Zwei verschleppte Kinder aus Rumänien, die von ihren Eltern im Glauben an eine bessere Zukunft verkauft werden. Eine junge Kommissarin, die für ihren Beruf brennt und Beweismaterial sammelt, um die Kinderhändler auffliegen zu lassen. Eine abgeklärte Staatsanwältin, die ihrer Pensionierung entgegensieht, es dann aber doch noch einmal wissen will. Ein Mann aus der Szene, der nicht länger Kinder für seine Berliner Arbeitgeber ersteigern möchte und aussteigen will aus dem perfiden „Geschäft“. Die Konfliktlagen, in denen sich die Protagonisten des ARD-Fernsehfilms „Operation Zucker“ befinden, sind moralisch eindeutig, die Positionen sind klar abgesteckt. Das Setting würde in einem herkömmlichen Krimi ausreichen, um den Sumpf aus Menschenhandel und Kinderprostitution trockenzulegen. Doch die Helden bekommen es in diesem Film mit gesellschaftlichen Systemen zu tun, gegen die schwer anzukommen ist: das System der Staatsmacht und das der pädophilen Netzwerke. Gegen beide rennen die Helden an, gegen beide dürften sie kaum eine Chance haben.
Der Film von Rainer Kaufmann (Regie) und Philip Koch (Buch) ist ein fiktionaler Film, aber er begnügt sich nicht damit, sich auf den Konventionen des Genres („Crime doesn’t pay“) auszuruhen und das Thema in eine allseits „goutierbare“ Form zu gießen. Man hat zugleich als Zuschauer nicht das Gefühl, hier einem wohlfeilen Verschwörungsszenario ausgesetzt zu sein. Die Handlung beleuchtet das monströse Thema, jene spezifische Macht-Ohnmacht-Kommunikation, von allen Seiten: da sind die Opfer, die zehnjährige Fee und der Waisenjunge Bran, da sind die Guten, Kommissarin Wegemann, ihr Kollege Uwe Hansen und die Staatsanwältin Dorothee Lessing, da sind die, die sich mitschuldig machen, der Oberstaatsanwalt oder auch Ronnie, der Handlanger des Bösen, der vergeblich auf Zeugenschutz hofft. Die Täter bleiben weitgehend im Dunkeln. Systeme haben selten ein eindeutiges Gesicht. Nur zwei „Kunden“ werden stellvertretend ins Spiel gebracht: ein Politiker und ein Richter. So wie die Schauspieler die Beteiligten darstellen, so wie die Dramaturgie auf die üblichen Identifikationsmuster verzichtet – so werden auch typische Situationen wie „Verkauf“, „Kinderlieferung frei Haus“, Zeugenbefragung, Verhör, Informantentreffen etc. eingefangen: sachlich, faktisch, mit dem Gestus von Alltäglichkeit. Es ist bitter, mit an zusehen, wie sich die rumänischen Kinder in einem hässlichen Saal vor unsympathischen Typen halbnackt zur Schau stellen müssen; sie sind irritiert, traurig, gehemmt, aber sie können nicht ahnen, was in Deutschland auf sie zukommen wird. Es ist bitter mit ansehen zu müssen, dass in dieser real(istisch)en Geschichte – dem beliebten Erzählmuster zum Trotz – David gegen Goliath keine Chance haben wird.
Solche Szenen sind besonders schwer zu ertragen, weil man sich als Zuschauer nicht „ausruhen“ kann auf der (Genre-)Gewissheit, dass am Ende doch noch alles gut werden wird. „Unsere Geschichte entspricht der Realität; wir schildern nur Fakten“, betont Produzentin Gabriela Sperl. „Der Kinderstrich ist unter uns“, heißt es im Film. Ein Berliner Single-Club, der einem Ring von Kinderhändlern als Tarnung dient, wird „hoch genommen“, aber die Razzia läuft ins Leere. Selbst als man auf die missbrauchten und traumatisierten Kinder stößt, bringt das zu wenig Beweismaterial, um das Zuhältersystem zu zerschlagen und hochrangigen „Kunden“ den Missbrauch nachzuweisen. Und im Zweifelsfalle gilt immer noch die Überzeugung: „Wer glaubt schon einem Kind?!“ – insbesondere, wenn der Beschuldigte eine gesellschaftlich angesehene Persönlichkeit ist. „Die Täter, die verhaftet werden, kommen meist ganz glimpflich mit Geldstrafen davon“, so Sperl, die die Idee zum Film hatte.
Rainer Kaufmann über die Tonlage von „Operation Zucker“:
„Der Film sollte nicht zu inszeniert erscheinen, das Timing und die Bewegungen der Protagonisten eher zufällig als abgezirkelt. Was wird als Nächstes passieren? Es bleibt nichts als zuzuschauen. Du kannst dir niemals sicher sein. Die Kamera sollte den Eindruck erwecken, als sei sie erwartungsvoll, unwissend. Sie erlebt das Geschehen, als würde es sich gerade ereignen. Der Film gewinnt dadurch ein Zittern, eine Ungewissheit.
Kinderhandel, Kinderprostitution und die unrühmliche Rolle von Justiz, Wirtschaft und Politik – „das ist eine skandalöse, schreckliche Realität, um die sich keiner schert, weil keiner hinschauen will“, sagt Sperl. „Wir betreiben keine Systemkritik, wir decken nur Strukturen auf, in der Hoffnung, dass das System endlich aufwacht und sich gegen die wehrt, die es zersetzen.“ Bei „Operation Zucker“ hat man es nicht nur mit einem gut gemeinten, sondern auch einem sehr gut gemachten Film zu tun. Eine frostige Aura des Authentischen liegt über den Bildern vom winterlichen Berlin. Mal dominiert dokumentarisch angehauchter Handkamera-Realismus. Mal setzt der Film auf eindringliche visuelle Metaphern: Da korrespondiert beispielsweise ein zugefrorener See mit der vereisten Seele der zehnjährigen Fee. Die Besetzung ist perfekt – auch in Hinblick darauf, das schwere Thema ohne Krimi-Spannungsdramaturgie vielen Zuschauern nahezubringen. Wenn schon keine klassische Identifikation, so stehen doch mit Nadja Uhl und Senta Berger zwei Sympathieträger in der ersten Reihe. Die beiden Kinder, Paraschiva Dragus und Adrian Ernst, sind erschreckend gut darin, etwas zu spielen, von dessen abgrundtiefer Verletzung sie noch nichts verstehen können. Regisseur Rainer Kaufmann sagt, er habe den beiden nur das Nötigste erzählt. Denn: „Ein Kind muss nicht traumatisiert sein, um ein traumatisiertes Kind darzustellen.“