Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts

Kaczmarczyk, Schröder, Giese, Bäuml, Karolus. Drama zur sozialen Lage der Nation

Foto: rbb / Volker Roloff
Foto Rainer Tittelbach

Auch wenn der „Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts“ (rbb / Eikon Media) als ein Whodunit-Krimi der eher simpleren Sorte zu beginnen scheint, entpuppt sich der Fall aus dem Umfeld der Insolvenzen und persönlichen Pleiten bald als sehr viel komplexer und dramatischer. Zur Halbzeit nimmt der top besetzte und konzentriert gespielte, passend zu seiner Geschichte realistisch und unaufgeregt inszenierte Film von Felix Karolus nach dem Drehbuch von Mike Bäuml endgültig Kurs auf die menschlichen Tragödien. So entwickelt sich das Krimidrama nicht zu einen Themenfilm über ein soziales Schreckgespenst, sondern rückt die seelischen Folgen, die diese ökonomisch bedingten Identitätskrisen für die Schuldner haben, ins Zentrum. Das sorgt für einen Emotionsschub beim Zuschauer – und ist eine Steilvorlage für den erstmals ohne Adam Raczek ermittelnden Vincent Ross: Sein Faible für Psychologie, sein Interesse für die Menschen, seine offene, vorurteilsarme, wohlwollende Art und seine positive (genderfluide) Ausstrahlung sind eine wohltuende Ermittlervariante.

„Ich frag‘ mich, was er gesehen hat im Augenblick seines Todes.“ Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarczyk) liegt im Sand eines Steinbruchs neben einer Leiche und hat noch keine Antwort darauf gefunden, weshalb der Gesichtsausdruck des Toten eine gewisse Zufriedenheit zeigt, obwohl er doch aus nächster Nähe erschossen wurde. Keine 500 Meter vom Tatort entfernt verläuft der Jakobsweg. Auf dem pilgerten nicht nur der Tote, sondern auch zwei junge Frauen, die Karl Rogov (Frank Leo Schröder), ein übereifriger Polizist aus dem Nachbarrevier, bereits vor Ross befragt hat. Alle drei haben etwas mit Insolvenzen zu tun: Der Tote steckte mittendrin in einem demütigenden Verfahren, die krebskranke Caroline Mai (Maj-Britt Klenke) ist die Tochter von Juliane Mai (Imke Büchel), die schwer unter dem Konkurs ihres kleinen Familienbetriebs leidet, und Maria Schick (Anna-Maria Bednarzik) ist die Tochter von Insolvenzverwalter Udo Schick (Bernhard Schir), dessen Mandanten nicht gut auf ihn zu sprechen sind. Besser beleumundet ist hingegen Schuldnerberater Jonathan Hüter (Godehard Giese); er versucht, den Betroffenen, Mut zu machen und Hoffnung zu geben. Hüter ist der Lebenspartner von Schick. Doch die beiden scheinen Geheimnisse voreinander zu haben. Gegen Schick gibt es ein Verfahren wegen Bestechlichkeit im Amt. Hatte der Tote womöglich etwas gegen den Insolvenzverwalter in der Hand, womit er ihn erpresst hat?

Polizeiruf 110 – Der Gott des BankrottsFoto: rbb / Volker Roloff
Am Tatort, 500 Meter vom Jakobsweg entfernt. Passend dazu: das Outfit von Vincent Ross (André Kaczmarczyk) mit auffallend klerikaler Note, aus der Nähe betrachtet, dominiert indes sein genderfluider Habitus. Tomek Nowicki, Klaudiusz Kaufmann

Ganz so einfach liegt der Fall im „Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts“ allerdings nicht (obgleich der vortreffliche Titel nicht unpassend ist). Das Alibi jenes Mannes, der sich selbst als „Dreckwegräumer“ bezeichnet und von Bernhard Schir als sachlich-emotionsloser Pragmatiker seines Berufsstandes verkörpert wird, wackelt trotz Hilfestellung seines Lebenspartners erheblich. Und dass dieser Udo Schick – um im Bild zu bleiben – selbst Dreck am Stecken hat, ist anzunehmen. Auch wenn sich retrospektiv betrachtet Vieles anders darstellt: Dieser Whodunit ist auf den ersten Blick einer der simpleren Sorte, was vor allem daran liegt, dass sich die Geschichten im brandenburgischen „Polizeiruf“ an der Realität der Menschen abarbeiten und die Drehbuchautoren, wie in diesem Fall Mike Bäuml, weniger raffinierte Plots schmieden. Und so geht es im ersten Solo für Vincent Ross um Menschen, denen ihr Leben völlig entglitten ist, sie sind verzweifelt, stehen buchstäblich am Abgrund. Mit einer Szene nach 50 Filmminuten, die beim Betrachter geradezu psychophysische Schmerzen verursacht, nimmt der Krimi, der wie meistens bei diesem Reihenableger eine distanzierte Erzählhaltung bevorzugt, endgültig Kurs auf die menschlichen Tragödien. Das sorgt für einen enormen Emotionsschub, dem kaum ein Zuschauer sich wird entziehen können. Und so entwickelt sich der unspektakuläre, brandenburgisch spröde Ermittler-Krimi zu einem erschütternden Drama zur sozialen Lage der Nation.

