Was haben eine Bauernhof-Tragödie in Polen mit einem „Reichsbürger“ zu tun?
Eine Bauernfamilie aus Zimowe Pole wird von Schicksalsschlägen heimgesucht. Eines Nachts geht der Stall des Hofs in Flammen auf, alle Kühe verenden, und drei Tage später kommt der Bauer bei einem erneuten Überfall ums Leben. Für seine deutsche Frau Jenny (Anna König) könnte sich dadurch die Möglichkeit ergeben, das Land lukrativ zu verkaufen. Doch Tomasz (Joshio Marlon), der Sohn des Toten aus erster Ehe, stellt sich quer. Auch der Bruder ihres Mannes, Andrzej Sekula (Marcin Pietowski), ein ungehobelter Macho, ist gegen die Veräußerung des traditionsreichen Bauernhofs. Nachdem Olga Lenski (Maria Simon) auf der anderen Seite der Grenze einen Einsatz hatte, bei der sich ein „Reichsbürger“ (Waldemar Kobus), der sich weigert, Steuern zu zahlen, mit Waffengewalt Gehör verschaffen wollte, können sie und ihr Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) sich nun ganz auf das familiäre Drama in Polen konzentrieren. Alle drei Sekulas zeigen sich wenig kooperativ. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Die explodierenden Bodenpreise könnten etwas mit dem Mord zu tun haben. Ein gewisser Majewski (Tadeusz Chudecki) macht offenbar den Strohmann für deutsche Agrarkonzerne, die polnisches Land aufkaufen wollen. Seine illegalen Geschäfte haben dem Mann einen Finger gekostet. Mord und Mafia-Methoden – alles „nur“ wegen 10 Hektar Land? Vielleicht sind die Kommissare ja noch einer größeren Sache auf der Spur.
Bis ins Detail wie ein Western erzählt, und es wird geflucht, beleidigt & geschossen
Mehr denn je nimmt „Heimatliebe“, der siebte „Polizeiruf 110“ um die Mordkommission im deutsch-polnischen Grenzgebiet, die Landschaft ins Visier. Der Film von Christian Bach, seine erste TV-Produktion nach seinem vielbeachteten Kinodebüt „Hirngespinster“, ist wie ein Western erzählt: Das weite Land übernimmt aber nicht nur eine atmosphärische Funktion, sondern auch die Themen und Motive dieses uramerikanischen Genres spielen eine zentrale Rolle in der Geschichte: die Grenze, der eigene Grund und Boden, der Feind, die Großgrund-Besitzer und der ewige Kampf zwischen individueller Freiheit und dem Stern des Gesetzes. Und auch die ikonischen Zeichen des Western, der Revolver, das Messer, das Gewehr, die Ranch, der Überfall, finden reichlich Verwendung. Der Saloon heißt „Deutsche Eiche“ und geritten wird in Blechkarossen. Geredet wird nicht zu viel; allenfalls bei den Überlandfahrten werden Infos zum Thema Landkauf und Bodenspekulation in die Gespräche eingeschoben. Es wird geflucht, beleidigt und geschossen. Maria Simon darf Lenskis wachen, leicht süffisanten Blick aufsetzen, der auch ein Stück weit Befremden darüber ausdrückt, was sie da zu hören bekommt von den Heimatliebenden diesseits und jenseits der Grenze. Lucas Gregorowicz‘ Raczek ist da schon dünnhäutiger. Zu Beginn sind beide auf moderate Konfrontation gebürstet (Zankapfel ist die Tochter von Lenski, die sie im Büro ablädt), aber die Unverschämtheiten der Befragten besitzen eine heilende Wirkung für das angespannte Verhältnis der Kommissare.
