Eine verdeckte Ermittlung mit den Rostocker Zollfahndern endet in einem Desaster: drei Tote – eine Informantin, ein Drogenkurier, und wenig später erwischt es auch noch den Einsatzleiter. Dass hinter diesem Mord die kalabresische Mafia steckt, die wenige Stunden, nachdem man sie um 30 kg Koks erleichterte, zurückgeschlagen hat, sei unwahrscheinlich, glauben Bukow (Charly Hübner) und König (Anneke Kim Sarnau). Wer in Rostock, dem Knotenpunkt des norddeutschen und skandinavischen Drogenhandels, Milliarden umsetzt, töte nicht vergleichsweise für solche „Peanuts“. Während Pöschel (Andreas Guenther) das interne Umfeld der Zollkollegen ins Visier nimmt und Hinweisen auf Korruption nachgeht, bleiben die Chef-Ermittler dennoch den feinen Herren der „Ndrangheta“ auf den Fersen, durchleuchten das Privatleben und die seltsamen Arbeitsmethoden des erschossenen Zollfahnders – und haben auch viel mit sich selbst zu tun: Bukow ist seelisch angeschlagen, Frau weg, die Kinder entfremdet, sein alter Herr steht vor einer lebensgefährlichen Operation, und die Kollegin fühlt sich zu Höherem berufen. Der Fall nimmt eine Wende, nachdem jener Psychopath (Gerdy Zint), der einst Katrin König ins Koma geschossen hat, in der Drogenszene auftaucht. Als Bukow die Zollfahnderin Jana Zander (Elisabeth Baulitz), die Ziehtochter ihres ermordeten Chefs, zu den Ermittlungen hinzuzieht, steht das Team kurz vor einem Fahndungserfolg.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Nachdem im letzten Jahr das NDR-„Polizeiruf“-Team mit den Ermittlern vom MDR gemeinsame Sache gemacht haben, in der Doppelfolge „Wendemanöver“, bei der die ganz speziellen Befindlichkeiten der eigenwilligen Rostocker ruhen mussten, macht „Im Schatten“ in etwa da weiter, wo „Sturm im Kopf“ aufgehört hat: Bukow behindert zwar nicht die Ermittlungen und auch Thieslers Affäre mit seiner Frau ist so gut wie vergessen (schließlich wäre die Ehe ja auch ohne den Kollegen in die Brüche gegangen), er befindet sich aber emotional in einem bemitleidenswerten Zustand. Gleich zu Beginn geben er und König sich gemeinsam die Kante, was er zu einer Anmache nutzt, die mächtig danebengeht. Man muss sich schon Sorgen machen um diesen Mann, der mitten in einer Observierungsaktion unvermittelt und bierernst fragt: „Frau König, kommen wir eigentlich mal zusammen?!“ Ohne die ausgleichende Kraft einer Frau ist dieser bissige Straßenköter nur noch ein verzweifeltes Etwas. Und selbst auf „Vattern“ ist kein Verlass mehr. Für Charly Hübner heißt das: Sein Blick bekommt eine zunehmend beängstigende Leere. König, die auch ihre Päckchen zu tragen hatte im Laufe der 2010 gestarteten Reihe, wirkt für ihre Verhältnisse fast ausgeglichen. Gründe zum gelegentlichen Angefressensein hat aber auch sie: mal wegen Bukos billiger Macho-Tour, mal, weil sie sich in der Sache mit der Kollegin vom Zoll übergangen fühlt, und ein anderes Mal, weil ihr diese perfiden Machenschaften des Mafia-Clans dermaßen gegen den Strich gehen, dass sie den „Ndrangheta“-Oberboss völlig undiplomatisch und aggressiv angeht.
Foto: NDR / Christine Schroeder
„Im Schatten“ ist nach „Fischerkrieg“ und „Sturm im Kopf“ der dritte Rostocker „Polizeiruf“, für den Florian Oeller („Tatort – Zorn Gottes“) das Drehbuch geschrieben hat. Da die Plots bei diesem Ableger der Reihe in besonderem Maße aus den Charakteren schöpfen, verwundert es nicht, dass Episode Nummer 14 wie ein Mix aus Krimi und Drama wirkt. Denn auch die Geschichten der „Gast“-Figuren werden immer wieder atmosphärisch über die Ermittlungen gelegt und mit den Stimmungslagen der Hauptfiguren abgeglichen – viel Hoffnung dürften sie Bukow nicht geben: Da ist die Frau eines Polizisten, die 30 Jahre Angst um ihren Mann hatte, immer nur warten musste, die sich deshalb getrennt hat, darüber Krebs bekam, einen Junkie zum Sohn hat und die nun nicht mehr warten muss. Auch das Schicksal der Frau vom Zoll weist einige Parallelen zu Königs Biographie auf: Beide sind bei Pflegeeltern groß geworden.
