Auch das ist München. Unterbezahlte Streifenbullen, die sich fühlen wie die Mülleimer der Gesellschaft. Ein Rotlichtmilieu, in dem jeder Kundenwunsch gnadenlos auf Erfüllung drängt. Abgründe tun sich auf in der Weltstadt mit Herz. Ein Panorama der Grausamkeiten und Einsamkeiten. In diesem Milieu muss der blaublütige Preuße Hanns von Meuffels gegen die eigenen Kollegen ermitteln. In der Ausnüchterungszelle der berüchtigten Polizei-Inspektion 25 ist eine junge Transsexuelle zu Tode gekommen. Herzversagen nach Drogenkonsum? Oder Missachtung der Aufsichtspflicht? Oder ist da doch mehr, was sich die fünf diensthabenden Kollegen haben zu Schulden kommen lassen? Die Tote war immerhin Bondage-mäßig gefesselt. Widerwillig macht sich der Kripo-Mann an die interne Ermittlung. Die Polizisten mauern, sie wiederholen nur die offenbar abgesprochenen Formulierungen, die sie schon fürs Protokoll abgegeben hatten. Von Meuffels ist zunehmend genervt. Er will die Wahrheit herausbekommen. Doch wie soll das gehen? Die Tote ist bereits eingeäschert, die Überwachungskamera defekt, ein Handy-Video gelöscht und der, der auspacken will, wählt einen anderen Weg der Befreiung. Der Kommissar befindet sich in einem Zwiespalt: Er weiß um die Sorgen und Nöte der Beamten, ihren täglichen Kampf, er kann sich aber auch sehr gut einfühlen in den Lebensgefährten der Toten, die transsexuelle Table-Tänzerin Almandine.
Foto: BR / Kerstin Stelter
Auch der fünfte „Polizeiruf 110“ mit Matthias Brandt ist wieder ein ganz besonderer Film. „Der Tod macht Engel aus uns allen“ ist ein diffiziler Ermittlungskrimi, ein rasant-realistisches Drama, ein wuchtiger Polizeifilm und ein Stadtporträt, das sich dem Bodensatz der Münchner Gesellschaft widmet. Das Selbstwertgefühl der existentiell verzweifelten Streifenpolizisten ist ähnlich im Keller wie das der Transgender-Tänzerin, der das nötige Geld fehlt, um eine „echtere“ Frau zu werden und so nicht ständig äußeren Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Besonders jener anfangs höchst verzweifelten Almandine bringt der Kommissar eine Menge Sympathie entgegen, ausgerechnet der distanzierte von Meuffels, der gelegentlich so ermittelt, als ob ihn der Fall gar nichts angehen und er sich am liebsten aus allem heraushalten würde. „Diese Figur liebevoll und nachvollziehbar zu erzählen, und sie, trotz all der Dinge, die sie tut und tun muss, dem Publikum nahezubringen, das war die besondere Aufgabe dieses Films“, betont der Produzent Jakob Claussen. Gleichsam gelingt es durch die Nähe von Opfer und Ermittler, dass zunehmend sensible Saiten des introvertierten, nicht immer – nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes – „plausibel“ agierenden Kommissars angeschlagen werden. Nicht umsonst bezeichnet Brandt seinen von Meuffels als einen, der am Rande des Autistischen agiert, aber auch „offen ist für andere Leute und mit allen Sinnen arbeitet“.
Die im Drehbuch von Günter Schütter angelegte Erzählweise besticht durch ihre geradlinige Informationsvergabe. Sie verzichtet auf dramaturgisches Gedrechsel. Der Zuschauer weiß nach wenigen Minuten, was Sache ist, findet sich im Personal und der Geschichte schnell zurecht, um in die wesentlicheren, die emotionalen Erzählschichten vorzudringen. Die Charaktere werden nicht über 90 Minuten an einer Stelle auf der Gut-Böse-Bewertungsskala festgetackert, weder wird ein „Täter“ etabliert, der das moralische Gleichgewicht dieses Sonntagskrimis wieder zuschauerfreundlich ins Lot bringt, noch kann sich der Kommissar am Ende zufrieden auf die Schulter klopfen. Immer scheint es noch eine Wahrheit hinter der gezeigten Wahrheit zu geben. Kurze Exkurse ins Privatleben der frustrierten Polizeibeamten, die wie zufällig in die Handlung eingewoben werden, wirken nicht wie psychologische Erklärungen. Sie zeigen aber, dass die Demütigungen im Beruf nicht die einzigen sind.
Foto: BR / Kerstin Stelter
Redakteurin Cornelia Ackers über das Spiel:
„Das Besondere war diese Vielfalt der Experimente in der Schauspielführung, die Herangehensweise an die einzelnen Szenen. Da gab es in der Palette zwischen ganz ruhig bis sehr exaltiert wildeste Versuche und ganz stille Momente.“
So abstrakt und überhöht die Kommissarfigur von Matthias Brandt und so emotional stilisiert Lars Eidingers Transsexueller auch sein mögen – „Realismus“ ist die Erkennungsmarke dieses Films. Viele Szenen besitzen eine geradezu dokumentarische Anmutung. Die Kamera nimmt bewusst nicht immer die ideale Perspektive (zu den Hauptfiguren) ein. Regisseur Jan Bonny scheint ein Faible für die „vorfilmische Realität“ zu haben, aber auch den Schauspielern gehört sein besonderes Interesse. Das zeigte sich auch schon in seinem physisch starken Ehedrama „Gegenüber“, in dem Matthias Brandt einen Polizisten spielte, der sich von seiner Frau grün und blau schlagen lässt. Durch die beiden eher traumwandlerisch agierenden Hauptfiguren liegt trotz der Härte des Stoffs, der oft spröden Bildsprache und der ruppigen Montage die Aura eines „poetischen Realismus“ auf dem Film, was sich ja auch im Titel „Der Tod macht Engel aus uns allen“ widerspiegelt. Die Stadt pulsiert, der Verkehr lärmt, der Alltag nervt, von Meuffels flucht und schimpft heftiger als Schimanski („Scheiße, scheiße, scheiße!“) und doch gibt es hier für eine Person Hoffnung – und ein Lächeln. (Text-Stand: 4.7.2013)