Gerade noch hat Sylvia Schulte (Kathrin Bühring) eine flammende Wahlkampfrede gehalten. Wenig später wird die Rostocker Oberbürgermeisterkandidatin der rechtspopulistischen PFS mit Benzin überschüttet und angezündet. Die Frau verbrennt bei lebendigem Leib. Für Profilerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) ist es eine Tat aus Hass und dem Drang heraus, vernichten zu wollen. Und für Abteilungsleiter Röder (Uwe Preuss) tut sich vor allem ein politisches Minenfeld auf. Aber auch zwischen Bukow (Charly Hübner) und seiner Kollegin ist die Lage angespannt. Gegen die LKA-Frau läuft ein Disziplinarverfahren wegen Körperverletzung im Amt; weil Bukow für sie ausgesagt und König wenig später gestanden hat, haben die Behörden auch ihn am Wickel. So versuchen die beiden nun, an den Rechten ihr Mütchen zu kühlen: Doch während König politisch argumentiert und wütend polemisiert, bringt der von König enttäuschte Bukow Verständnis auf für die „armen“ PFS-Wähler. Als dann aber die ersten Verdachtsmomente auftauchen, besinnen sich beide ihrer Professionalität: Offenbar hat nicht nur der farblose Fraktionsvorsitzende Herlau (Michael Wittenborn), der Schultes Tochter Lena (Pauline Rénevier) als neues, junges Gesicht der Partei aufbauen möchte, eine Leiche im Keller. Auch der Ex-Mann der Toten (Patrick von Blume), ein brauner Bio-Bauer, und Schultes syrischer Referent Karim Jandali (Atheer Adel) haben so ihre ganz privaten Geheimnisse. Ja, was macht überhaupt ein ehemaliger Flüchtling bei der PFS?! Und auch die Tote hatte offenbar einst braune Flecken auf ihrer heute so blütenweißen Weste.
Foto: NDR / Christine Schroeder
„Eine persönliche Tat ohne politisches Motiv“, vermutet die LKA-Beamtin König zu Beginn des siebzehnten Rostocker „Polizeirufs 110 – In Flammen“ hinter dem bestialischen Mord. Der Zuschauer hingegen erkennt schnell, dass dieser Fall, der kräftig rührt in der braunen nationalen Ursuppe, letztlich ein politisch motivierter sein muss, wenn sich Autor Florian Oeller („Tödliche Geheimnisse“) schon die Mühe macht, alle erdenklichen Phänomene am recht(sradikal)en Rand in die Geschichte einzubringen. Da sind die völkischen Siedler um den Ex-Mann der Toten, die auf dem Fundament einer rassistischen Blut-und-Boden-Ideologie ihrer Sehnsucht nach dem vierten Reich Ausdruck verleihen. Da ist die rechtspopulistische Partei, die sich demokratisch gibt, aber vor allem mit ihren angstschürenden Parolen Stimmung macht und Stimmen fängt. Für die PFS stand natürlich die AfD Pate. Und das Gesicht, dieses eisige, durchaus charismatische Strahlen von Schulte ist unverkennbar dem Strahlen von Frauke Petry nachempfunden – von dem aktuell im Politikalltag nicht mehr viel zu sehen ist: Die NDR-Produktion war Mitte 2017 bereits abgedreht, also noch vor der Bundestagswahl und Petrys AfD-Abgang. Aber auch eine rechtsradikale Untergrundzelle spielt im Schlussdrittel eine für die Handlung nicht unwichtige Rolle. Und sogar eine NSU-verdächtige Spur wird noch auf der Zielgeraden ausgelegt. Oeller packt da ein bisschen viel rein. „Jedes Motiv und jedes Milieu im Film hat seine Verankerung in der Realität“, betont zwar der Autor für die politisch brisanten Fälle, doch die extreme Häufung der rechtsradikalen Milieus macht aus „In Flammen“ nicht nur einen politisch engagierten Themenfilm, sondern gegen Ende auch eine ziemliche – für Rostock ungewöhnliche – Räuberpistole. Das Finale weiß zumindest spannungstechnisch zu überzeugen. Und dass der Täter nicht völlig aus dem Hut gezaubert wird, versöhnt mit der etwas nebulösen Lösungskonstruktion, die in 15 Minuten all‘ das nachzuholen versucht, was der Film in Sachen Dringlichkeit eine Stunde lang versäumt hat. Gut jedenfalls, dass der tief liegende Konflikt zwischen den beiden Kommissaren in dieser Episode nicht auch noch ausagiert wird. Vielmehr dient er als emotionaler Unterboden. Die Beziehung darf – ganz im Gegensatz zum letzten Film der Reihe „Einer für alle, alle für Rostock“ – ruhen, sie ist allenfalls Katalysator für den Fall.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Wenn ein Dialog vor allem der Information des Zuschauers dient…
„Sie schlagen Ihren Fast-Vergewaltiger fast tot, Ihr Kollege lügt für Sie, um Sie vor einer Strafe zu retten, Sie bedanken sich mit Moral, gestehen und ziehen ihn dadurch mit in ihre Scheiße rein“, fährt der durchweg übel gelaunte Röder König gleich zu Beginn von der Seite an. Irgendwie muss man die Kurve zum letzten Film kriegen, denn nicht jeder hat ihn gesehen oder erinnert sich noch an ihn. Dies ist allerdings schon ein ziemlich uneleganter Info-Dialog. Ähnlich verhält es sich mit einem Disput zwischen Fraktionsvorsitzendem und dem Schulte-Referenten, der vor allem Andeutungen für den Zuschauer macht („Sie wären in Kürze gestolpert“), für die Binnenkommunikation jedoch nicht stimmig ist.