Ein spröder Realismus, der Land und Leute stimmungsvoll in den Film einbindet
„Heimatliebe“ zeichnet sich durch einen für diesen „Polizeiruf“-Ableger so typischen spröden Realismus aus, der Land und Leute stimmig und stimmungsvoll in den Film einbindet. Dazu tragen die authentisch wirkende Besetzung (auch aller Episodenhauptrollen) und der alltagsnahe Umgang mit den Landessprachen bei. Mit der Untertitelung übertreiben es die Macher nicht, gelegentlich gibt Raczek für Lenski den Dolmetscher; darüber hinaus sind die Sätze in den Befragungen knapp und markant („Die Nazi-Schlampe soll Polnisch reden, wir sind hier in Polen“), sodass es nie zu viel zum Mitlesen gibt. Zur guten Orientierung tragen zu Beginn auch die Inserts mit den Ortsnamen bei. Aber die dichte, auf wenige Schauplätze und Charaktere reduzierte Handlung sorgt ohnehin dafür, dass man sich als Zuschauer schnell (emotional) in diesem Film auskennt. Dennoch bleiben genügend Fragen offen, und natürlich gibt es falsche Fährten, aber man hat hier nie den Eindruck, als würden sie künstlich vom Drehbuchautor gelegt, sondern es scheint vielmehr, als ob den Kommissaren nichts anderes übrigbleibt, als das anzunehmen, was sie annehmen. Und im Übrigen muss der immer ein bisschen besser informierte Zuschauer erkennen, dass an den Hypothesen der Ermittler durchaus etwas dran sein kann: Denn alle in diesem Scenario, egal, ob Polen oder Deutsche, machen sich schuldig. Selbst der Bürgermeister aus Falkenhain (Hanns Zischler) und seine Frau Mama (Gudrun Ritter), die das nationalistische Treiben im Dorf nicht unterbinden.
Produzent Mario Krebs zum politischen Hintergrund der Geschichte:
„Die Welt, die wir auf beiden Seiten der Oder beschreiben, bleibt fiktiv, trotz aktueller und historischer Parallelen zu realen Vorgängen. Eine Treuhand Brandenburg hat es nie gegeben, Familien, die für die Rückübertragung von Ländereien kämpften, die sie durch die Enteignungen nach 1945 verloren haben, allerdings schon, ebenso aktuelle Steuerverweigerer, die den deutschen Fiskus nicht anerkennen. Und dass die Siegermächte das Land Preußen erst im Jahre 1947 per Kontrollratsbeschluss aufgelöst haben und nicht bereits direkt nach Kriegsende 1945 gehört zu den komplizierten Hinterlassenschaften der damaligen Zeit.“
Was wäre, wenn die Marktwirtschaft das alte Deutsche Reich wiederherstellen würde?
Eine politisch spitze These stellt Autor-Regisseur Christian Bach in seinem „Polizeiruf“ über die kriminellen Unarten der Liebe zur Heimat in den Raum. Ließe sich womöglich das Deutsche Reich in seinen alten Grenzen mit Hilfe des Marktes – sprich: der Kaufkraft der Deutschen – wiederherstellen? „Sie sind hier in der preußischen Provinz Brandenburg. Sie haben hier keine Befugnisse“, herrscht jener Falkenhainer Wutbürger die Kommissarin zu Beginn des Films an. Dieser Mann wird wiederkommen und mit dazu beitragen, dass das Schlussdrittel extrem spannend wird. Es ist eine angenehm minimalistische Form des Nervenkitzels, der durch die Reduktion von Situationen entsteht: Es wird dunkel, wir sehen, wie jener Reichsbürger die Pistole auf die Tür richtet, hinter der Lenski steht, eins gegen eins, wenn der Mann abdrückt, könnte sie von der Kugel getroffen werden. Wenig später gibt es einen deutsch-polnischen Showdown. Dann kommt ihr Raczek zu Hilfe. Es sind noch 20 Minuten bis zum endgültigen Ende inklusive einer neuen Wende. Doch die Kommissarin hat keinen Nerv mehr. „Sollen sich die Idioten alleine abknallen.“ Das schwere Erbe der deutsch-polnischen Geschichte scheint sich die Deutschrussin nicht länger antun zu wollen. Maria Simon hat für 2020 den Ausstieg aus der Reihe angekündigt. Es dürfte ein Leichtes sein, den Abgang ihrer Kommissarin und Mutter narrativ zu motivieren. (Text-Stand: 2.8.2019)