Polizeiruf 110 – Das Gespenst der Freiheit

Matthias Brandt, Joachim Król, Jan Bonny. Vorlage zu Hanns von Meuffels Ausstieg

Foto: BR / Hagen Keller
Foto Rainer Tittelbach

Matthias Brandt und sein Hanns von Meuffels befinden sich auf der Zielgeraden. Jan Bonnys „Das Gespenst der Freiheit“ über die vierte Generation von Neonazis ist der vorletzte „Polizeiruf 110“ um diesen preußischen Ermittler in Bayern. Herumschlagen muss er sich mit halbwüchsigen rechtsextremen Proleten und einem skrupellosen Verfassungsschützer. Die fragwürdige V-Mann-Politik der Behörde wird betrachtet durch die subjektiv-psychologische Brille dieses ebenso kultivierten wie eigenwilligen Kommissars. Das stille Leiden an der Dumpfheit und Dummheit der Anderen könnte ein Motiv sein für seinen Abgang. Auch in diesem formal auf spröden Realismus setzenden Krimi-Drama ist Spannung mehr Kopf- als Bauchsache. Emotional ist es vor allem die Anspannung des Protagonisten, die in den Fokus gerät. Und so distanziert Regisseur Bonny auch erzählt, so zwingt er doch den Zuschauer, in die ekelerregende Fratze der Gewalt zu schauen. Eine wahr(haftig)e Zumutung!

Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) ist genervt. Erst schlagen vier Jugendliche einen Syrer, der eine junge Frau sexuell bedrängt hat, mit 50 Tritten gegen Kopf und Körper tot und hinterlassen „einen See aus geronnenem Blut“. Dann muss er beim Staatsanwalt noch regelrecht betteln, um vier Haftbefehle zu bekommen. Doch die vier, Mitglieder einer neonazistischen Kameradschaft, sind bald wieder auf freiem Fuß. Die Rechnung des Kommissars, dass über kurz oder lang einer von ihnen auspacken würde, kann so nicht aufgehen. Doch schlimmer noch: Farim (Jasper Engelhardt), als Halbiraner das schwächste Glied in der rechtsextremen Kette, hat sich der Verfassungsschutzmitarbeiter Röhl (Joachim Król) als möglichen V-Mann ausgeguckt. Er lockt ihn mit Jobversprechungen, Geld und einer sicheren Zukunft. Als Gegenleistung soll er Informationen über die Gruppe liefern, die kurz vor einem blutigen Bandenkrieg mit einer rumänischen Gang steht. Zunächst einmal muss er aber das verlorene Vertrauen seiner Kumpels zurückgewinnen, die ihn als „Bullenversteher“ beschimpfen. Was wäre dafür geeigneter als eine Waffenlieferung? Die Idee kommt von Röhl und die Pistolen aus Staatsbeständen. Als von Meuffels den Plan des Verfassungsschützers und dessen Bereitschaft, Farim zu opfern, erkennt, versucht er dem Jungen eine echte Brücke zu bauen. Aber kann er ihm mehr versprechen als Röhl? Und geht es ihm tatsächlich um den Jungen oder – wie Röhl ihm vorwirft – nur um sein eigenes Verständnis von Gerechtigkeit?

Polizeiruf 110 – Das Gespenst der FreiheitFoto: BR / Hagen Keller
Trotz eines Staatsanwalts, dem von Meuffels schon mal den Telefonhörer mit den Worten „Heil Hitler“ aufknallt, kommen die vier Jugendlichen in Untersuchungshaft.