Weil Autor Oeller so viel unterzubringen versucht in der Geschichte, entscheidet er sich für einen Whodunit, weil sich mit diesem Krimi-Muster die Themen und politischen Positionen am leichtesten nebeneinanderstellen lassen. Das wirkt auf die Dauer etwas schematisch. Jede gesellschaftliche Haltung bekommt ihren Stellvertreter. Das muss wohl so sein im öffentlich-rechtlichen Ausgewogenheits-Fernsehen; da wäre man in Skandinavien oder den USA mutiger. Zumindest König wirft einen kompromisslosen Blick auf das Rechtspopulismus-Syndrom. Die linke „Studierte“ weiß es besser und sie hat Wut auf die sogenannten „besorgten Bürger“. Dagegen kennt und versteht Bukow, der Straßenköter, die Menschen besser. Dieser reizvolle Gegensatz, der sehr viel näher dran ist am Phänomen AfD, Pegida & der damit verbundenen, zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, als es eine mit Fakten gespickte Fiction-Handlung sein kann, wird nur ein einziges Mal – reizvoll – ausgespielt. Da wird das Politische auf einmal sehr privat. Saufen, das können die beiden zusammen. Das haben sie oft genug bewiesen. Auch von ihrem Naturell her sind sich König und Bukow ähnlicher als in den ersten Episoden der Reihe angenommen. Aber ihre sozialen Wurzeln sind völlig verschieden. Der Film besitzt weitere gut gebaute Szenen, beispielsweise das ausgedehnte Verhör des Syrers, in dem die verschiedenen Strategien (König setzt auf die „gekränkte Männerseele“, Bukow wirbt für „das erlösende sich Öffnen der Pupillen, wenn man die Wahrheit gesagt hat“) nicht geeignet sind, den Verdächtigen zu überführen, oder das vermeintlich heimelige Zusammensitzen zwischen Bukow und der zweiten Frau von Schulzes Ex-Mann („Schulze war seine Göttin“), mit der er im Dienste der Ermittlungen beinahe zu flirten scheint. Und Michael Wittenborn verleiht seinem PFS-Fraktionschef mehr Konturen, als die Rolle hergibt.
„In Flammen“ entwickelt keinen Sog wie andere „Polizeiruf“-Episoden aus Rostock. Die neue Unübersichtlichkeit der rechten Szene geht nicht nur in die Geschichte ein, sondern auch in die Dramaturgie. So kann sich Regisseur Lars-Gunnar Lotze noch so mühen, ein für den Zuschauer süffiger Erzählfluss gelingt ihm für diesen Film nicht (bei Thrillern mit Action-Momenten wie seinen „Stralsund“-Krimis ist es leichter, diesen finalen Flow herzustellen). Und selbst die letzten 15 Minuten wirken eher hektisch als dynamisch. Das Physische, die spezifische Signatur der Rostock-Krimis, bleibt diesmal weitgehend beschränkt auf die Performance der Schauspieler. Und so muss Sarnau motzen, kläffen, Hübner muss brüllen, darf aber auch schon mal den good Cop geben. Viele Rollen fordern offensichtlich ein exzessives Spiel. Einer weint, andere werden sarkastisch, die Tochter der Toten fällt erst einmal in Ohnmacht, und wieder andere sind offenbar von Haus aus aggressiv und gewalttätig. Es geht ans Eingemachte, alle sind irgendwie angeschlagen. Und am Ende hat man den Eindruck, dass dieser Film trotz vieler guter Momente als Ganzes weder ein richtig guter Themenfilm, noch ein richtig guter Krimi ist. Kontraproduktiv erscheint auch das dramaturgische Prinzip, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, weil dadurch die Zwischentöne auf der Strecke bleiben. Die aber sind wichtig, gerade bei solchen Geschichten und bei authentischen Charakteren wie den beiden Energiebündeln aus Meck-Pomm.