noch mehr satirischem Pfeffer eine unterhaltsame Komödie möglich gewesen, aber in einem Krimi-Reihenformat wirkt die Inszenierung nicht schlüssig. In den letzten Minuten wird es zwar noch einmal spannend, aber der Kern der Geschichte ist längst unter einem Berg an Worthülsen begraben. In der beachtlichen Regie-Karriere von Dror Zahavi („Zivilcourage“, „Kehrtwende“, „Tatort – Franziska“) nimmt dieser „Polizeiruf“ nicht den ersten Rang ein.
Dem neuen Team kann man nur bessere Stoffe wünschen. Da ist noch vieles möglich mit der unkonventionellen Cris Blohm, von der man nebenbei erfährt, dass sie gerade von Auslandseinsätzen zurückgekehrt ist. Traumatisiert wirkt die gerne mal drauflos plappernde Kommissarin aber nicht gerade. Johanna Wokalek spielt diese offenbar alleinstehende Frau auf eine verschmitzte und unerschrocken freundliche Art. Schön wäre auch, wenn es beim Münchener Dreigestirn bleiben könnte und Bless Amada den klugen, schwarzen Kommissar Ikwuakwu nicht nur in einer Episode spielt, in dem es um Diversität geht.