Das alles wird in typischer „Polizeiruf“ Rostock-Manier nur beiläufig erwähnt. Es werden hier keine großen psychologischen Fässer aufgemacht – aber ein sehr stimmiger emotionaler Unterboden ausgebreitet, auf dem die Krimi-Aktionen umso dichter und emotional geschmeidiger ablaufen können. Angenehm ist auch, dass der sich verkannt fühlende Pöschel, dessen Buhmann-Funktion gelegentlich schon zum dramaturgischen Klischee verkam, einen Gang runterschalten darf. Dramaturgisch ein kluger Weg ist es, das sogenannte horizontale Erzählen vor allem aus den stimmigen Charakterzeichnungen der Hauptfiguren abzuleiten. Das machen die Rostocker Autoren anders als die (oder der: Jürgen Werner) vom Dortmunder „Tatort“: Sie plotten die Geschichten mehrerer Filme nicht streng durch und sind auch filmästhetisch weniger durchgestylt. Die geringere Stringenz – für den Zuschauer, der zwei Jahre auf den neuen Meck-Pomm-„Polizeiruf“ warten musste (die Frequenz bei Hartmann & Co ist ungleich höher), sicher nicht die falsche erzählpolitische Methode – ist vor allem einem anderen Realismus-Konzept geschuldet: Bei Bukow, König & Co wird stärker mit dem Prinzip des Zufalls gespielt, so wie er einem auch im Alltag begegnen kann. So kommt dieses Mal beispielsweise ein alter Bekannter wieder zum Zug: der „Adler“ Mirko fliegt ein, was für eine feine, kleine „Verdichtung“ sorgt. Durch diese Zufälle entsteht eine besondere – nicht zuletzt filmische – Qualität. Das entspricht von der Tonlage her eher einer Atmosphäre, wie man sie aus Kinofilmen kennt – mit größeren Freiräumen häufig auch für den Zuschauer.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Apropos Kino: Dass der junge Philipp Leinemann für diesen „Polizeiruf 110“ verpflichtet wurde, hat gute Gründe. „Im Schatten“ ist sein erster Fernsehfilm (vor „Die Informantin“) nach seinem viel beachteten zweiten Kinofilm „Wir waren Könige“, einem beeindruckenden Polizeithriller mit Zehrfeld & Maticevic, mit dem er den Anschluss suchte an die Dominik-Graf-Filme des Genres. So furios und actionhaltig ist sein TV-Debüt nicht geworden – was sich folgerichtig aus der Geschichte ergibt. Bukows Verpanzerung lässt ihn längst nicht mehr so direkt mit seiner Außenwelt kommunizieren – sprich: Der Bulle konfrontiert seine Umwelt nicht mehr so unmittelbar mit seinen Problemen. Dazu wiederum passt das Kamera-Konzept von Leinemann und Jan Fehse vorzüglich. So kam bei einigen Szenen das „Ronin-System“ zum Einsatz, eine Mischung aus Handkamera und Steadycam. Gearbeitet wurde außerdem mit zwei Kameras. „Das hat uns eine große Freiheit gegeben in der Kameraführung, ohne die Kamera zu unruhig zu machen“, betont Leinemann. „Sonst gibt es beim Rostocker ‚Polizeiruf’ oft eine harte Handkamera, die das Ganze etwas ruppiger macht.“ Die Geschmeidigkeit, die sich ja bereits im psychologischen Konzept des Films zeigt, setzt sich also auch in der Bildsprache fort, in einer fließenden Kamera, die den Schauspielern etwas mehr Raum lässt und einer für Rostock ungewöhnlichen, weniger schnittintensiven Montage. So wird denn auch beim Finale nicht das große Besteck ausgepackt, sondern der Fall wird sehr intim, aber nicht weniger dramatisch (auf)gelöst. Und ganz am Ende starren einen dann die Augen von Charly Hübners Bukow sehr beunruhigend an… (Text-Stand: 20.9.2016)