Der von Matthias Brandt seit 2011 verkörperte Hanns von Meuffels ist deutlich auf der Zielgeraden angekommen. Den Plot von Jan Bonnys „Das Gespenst der Freiheit“, dem 14. Film der Reihe, hätte man durchaus zu seinem letzten „Polizeiruf“-Einsatz machen können. Das stille Leiden des kultivierten Adelssprosses an der Dumpfheit junger Neonazis und der Dummheit seiner Vorgesetzten („Vier Deutsche im Knast wegen nur eines Ausländers?!“); dieses sinnlose Anrennen gegen eine Polizei, die mit Rechten unterwandert ist, und gegen Staatsorgane, die sich querstellen, wenn er gewissenhaft seine Arbeit bei der Mordkommission machen will – damit hätte es sich stimmig begründen lassen, dass der Preuße in diesem Bayern nicht länger Dienst tun will. Doch Christian Petzold wurde die Ehre zuteil, mit seinem dritten „Polizeiruf“ (Sendetermin im Winter 2019) für den Ausstand des interessantesten Fernsehkommissars der 2010er Jahre zu sorgen. Es gibt viele gute Gründe, den Dienst als Kommissar zu quittieren. Welcher kommt für von Meuffels in Frage? In seinem letzten Auftritt wird dann abermals die von Barbara Auer gespielte Kollegin Constanze Hermann an seiner Seite stehen, eine Frau, für die der nachdenkliche Ermittler deutliche Gefühle hegt…

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Der skrupellose Verfassungsschutzmitarbeiter „Röhl“ (Joachim Król) verspricht Farim das Blaue vom Himmel. Der Junge ist zum „Liefern“ verdammt und in großer Gefahr.

Doch noch muss sich von Meuffels mit Männern herumschlagen: mit halbwüchsigen Neonazi-Proleten, denen jegliche Einsicht in ihr kriminelles Handeln fehlt, und einem eigenmächtigen Verfassungsschützer, dem nichts heilig ist und der abtaucht, als die Lage für ihn brenzlig wird. Der Verfassungsschutz hat immer Recht und behindert die Arbeit engagierter Kripobeamter. Diese Situation wurde in den letzten Jahren nicht selten in Krimi-Reihen (zuletzt in den „Tatort“-Episoden „Sonnenwende“ und „Der rote Schatten“ sowie in „Unter Verdacht – Verlorene Sicherheit“) und politischen TV-Dramen („Mitten in Deutschland: NSU“) erzählt, angesichts ihres großen Realitätsgehalts völlig zu Recht. Im System „Hanns von Meuffels“ bekommt dieses Muster nun eine spezielle, subjektiv-psychologische Färbung. Wie in jedem seiner Fälle kommt der Kommissar auch in „Das Gespenst der Freiheit“ einem Menschen besonders nahe. Als „vollkommen verloren“ bezeichnet er diesen jungen Mann: Farim, der persische Neonazi, der offensichtlich nicht recht weiß, was er da tut. Zu Beginn nimmt sich von Meuffels, ganz Profi, dem unbedarften Jungen an, weil er spürt, dass dieser als erster in der Gruppe „umfallen“ wird. Aber auch der Antagonist in diesem Doppelspiel ist Profi. Röhl weiß, wie er den Jungen ködern kann. Und für den wird sein V-Mann-Abenteuer bald zu einem lebensgefährlichen Lügenspiel an drei Fronten: Da ist Röhl, der ihn zum „Liefern“ verdammt, da ist von Meuffels, der zwar emotional aufrichtig zu sein scheint, aber wenig Machtbefugnisse besitzt, und da sind die „Kameraden“, die ihm trotz seiner Waffenlieferung  aus gutem Grund immer weniger vertrauen. Wie immer erschließt sich auch dieser BR-„Polizeiruf“ vornehmlich aus den Charakteren. Spannung ist – besonders bei Jan Bonny – mehr Kopf- als Bauchsache, und dramaturgisch und filmästhetisch vermittelter Suspense ist dem Arthaus-Filmemacher eher suspekt. Spannung, das ist dagegen häufig die Anspannung des Protagonisten. In diesem Kommissar brodelt es, und gelegentlich kocht es in ihm über. Da rutscht ihm am Telefon schon mal ein „Heil Hitler, Herr Staatsanwalt“ heraus. Und als Röhl vorgibt, mit dem Innenminister zu telefonieren, um von Meuffels bei ihm anzuschwärzen, brüllt dieser aufgebracht in Richtung Telefonhörer: „Es geht mal wieder darum, die Existenzberechtigung Ihrer Behörde zu untermauern, die mit ihren total überzogenen Zuwendungen an V-Leute die rechtsextremistische Szene überhaupt erst in die Lage versetzt, so zu funktionieren. Ihr Mann setzt das Leben vieler Menschen aufs Spiel.“ In einem normalen Dialog wäre ein solcher Satz nicht mehr als ein politisches, gut gemeintes Statement. Hier definiert er zudem die angespannte Situation zwischen Röhl und von Meuffels, verdeutlicht die innere Befindlichkeit des Kommissars und besitzt noch einen (tragi)komischen Aspekt.

