Diese Brutalität ist ungewöhnlich für Rostock: Einem Mann wurde mit einer Gartenschere die Zunge aus dem Mund geschnitten. Er konnte seinem Häscher noch entkommen und in ein Taxi flüchten, wo er verblutet und stirbt. Hat sich da jemand mit den falschen Leuten eingelassen: der Russenmafia? Oder in den falschen Kreisen verkehrt: der BDSM-Szene? Eine Spur führt nach Hamburg. Die Ex des Ermordeten, der sich als ein unbescholtener Lehrer mit Hang zu extremen sexuellen Praktiken entpuppt, verstrickt sich in Widersprüche und taucht ab. Zeitgleich erhält Bukow Liebesbotschaften und bekommt Rosen vor die Haustür gestreut. Oder galt das Rosenmeer seiner Frau Vivian? Denn die hat seit Kurzem eine Affäre mit Bukows Freund und Kollege Volker Thiesler. Aber auch Kommissarin König ist in die Rostocker „Liebesspiele“ verstrickt und sie bezahlt dies beinahe mit ihrem Leben.
Foto: NDR / Christine Schröder
König und Bukow alias Sarnau und Hübner gehören zu den Reihen-Ermittlern, denen man besonders gern zuschaut, weil man sie „normal“ findet, nicht so abgehoben, noch nicht so ritualisiert oder abgenutzt durch den jahrelangen Dauereinsatz und weil sich ihnen, ihren Geschichten, ihrem Milieu das Schlüsselwort „Authentizität“ zuschreiben lässt. Die Sympathie hat gleichsam etwas mit den Darstellern als auch mit der Rolle zu tun, die das Privatleben als etwas Persönlichkeitsstiftendes begreift und nicht als notwendiges Übel. Das Biographische dieses Duos im achten Film nicht wie gewohnt parallel zu erzählen, sondern mit der Geschichte des Krimifalls kurzzuschließen, erweist sich bei dieser (psycho)physischen Konstellation als besonders aufregende Variante. Dass es dabei für beide Ermittler um Leben und Tod geht, mag am Ende ein zusätzlicher Kick sein, ist aber nicht das Entscheidende.
„Der Polizeiruf 110 – Liebeswahn“ arbeitet nach dem eindringlichen Schreckens-Intro fast eine Stunde daran, ein Beziehungsnetz über die äußere Handlung zu spannen. Wenn sich dieses Netz dann im letzten Drittel lebensbedrohlich zusammenzieht und man spätestens dann weiß, wer die liebeskranke Spinne ist, geraten der Ermittlungs- und der Ehe-Alltag völlig außer Kontrolle. Rostock wird zum Thriller-Land, das lange Zeit gesichtslose Kapuzenmonster ist unterwegs, der Tatort ein Folterkeller. Autor-Regisseur Thomas Stiller („Sie hat es verdient“) führt den Zuschauer in die kranke Parallelwelt eines liebeswahnsinnigen Menschen. Dabei zitiert er ausgiebig die Bildsprache des Psychopathen-Horrorfilms. Zunächst mag man geschockt sein ob dieses unerwarteten Szenarios: ausgerechnet im realistisch-bodenständigen „Polizeiruf“ aus Rostock. Aber dann, nach dem drastischen Einstieg und der Phase der soliden Ermittlung, stellt es sich ein, „das wohlige Schütteln“, das Stiller beim Zuschauer erzeugen möchte. „Filme sind für mich ‚bigger than life’, also zum Träumen, zum Fürchten oder zu was auch immer; sie haben nicht die Verpflichtung, Realität abzubilden“, betont er. „Was ich allerdings nicht mag und was es in meinen Filmen auch nicht gibt: dass Leute sichtbar im On gequält werden.“ Was er indes mehrfach zeigt, das ist die Angst des Opfers.
Foto: NDR / Christine Schröder
Stillers Stilbewusstsein steht – besonders nach dem letzten, dem ersten schwächeren König-Bukow-„Polizeiruf“ – Sarnau und Hübner gut zu Gesicht. Die Haare dunkel nachgetönt, das gehört zum visuellen Konzept, dem genrehaften kühlen Düster-Look und der klaren, kontrastreichen Bildästhetik. Dass die bislang wenig stilsichere König ihren Ossi-Style mit Faltenrock und blumigen Blusen abgelegt hat und anfangs mehr wie Lulus kleinkarierte Schwester aussieht, auch das passt nicht nur zum coolen Genrespiel des Films, sondern ist auch psychologisch nicht falsch: im letzten Fall erfuhr die Kommissarin das Geheimnis ihrer Herkunft – das hat sie verändert und das zeigt sich auch an ihrem veränderten Outfit. Und Bukow? Seiner Figur tut es gut, dass er, nachdem ihn König vom Korruptionsverdacht befreit hat und er zuletzt deshalb eine übertriebene Mackerhaftigkeit an den Tag legte, durch die doppelte Bedrohung seines Familienglücks ausgebremst wird. Fazit: klug reduziertes Personal, konzentrierte Geschichte, fein nuancierte Genre-Spannung, wohl dosierte Horrorfilm-Elemente, klares Ästhetik-Konzept. Ein starkes Stück. (Text-Stand: 12.1.2013)