Polizeiruf 110 – Kleine Dealer, große Träume

Domröse, Raacke, Vogel, Uhl, Wolf, Odermatt. Macht da einer auf David Lynch?

Foto: SWR / Schröder
Foto Rainer Tittelbach

„Kleine Dealer, große Träume“ von Urs Odermatt war 1996 filmästhetisch ein Novum am Sonntagabend. Entsprechend galt dieser „Polizeiruf 110“ mit der traumhaften Besetzung Angelica Domröse, Dominic Raacke, Jürgen Vogel und Nadja Uhl in einer ihrer ersten Rollen als zu ungewöhnlich für das Primetime-Publikum. Der verantwortliche SDR-Redakteur ging damals mit seinem Regisseur schwer ins Gericht. Träume gab es Mitte der 90er Jahre kaum in öffentlich-rechtlichen Anstalten. Man darf gespannt sein, wie der Film heute wirkt…

Eine junge Frau rennt nackt durch die schwäbische Nacht. Dazu dröhnt der Cranberries-Hit „Zombie“. Ein ungewöhnlicher Einstieg in einen „Polizeiruf 110“. Auch später, wenn ein Kripo-Beamter zum Striptease ansetzt oder sabbernde Fratzen in die Kamera lachen, hat man mitunter den Eindruck, als ob Kafka das Drehbuch von Klaus Peter Wolf redigiert und ein Nachwuchs-David-Lynch Regie geführt habe. „Kleine Dealer, große Träume“ von Urs Odermatt ist ungewöhnlich – noch zu ungewöhnlich für das deutsche Primetime-Publikum?

Es geht um Drogen, um die Sucht, das Geschäft mit dem weißen Pulver, um das Gemauschel zwischen Dealern und Drogenfahndern. Bibi (Nadja Uhl) ist heroinsüchtig und minderjährig. Ihr Freund Atze (Jürgen Vogel) will sie in  eine Schweizer Klinik auf Entzug schicken, in der keine dummen Fragen gestellt werden. Allein es fehlt das Geld. Da bekommt er durch Zufall Heroin in die Hände. Eine einmalige Chance, denkt er. Doch dann stehen zwei Killer auf der Matte – und Heiner (Dominic Raacke), ein Polizist, der Bruder von Atzes Ex-Freundin, gleich noch dazu. Auch sie war drogenabhängig, sprang aus dem Fenster. Eine schwere Bürde für die beiden Männer. Klaus Peter Wolf, Jugendbuch und viel beschäftigter Drehbuchautor („Svens Geheimnis“), schrieb die Vorlage. Einer, der recherchiert und weiß, wie es in der Szenen aussieht. „Doch Urs Odermatt hat die Geschichte, wie sie im Buch klar und deutlich erzählt wurde, nicht so klar und deutlich inszeniert“, so der verantwortliche SDR-Redakteur Ulrich Bendele. „Wir waren nicht glücklich über diese überspitzte Kennzeichnung ins Groteske.“ Der Schweizer Regisseur habe die Geschichte aus dem Auge verloren. Ihn habe mehr interessiert, wie sich Situationen effektiv bebildern lassen, um einen filmischen Sog zu erzeugen, und „was man mit Schauspielern alles machen kann“.

Polizeiruf 110 – Kleine Dealer, große TräumeFoto: SWR / Schröder
Schöne Süchtige (in einer ihrer ersten Rollen: Nadja Uhl), kleiner Dealer (noch mit vollen Haar: Jürgen Vogel) – große Liebe?

In punkto Schauspieler konnte Odermatt freilich in die Vollen greifen: Angelica Domröse, Jürgen Vogel, Dominic Raacke und das Jungtalent Nadja Uhl – das verspricht alles andere als glatte Fernsehkrimi-Routine. SDR und ARD hätten es indes lieber etwas konventioneller gehabt. „Wir haben eine Dienstleistung für die ARD zu erbringen“, betont Bendele. Es sei ein Unterhaltungstermin; Experimente seien da prinzipiell nicht erwünscht. „Für diesen Sonntagabend-Termin gibt es objektiv gesehen schlechtere Filme, die aber besser funktionieren.“ Klingt mutlos. Kleine öffentlich-rechtliche Redakteure, k(l)eine Träume. Da hält man sich als Zuschauer lieber an Odermatts Schrägheiten. (Text-Stand: 15.6.1996)

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Reihe

SWR

Mit Angelica Domröse, Dominic Raacke, Jürgen Vogel, Nadja Uhl, Kathrin Angerer, Götz Otto, André Jung, Rosemarie Fendel

Kamera: Fritz Moser

Szenenbild: Klaus-Peter Platten, Regine Witzig

Schnitt: Christiane Krafft

Musik: Norbert J. Schneider

Produktionsfirma: Süddeutscher Rundfunk

Drehbuch: Klaus-Peter Wolf, Friedhelm Zündel

Regie: Urs Odermatt

EA: 15.06.1996 20:15 Uhr | ARD

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