Ein Toter sorgt für eine noch angespanntere Stimmung kurz vor dem Cottbusser Karneval. Denn alle, die mit dem Mega-Event in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs zu tun haben, sind privat oder geschätflich vom Tod eines polnischen Motivwagenbauers betroffen. Jener Jurek Bukol galt als Querulant. Der Mann ist nach einem Feuer in seiner Werkstatt verbrannt, und mit ihm sein Motivwagen für den Karnevalsumzug. Die vermeintliche Todesursache „Herzinfarkt“ entlockt dem nach Cottbus entsandten Vincent Ross (André Kaczmarczyk) nur ein süffisantes Lächeln. Das vergeht ihm, als er Bekanntschaft mit Dienststellenleiter Oelßner (Andreas Döhler) macht, der hinter dem Toten keinen Mordfall erkennen mag und alles herunterspielt: Bukols Streit mit dem Karnevals-Zampano Behrend (Christoph Bach) oder das verlorene Verfahren des Künstlers wegen einer umstrittenen Standplatzgenehmigung. Zum Glück ist Kollegin Alexandra Luschke (Gisa Flake) dem extravaganten jungen Mann von der deutsch-polnischen Dienststelle Swiecko wohlgesonnen. Sie kennt zwar die Familie des Toten, dessen weltoffene Ex-Frau (Julika Jenkins), Tochter Monika (Pia-Micaela Barucki), mit der sie zur Schule ging, und deren geschäftstüchtigen Bruder Dawid (Niklas Bruhn), doch das ist kein Grund zur Befangenheit, und die städtischen Mauscheleien gehen ihr ähnlich wie Ross gehörig gegen den Strich.
„Cottbus kopflos“ – der Titel des vierten brandenburgischen „Polizeiruf 110“ mit André Kaczmarczyk deutet es an: In der Niederlausitzer Provinz-„Metropole“ geht es drunter und drüber – und das nicht nur, weil der Karneval ins Haus steht. Städte mit jener närrischen Tradition besitzen offenbar einen Hang zum Klüngel. Nach und nach wird von Ross & Co der städtische Sumpf aus wirtschaftlichen Abhängigkeiten und behördlichen Machenschaften trockengelegt. Dramaturgisch ist der Film von Christoph Schnee („Goldjungs“) nach dem Drehbuch von Axel Hildebrand („Herr und Frau Bulle“) und Mike Bäuml („Unter Verdacht“) ein typischer Whodunit. Es gibt ein halbes Dutzend Verdächtiger. Weil hier aber jeder mit jedem kungelt, wird nicht ein potenzieller Mörder nach dem anderen am Nasenring durch die Krimi-Manege gezogen, vielmehr wird dem Zuschauer auf dem Hintergrund des Riesengeschäfts Karneval ein abwechslungsreicher Beziehungsreigen präsentiert. Es fragt sich, wo das Prinzip des korrupten Gebens und Nehmens durchbrochen wird: Wer ist bereit, nicht nur Geld, sondern auch einem Menschen das Leben zu nehmen?
Der Plot also ist klassisch und aus dem kommunalen Leben gegriffen. Genre-Coolness und hippe Inszenierung sind in Cottbus weniger zu erwarten. Die Idee mit dem tatsächlich in der Stadtgeschichte verankerten Karneval ist gut und bringt etwas Farbe ins winterliche Grau. Und für ein bisschen urbanen Style sorgt wie immer Kaczmarczyks modebewusster Kommissar. Da macht schon der eine oder andere Lausitzer große Augen. Auch die Kollegin tanzt ein bisschen aus der Reihe: als Silber-Mariechen bei den Cottbus Dancers. Gisa Flake, bereits in der Episode „Hermann“ an der Seite von Lucas Gregorowicz zu sehen, gehört künftig ebenso zum Team wie Frank Leo Schröder als Streifenpolizist Karl Rogov, der seinen Einstand in der letzten Episode, „Der Gott des Geldes“, gab und diesmal von der Dienststelle Swiecko zuarbeitet. Herzstück ist und bleibt aber André Kaczmarczyk beziehungsweise sein Vincent Ross, der jeder Szene seinen Stempel aufdrückt: mal ein hintergründiges Grinsen, ein mitfühlender Blick, mal eine Befragung, bei der man bei ihm echtes Interesse spürt. Dieser Kommissar will verstehen, ist sensibel, aber er kann genauso penetrant nachfragen oder kann lautstarke Ansagen machen, wenn ihm Kollege Oelßner blöd kommt. Und am Ende dieses Krimis der vielen kleinen Dramen spendet er Trost – egal ob Opfer oder Täter. Es sind also nicht nur seine Kleidung und seine dezent queere Ausstrahlung, die sein Alleinstellungsmerkmal in der Krimilandschaft ausmachen.
Blickt man vom Ende des Films zurück, erscheinen die Details in Sachen Plot und Figuren-Verhalten plausibel, ist erzähl- und psychologisch alles wasserdicht. Etwas überkonstruiert wirkt das Ganze dennoch. Und man kann sich fragen, ob es am Ende dann nicht doch zu viele politische Ränkespiele, persönliche Betrügereien und private Lebenseinschnitte sind, die hier zu besagtem Beziehungsreigen verknüpft werden. Dramaturgisch ist dieser „Tatort“ jedenfalls eher die alte Schule. Dagegen spricht erst mal nichts. Jeder Jeck ist anders. Das sollte auch fürs Erzählen im Fernsehen gelten. Bauchschmerzen bereitet diese konservative Narration dem Kritiker allerdings, wenn Szenen beendet werden mit jenen nachdenklichen bis bedeutungsschwangeren Blicken, die Figuren, die zum Kreis der Verdächtigen zählen, den Kommissaren hinterherwerfen. Diese Art von äußerlicher Krimi-Semantik nervte bereits zu Derricks Zeiten. Erfreulicherweise gibt es aber auch eine ganze Reihe an hübschen, oft launigen Kleinigkeiten, die den Flow nicht stören, sondern ihn fördern: Spaß macht zum Beispiel der kauzige Rechtsmediziner Marian (Tomek Nowicki), ebenso Frank Leo Schröders Rogov, der diesmal jedoch wenig zu tun hat. Vielleicht ja beim nächsten Fall wieder mehr. Er, Luschke und Ross sollen ja künftig in wechselnden Ermittlerkonstellationen zu sehen sein.