„Die Psychologie ist noch zu kurz gekommen“, befindet Gaby Dohm nach den ersten beiden Fällen des neuen „Polizeiruf 110“ vom Bayerischen Rundfunk, in dem sie eine Psychologin spielt, die der überforderten Nürnberger Polizei bisweilen verhaltenstherapeutisch unter die Arme greift. Doch der einstige Liebling der „Schwarzwaldklinik“, noch immer mit einem Bekanntheitsgrad von 92 Prozent bei der deutschen Bevölkerung, ist zuversichtlich, dass die Geschichten hinter den Kriminalstorys künftig stärker in den Blickpunkt rücken.
Noch dominiert klassische Ermittler-Routine. Habgier oder Eifersucht, andere Mordmotive kennt Kripochef Maiwald nicht. Der interessiert sich ohnehin mehr für seine Pathologin als für den Mord an einer wohlhabenden Bulimikerin. Für ihn steht fest: der jähzornige Ehemann war’s. Wer auf Sadomaso steht, hat bei der Nürnberger Kripo keine guten Karten. Erst als herauskommt, dass die Schönheitsklinik, in der die Tote regelmäßig Entspannung suchte, zum Alleinerben erklärt wurde, wird er misstrauisch. Es trifft sich gut, dass er einen Draht zur Psychologin Silvia Jansen hat. Die schickt er in die Höhle des Löwen.
Ein pragmatischer Polizist und eine am Menschen interessierte Psychologin versuchen sich im Miteinander, doch nie wird es ein bedingungsloses Miteinander. „Dr. Jansen ist langsamer, ist interessierter daran, Leute zum Reden zu bringen und von sich zu erzählen, anstatt einen Fall nur schnell abzuschließen, um vor Politikern gut dazustehen“, sagt Dohm. Mit dieser weiblichen Art der Ermittlung, glaubt sie, hänge auch der Trend zu weiblichen Krimihelden zusammen. „Frauen sind oft neugieriger, haben mehr Gefühl und einen besonderen Zugang zur Psychologie, sind nicht so schnell auf der kämpfenden Seite und dadurch nicht so rasch blockiert.“ Der männliche Jagdinstinkt sei im Krimi an seine Grenzen geraten.
Klingt einigermaßen plausibel. Schade nur, dass der Auftakt zur Reihe wenig davon vermittelt. Das findet auch Gaby Dohm. „Zu kurz gekommen ist auch die Einführung der Figur. Warum macht sie eigentlich diesen Job?!“ Mit der Kultserie „Für alle Fälle Fitz“ (der BR zog wohlweislich den Arbeitstitel „Eine Frau für alle Fälle zurück“) hat dieser erste „Polizeiruf – Im Netz der Spinne“ also wenig zu tun. Die Psychologie ist weder Movens der Handlung, noch werden dem Zuschauer Einblicke in die Abgründe der Seele gewährt. So gibt es keinerlei Zusammenhänge zwischen Bluttat und psychischem Defekt. Vielmehr wird in klassischer Serien-Ideologie den „Guten“ das böse Kranke gegenübergestellt. Die dunkle Seite der guten Seele hat in diesem konventionellen, fast reaktionären Krimi keine Existenzberechtigung. Wer den klassischen DFF-„Polizeiruf“ kennt, jene Opfer/Täter-Krimis, in denen stets die Tatmotive wichtiger waren als die Ermittlung, der muss jenen zumindest handwerklich routiniert gemachten Krimi von Klaus-Peter Wolf („Sportarzt Conny Knipper“) und Regisseur Erwin Keusch geradezu als ein Abwatschen der DDR-Fernsehgeschichte empfinden.
Für ihre Rolle hat sich Gaby Dohm von einer Psychologin hinreichend beraten lassen. „Wie schützt man sich davor, zusehr in einen bestimmten Krankheitsfall involviert zu sein und mit dem Täter unter Umständen zu sehr mitzuleiden?“ – das wollte sie vor allem wissen. „Anscheinend muss man sich schon in gewisser Weise mit dem Patienten identifizieren. Man muss eine Leidensfähigkeit haben, muss sich aber auch durch Selbstanalyse davor bewahren, sich zu sehr auf eine Geschichte einzulassen“, betont Gaby Dohm. Sie jedenfalls scheint bestens gerüstet für bessere Geschichten. (Text-Stand: 26.10.1997)