Für die Zuschauer resultiert die Qualität eines Reihenkrimis wohl in erster Linie aus der Frage, wie interessant der Fall und wie verzwickt der Weg zur Lösung ist. Schauspieler dürften Drehbücher dagegen nach anderen Kriterien bewerten. Gespräche mit Rechtsmedizinern über den Zeitpunkt des Todes oder die unvermeidliche Frage an die Verdächtigen, wo sie zwischen 19 und 21 Uhr gewesen seien, sind zwar für die Handlung meist unverzichtbar, stellen für die Akteure aber keine besondere Herausforderung dar. Aus Sicht des Ensembles einer Reihe wie „Nord Nord Mord“ liegt die Qualität eines Buchs daher nicht in der Mördersuche, sondern in dem Spielmaterial, das es bereithält. In dieser Hinsicht hat „Sievers und der goldene Fisch“, der dreizehnte Film der Reihe und der fünfte mit Peter Heinrich Brix, in der Tat Einiges zu bieten, und das ist auch gut so, denn der eigentliche Fall ist ziemlich unspektakulär.
Die Krimiebene beginnt mit dem tödlichen Absturz eines beliebten Internatslehrers, weshalb Andy Gätjen („Der Kommissar und das Meer“) schon nach wenigen Augenblicken wieder aus dem Film verschwindet: Physiklehrer Conrad wollte seiner Klasse demonstrieren, wie ein Flaschenzug funktioniert. Das Experiment ist auf tragische Weise schiefgegangen, obwohl der Mann gesichert und ein erfahrener Kletterer war: Irgendjemand hat den Stahlkarabiner gegen ein Teil aus Aluminium ausgetauscht. Eine offenbar aus Liebe vorgenommene Yang-Tätowierung an intimer Stelle lässt die Ermittler vermuten, dass er eine Affäre hatte, was die Gattin (Christina Hecke) umgehend bestätigt: Sex spielte im Eheleben des Paares keine Rolle mehr, seit die Cellistin an Multipler Sklerose erkrankt ist. Wo ein Yang ist, gibt es in der Regel auch ein Yin; das Ermittlertrio muss also nur das Pendant finden. Weil Ina Behrendsen (Julia Brendler) einst in ihren Kunstlehrer verliebt war, vermuten sie und ihr Chef (Brix), Conrad sei das Opfer einer eifersüchtigen Schülerin geworden. Damit liegen sie zwar nicht gänzlich falsch, aber so einfach macht es das Drehbuch dem Trio aus Sylt dann doch nicht.
Ungleich interessanter als die überraschungsarme Krimihandlung sind die Szenen, in denen die zuletzt etwas vernachlässigten Befindlichkeiten zwischen Behrendsen und Hinnerk Feldmann im Mittelpunkt stehen. Für den Kommissar hat sich Thomas Oliver Walendy in seinem vierten Drehbuch für „Nord Nord Mord“ außerdem etwas ganz Besonderes ausgedacht. Schon in der ARD-Freitagskomödie „Das Leben ist kein Kindergarten“ konnte der zweifache Vater Oliver Wnuk zeigen, wie gut er auch vor der Kamera mit Kindern klar kommt. Unbedingt sehenswert ist „Sievers und der goldene Fisch“ daher wegen einer Nebenebene: Feldmann, der jede Gelegenheit nutzt, um die in dieser Hinsicht allerdings resistente Kollegin mit seinem enzyklopädischen Wissen zu beeindrucken, hat eine Einladung als Gastdozent erhalten; zwar nur am Internat, aber immerhin. Seine penible Vorbereitung auf einen Vortrag über die Geschichte der Serienkiller („Der Mörder in mir“) inklusive entsprechend grausigen Bildmaterials stellt sich jedoch als denkbar falsches Thema heraus, denn sein Publikum sind nicht etwa die Abiturienten, sondern Zehn- oder Elfjährige.
Höhepunkt des auch von den Kindern toll gespielten Miteinanders ist ein Besuch im Kommissariat, wo die Schüler den verhafteten Feldmann vernehmen dürfen; eine wunderbare Parodie auf die bekannten Versatzstücke jedes TV-Krimis, mit der Regisseur Berno Kürten in seinem zweiten Film für „Nord Nord Mord“ (nach „Sievers und die tödliche Liebe“, 2020) beinahe Ironie in eigener Sache betreibt, denn die Ermittlungen sind ohne jede Finesse inszeniert. Die nur bedingt schlüssige Auflösung des Lehrermords legt ohnehin die Vermutung nahe, Walendy habe zumindest in dieser Hinsicht eine Überraschung liefern wollen. Schon früh bietet der Autor mit einer vom vermögenden Vater vernachlässigten Schülerin eine Verdächtige an, die ihren Patchworkbruder (Jonas Holdenrieder) mit miesen Methoden erpressen will. Rosmarie Röse muss die angehende Abiturientin Yolanda allerdings derart einseitig als manipulatives Biest verkörpern, dass offen bleibt, ob sie bloß innerhalb der Rolle oder auch darstellerisch an ihre Grenzen stößt.
Der Beitrag des titelgebenden Fischs an der Wahrheitsfindung tendiert im Übrigen gegen Null. Sievers’ Therapeutin (Victoria Trauttmansdorff) hatte dem Hauptkommissar empfohlen, sich einen „Anker“ zuzulegen, wobei sie allerdings weniger an ein lebendiges Wesen dachte. Weitere exotische Gäste, die dem Film eine gewisse Würze geben, sind Tom Lass als Fischspezialist sowie Milton Welsh als Tätowierer mit Elefantengedächtnis, der sich noch gut daran erinnern kann, Behrendsen einst einen Schmetterling auf den Po gestochen zu haben. Sehenswert wie stets ist das Miteinander des Ermittlertrios, zumal der von Brix als Stoiker interpretierte Sievers eine wunderbare Komplementärrolle zum leicht hyperaktiven Feldmann ist. Wnuk wiederum gelingt es regelmäßig, dem tendenziell durchaus unsympathischen Streber liebenswerte Seiten abzugewinnen: weil er den Kommissar oft wie einen kleinen Jungen wirken lässt, der mit seiner Besserwisserei bloß um Aufmerksamkeit buhlt.