Polizeiruf 110 – Der Gott des BankrottsFoto: rbb / Volker Roloff
Insolvenzverwalter Udo Schick (Bernhard Schir) und Schuldnerberater Jonathan Hüter (Godehard Giese) mit Juliane Mai (Imke Büchel), die schwer unter dem Konkurs ihres kleinen Familienbetriebs leidet. Dass die Männer ein Paar sind, mag nicht realistisch sein, dafür ist diese Beziehungskombi dramaturgisch wirkungsvoll.

Die Sache mit dem Solo stimmt nicht ganz. Denn Ross bekommt nach dem Abgang von Adam Raczek und dem Ausstieg von Lucas Gregorowicz in „Der Gott des Bankrotts“ einen Gast-Ermittler an die Seite gestellt. Karl Rogov, von Frank Leo Schröder ernsthaft und zugleich angenehm locker aus der Hüfte gespielt, ist ein zum Provinz-Polizisten degradierter ehemaliger Kommissar, der es am Ende seiner beruflichen Laufbahn noch einmal wissen will. Für Jungspund Ross ist dieser erfahrene Kollege ein Glücksfall. Und für den Zuschauer ist das Zusammentreffen der beiden eine originelle Begegnung zweier eigenwilliger und doch sehr unterschiedlicher Charaktere, für die in der Ermittlungsroutine von Krimi-Reihen sonst wenig Raum ist. „Warum geht jemand wie Sie eigentlich zur Polizei“, will Rogov wissen. „Weil sich einfach alles ändern muss“, so Ross. „Na, dann viel Spaß dabei.“ Die beiläufigen kleinen Pläusche der beiden sind genauso unspektakulär wie die Inszenierung von Felix Karolus. Beides passt zur Geschichte. Großes Drama, obwohl es doch um sehr viel mehr geht als bei den Polizisten, ist auch von der anderen interessanten männlichen Zweier-Konstellation nicht zu erwarten: Die Spannungen in der Beziehung des Insolvenzverwalters und des Schuldner-Beraters sind dank des konzentrierten Spiels von Bernhard Schir und vor allem von Godehard Giese, der hier die Pause zur Kunstform erhebt, unter die Oberfläche gelegt. Mag eine solche Beziehung, weil sie beruflich den Verdacht der Befangenheit nahelegen könnte, in der Realität wohl nicht zu finden sein, so ist diese doppelte Partnerschaft dramaturgisch von großem Reiz.

Polizeiruf 110 – Der Gott des BankrottsFoto: rbb / Volker Roloff
Jung-Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarczyk) will den Polizei-Apparat von innen verändern – mit Kajal, urbanem coolen Outfit und einem Lächeln. Seine offene, vorurteilsarme Art und seine positive Ausstrahlung bereichern den Krimi am Sonntag.

Das Pressedossier legt den Verdacht nahe, bei dem „Polizeiruf – Der König des Bankrotts“ würde es sich in erster Linie um einen Themenfilm über das soziale Schreckgespenst Insolvenz handeln. Viel mehr aber geht es um die seelischen Folgen, die diese ökonomisch bedingten Identitätskrisen für die Schuldner haben können. Der Film lässt sich auch ohne juristisches Fachwissen verstehen. Autor Mike Bäuml, der offenbar viel zum Thema recherchiert hat, verfällt erfreulicherweise nicht darauf, den Zuschauer*innen die Gesetze der Insolvenzabwicklung dialogreich zu erklären. Es dominieren stattdessen emotionale „Botschaften“ und die Zwischentöne menschlicher Interaktionen. Machtstreben und das Spiel mit Schicksalen ist die eine Seite, die andere ein entgegengesetztes Selbst- und Weltbild, das der junge Kommissar in die Kommunikation im Film einbringt. „So, möchte jemand über seine Gefühle sprechen“, beschwichtigt er ironisch, den von den polnischen Kollegen angezettelten Kleinkrieg gegen den „unbefugten“ Ermittler Rogov. „Weil sich alles ändern muss.“ Der Satz ist Ross‘ Programm. Er macht jedoch nicht Tabula Rasa, sondern will den Polizei-Apparat von innen verändern – mit Kajal, urbanem Outfit und einem Lächeln. Am Tatort hat seine schwarze Kluft aus der Ferne – passend zum Pilgermotiv – eine klerikale Note, aus der Nähe betrachtet, dominiert sein genderfluider Habitus. Sein Faible für Psychologie, seine offene, vorurteilsarme und wohlwollende Art und seine positive Ausstrahlung könnten auch den kommenden Geschichten guttun. Diesmal ist es vor allem die Männerfreundschaft, ganz ohne das in Krimis übliche Kompetenzgerangel, die für diesen etwas anderen Kriminalhauptkommissar einnehmen. (Text-Stand: 9.1.2023)

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rbb

Mit André Kaczmarczyk, Frank Leo Schröder, Bernhard Schir, Godehard Giese, Anna-Maria Bednarzik, Maj-Britt Klenke, Imke Büchel, Roman Wieslaw Zanowicz, Katrin Heller, Tomek Nowicki, Klaudiusz Kaufmann, Sebastian Anton

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Wolfgang Arens

Kostüm: Majie Pötschke

Schnitt: Katja Reutter

Musik: Sebastian Pille

Redaktion: Daria Moheb Zandi

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Mario Krebs

Drehbuch: Mike Bäuml

Regie: Felix Karolus

Quote: 7,47 Millionen Zuschauer (24,1% MA)

EA: 05.02.2023 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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