Der Titel weckt die Erwartung, auch dieser „Polizeiruf 110“ werde an die mutwillige Verspieltheit der anderen Geschichten aus Bad Homburg anknüpfen. Doch entweder hat den Hessischen Rundfunk der Mut verlassen, oder Titus Selge sind die Ideen ausgegangen. „Die Lettin und ihr Lover“ erzählt zwar nicht gerade eine konventionelle Krimigeschichte, aber im Vergleich etwa zu dem grandios verschachtelten Film „Die Mutter von Monte Carlo“ ist Selges jüngster Wurf fast schon Fernsehen von der Stange. Der Einstieg wirkt daher beinahe wie eine wehmütige Reminiszenz an die kleinen großen Momente der Vorgängerfilme: Zwei Kinder laufen einen Strand entlang, die Kamera fährt zurück – das Bild erstarrt zur Fotografie.
Der Rest ist Routine: Ein Weinhändler wird tot in seinem Keller gefunden. Kurz zuvor hatte er noch ein Tête-à-tête mit einer jungen Frau aus Lettland. Just in deren Bett ist Kommissar Keller an diesem Morgen mit fürchterlichen Bandscheibenschmerzen aufgewacht, und in just diese Wohnung kehrt er bald darauf wieder zurück, weil die junge Frau halbtot in der Wanne liegt und angeblich vergewaltigt worden ist. Eine Nachbarin hat den Täter gesehen, und da das Phantombild unübersehbare Ähnlichkeit mit Keller aufweist, hat der nun ein Problem und muss vor den eigenen Kollegen abhauen. Tatsächlich kann er sich an nichts mehr erinnern: Ein Arzt, Freund aus längst vergangenen Kindertagen, versorgt ihn seit einiger Zeit wegen der Rückenbeschwerden mit Morphium; seither ist Keller nicht mehr Herr seiner selbst.
Kremps Kommissar ist immer noch einer der schrägsten Ermittler, die sich im hiesigen Fernsehen tummeln, doch er entwickelt sich nicht weiter; gleiches gilt für die unausgegorene Liebesbeziehung zu Sophie, der kessen Restaurant-Besitzerin, die nach wie vor nicht weiß, ob sie ihm nur das Bett oder auch ihr Leben anbieten soll. Und selbst wenn Christoph Waltz den Arzt mit viel Freude am diabolischen Detail verkörpert: Der gute Mann heißt wie eine Figur aus einem Kinderbuch (Juris Grins) und wirkt auch sonst etwas zu sehr um Originalität bemüht. Wenn Grins todernst Schopenhauer zitiert („Freier Wille ist eine Illusion. Der Mensch ist ein Sielball seiner Bedürfnisse“) wird zwar deutlich, dass Selge erneut einen besonderen Krimi im Kopf hatte; aber Schopenhauer rettet diesen „Polizeiruf 110“ auch nicht mehr.