Polizeiruf 110 – Das Gespenst der FreiheitFoto: BR / Hagen Keller
Kameradschaftstreffen in den Corso Stub’n. „Sieg Heil“-Posen statt ideologischer Überbau. „Mein Kampf“ hat von den Neonazi-Jungs keiner mehr bei sich zu Hause. Costa Knusevac (Julian Felix), Kolthoff (Christian Erdt) & Sonja (Victoria Sordo). Gelegentlich taucht auch Hanns von Meuffels im Stammlokal der Rechten auf.

Jan Bonny mutet nach dem „Tatort – Borowski und das Fest des Nordens“ und dem Psychodrama „Über Barbarossaplatz“ dem Zuschauer wieder einiges zu. Geht er zunächst mit Jump-Cuts, die den Szenenfluss bewusst stören, und mit den Blicken auf lange, wenig einladende Behördengänge oder in schrecklich funktionale Kriporäume deutlich auf Distanz zum Geschehen, sucht er bei brutalen Übergriffen im Knast, beim prolligen Partymachen der Jung-Nazis, das bis zu einer angedeuteten Gruppenvergewaltigung reicht, die Nähe zum physischen Geschehen und blickt in die ekelerregende Fratze der Gewalt. So erkennt man auch, was diese Gewalt unter anderem ausmacht: das eruptive und das gruppendynamische Moment. Bonny schönt nicht, sein spröder Realismus offenbart menschliche Abgründe, zeigt Kampfmaschinen, denen jede Individualität ausgetrieben ist. Häftlinge treten, Gefängnis-aufseher knüppeln, instinktiv, hemmungslos, brutal – wie im Rausch. „Ob Bulle oder Nazi, völlig egal – der will einfach stark sein“, so formuliert ein Polizist nach dem Verhör seine Eindrücke. „Keine Glatzen, keine Springerstiefel, ganz normal.“ Der Film zeigt die dritte oder vierte Generation von Neonazis. Jungspunde, die kaum anders aussehen als die fast gleichaltrigen Polizisten. Diese Rechtsextremen kommen ohne ideologischen Überbau aus. Vor 20 Jahren wäre man bei einer Hausdurchsuchung in der rechten Szene noch auf „Mein Kampf“ gestoßen, sagt ein Polizeibeamter. Die „Kameraden“ im Film beschränken sich dagegen auf narzisstische „Sieg Heil“-Posen. Daran muss ein Schöngeist wie von Meuffels verzweifeln. Man kann dieses Verhalten nicht verstehen. Aber die Praktiken der Behörden dürften für einen gerechtigkeitsliebenden Menschen wie ihn kaum weniger verwerflich sein. Akten und Vorgänge werden frisiert, wenn sich mal ein Beamter bei seinen Methoden vergriffen hat. Damit wird sich Hanns von Meuffels niemals abfinden können. „Herr Meuffels, wollen Sie damit auf ewig weitermachen?“, fragt ihn in der letzten Szene ein hoher Verfassungsschützer. Der Zuschauer kennt die Antwort bereits. (Text-Stand: 26.7.2018)

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Reihe

BR

Mit Matthias Brandt, Joachim Król, Jasper Engelhardt, Victoria Sordo, Kais Setti, Ricarda Seifried, Christian Erdt, Cem Lukas Yeginer

Kamera: Nikolai von Graevenitz

Szenenbild: Christine Caspari

Kostüm: Ulrike Scharfschwerdt

Schnitt: Bernd Euscher, Fridolin Körner

Redaktion: Cornelia Ackers

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Produktion: Michael Polle

Drehbuch: Günter Schütter

Regie: Jan Bonny

Quote: 4,34 Mio. Zuschauer (15,9% MA)

EA: 19.08.2018 20:15 Uhr | ARD

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