Eine junge Frau rennt nackt durch die schwäbische Nacht. Dazu dröhnt der Cranberries-Hit „Zombie“. Ein ungewöhnlicher Einstieg in einen „Polizeiruf 110“. Auch später, wenn ein Kripo-Beamter zum Striptease ansetzt oder sabbernde Fratzen in die Kamera lachen, hat man mitunter den Eindruck, als ob Kafka das Drehbuch von Klaus Peter Wolf redigiert und ein Nachwuchs-David-Lynch Regie geführt habe. „Kleine Dealer, große Träume“ von Urs Odermatt ist ungewöhnlich – noch zu ungewöhnlich für das deutsche Primetime-Publikum?
Es geht um Drogen, um die Sucht, das Geschäft mit dem weißen Pulver, um das Gemauschel zwischen Dealern und Drogenfahndern. Bibi (Nadja Uhl) ist heroinsüchtig und minderjährig. Ihr Freund Atze (Jürgen Vogel) will sie in eine Schweizer Klinik auf Entzug schicken, in der keine dummen Fragen gestellt werden. Allein es fehlt das Geld. Da bekommt er durch Zufall Heroin in die Hände. Eine einmalige Chance, denkt er. Doch dann stehen zwei Killer auf der Matte – und Heiner (Dominic Raacke), ein Polizist, der Bruder von Atzes Ex-Freundin, gleich noch dazu. Auch sie war drogenabhängig, sprang aus dem Fenster. Eine schwere Bürde für die beiden Männer. Klaus Peter Wolf, Jugendbuch und viel beschäftigter Drehbuchautor („Svens Geheimnis“), schrieb die Vorlage. Einer, der recherchiert und weiß, wie es in der Szenen aussieht. „Doch Urs Odermatt hat die Geschichte, wie sie im Buch klar und deutlich erzählt wurde, nicht so klar und deutlich inszeniert“, so der verantwortliche SDR-Redakteur Ulrich Bendele. „Wir waren nicht glücklich über diese überspitzte Kennzeichnung ins Groteske.“ Der Schweizer Regisseur habe die Geschichte aus dem Auge verloren. Ihn habe mehr interessiert, wie sich Situationen effektiv bebildern lassen, um einen filmischen Sog zu erzeugen, und „was man mit Schauspielern alles machen kann“.
Foto: SWR / Schröder
In punkto Schauspieler konnte Odermatt freilich in die Vollen greifen: Angelica Domröse, Jürgen Vogel, Dominic Raacke und das Jungtalent Nadja Uhl – das verspricht alles andere als glatte Fernsehkrimi-Routine. SDR und ARD hätten es indes lieber etwas konventioneller gehabt. „Wir haben eine Dienstleistung für die ARD zu erbringen“, betont Bendele. Es sei ein Unterhaltungstermin; Experimente seien da prinzipiell nicht erwünscht. „Für diesen Sonntagabend-Termin gibt es objektiv gesehen schlechtere Filme, die aber besser funktionieren.“ Klingt mutlos. Kleine öffentlich-rechtliche Redakteure, k(l)eine Träume. Da hält man sich als Zuschauer lieber an Odermatts Schrägheiten. (Text-Stand: 15.6.1996)