Ankunft der Neuen, ein Killer vom LKA, der Held im Knast, eine Politikerin in Gefahr
Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann), der mittlerweile offiziell als Polizist arbeitet und auch weiterhin als Tierarzt praktiziert, hat den Tod seiner Kollegin Lona Vogt noch nicht verkraftet. Der Neuen auf dem Schwanitzer Revier, Hannah Wagner (Jana Klinge), begegnet er entsprechend reserviert. Doch zum Kennenlernen bleibt kaum Zeit, denn bald gibt es einen Toten: Ein Journalist (Jörn Knebel) wurde im Wald kaltblütig erschossen. Der hatte gerade noch versucht, Jacobs davon zu überzeugen, dass ein Attentat auf die Ministerpräsidentin (Victoria Trauttmansdorff) geplant sei. Der Killer, ein LKA-Mann (Alexander Beyer), gehört ausgerechnet zum Kreis der Personenschützer der Politikerin, die es sich im Wahlkampf nicht nehmen lassen möchte, publicityträchtig ihren Geburtsort Schwanitz zu besuchen. Als nächstes Opfer hat der mörderische Beamte sich Hauke Jacobs ausgesucht: Vor den Augen der neuen Kollegin und seiner Praxishelferin Jule Christiansen (Marleen Lohse) wird Jacobs verhaftet. Da das LKA den Fall übernommen hat, gibt es für Hannah Wagner keinen Einblick in die Beweismittel. Ein Notizbuch des Journalisten könnte der Schlüssel zum Komplott sein. Doch die neue Kollegin ist sich nicht sicher, ob sie Jacobs vertrauen kann.
Bewertung im Detail:
„Der Anschlag“ hat sich 5 Sterne verdient, „Conny & Maik“ ist gut für fette 4,5 und „Im Namen des Vaters“ für fette 4 Sterne.
Foto: NDR / Sandra Hoever
Hauke Jacobs hat nur ein Herz für Tiere, die neue Kollegin ist nicht willkommen
Die aktuelle Trilogie von „Nord bei Nordwest“ reiht sich nahtlos an die bislang beste Staffel vom letzten Jahr. „Der Anschlag“ beginnt im lieb gewonnenen, norddeutsch entspannten Erzählrhythmus dieser etwas anderen Donnerstagskrimi-Reihe. Der „Held“ geht auf Distanz, lässt die neue Kollegin von Mehmet Ösker (Cem Ali Gültekin), dem immer launiger integrierten Sidekick, von der Fähre abholen, bevor er selbst eine wenig herzliche erste Begegnung mit Hannah Wagner hat in der (nicht ohne Grund nur schwach ausgeleuchteten) Dienststelle, wo er sie an den Katzentisch mit Klappstuhl abschiebt. Diese Kollegin ist hier nicht willkommen, verraten die Bilder. Später sagt er es der Neuen ins Gesicht: „Frau Vogt ist unersetzlich – da kommen Sie in 200 Jahren nicht heran!“ Mit Jule kann Jacobs zwar weiterhin gut – auch wenn es mit ihrer Verliebtheit offenbar vorbei ist. Wenn die beiden in den ersten Minuten gleich mit Feder- und Borstenvieh gemeinsam in der Praxis zugange sind, zeigt sich darin eine Besonderheit der Reihe: Ein Herz für Tiere gehört zu „Nord bei Nordwest“ wie kaltblütiger Mord und Mafia-Kriege. Meist haben die Einsätze auf Höfen oder Tierparks auch etwas mit dem Kriminalfall zu tun. Zum Auftakt ist das anders: Da spiegeln die Szenen in der Praxis die enge Verbundenheit von Hauke und Jule wider. Erst im Umgang mit Tieren werden sie Mensch. Für Kenner der Reihe aktualisiert sich in diesen alltagsnahen, fast improvisiert wirkenden Szenen die Beziehung der beiden, die sich in den vorherigen elf Episoden aufgebaut hat. Diese Sympathie und diese Emotionen sind ein idealer Nährstoff für eine Krimihandlung, in der der Held in Gefahr schwebt und Hilfe von anderen braucht.
„Der Anschlag“: Musterbeispiel für strukturelles, reduziertes & konzentriertes Erzählen
Der plauschige, dennoch informationsgesättigte und deshalb nie langweilige Einstieg findet nach zwanzig Minuten ein jähes Ende. Der Zuschauer weiß mehr als die Ermittler, kennt aber nicht die Hintergründe für den Journalistenmord. Später sieht man, wie sich der LKA-Mann und die Ministerpräsidentin küssen. Trachtet er ihr nach dem Leben? Oder haben beide einen gemeinsamen Plan? Man findet als Zuschauer noch keine plausible Erklärung für das, was sich da ereignet. Dieses Verhältnis aus Wissen und Nichtwissen ist die Grundlage für die perfekte Spannungsdramaturgie dieser Episode. „Der Anschlag“ wurde von Holger Karsten Schmidt geschrieben, dem Erfinder der Reihe, die beim Zuschauer von Jahr zu Jahr (rund sieben Millionen Zuschauer) beliebter wird. Fast machte es den Eindruck, als habe der produktivste deutsche Drehbuchautor mit Qualitätsanspruch (zahllose TV-Preise, u.a. drei Grimme-Preise) in Niels Holle seinen Meister gefunden. Jedenfalls gehörten dessen Episoden „Frau Irmler“ (2018) und „Ein Killer und ein Halber“ (2019) zu den schrägsten und coolsten der Reihe. Dieses Jahr ist das anders. Schmidts Buch des Auftaktfilms ist ein Musterbeispiel für strukturelles, reduziertes und konzentriertes Erzählen; trotzdem wirkt der Film lebendig und nie künstlich oder kalkuliert. Alles hängt mit allem zusammen, man ahnt das, ohne die Auflösung der Geschichte zu kennen. So entsteht ein Spannungsfluss, bei dem man sich nie fragt: „Was soll das?“ oder „Wie passt das zusammen?“. Ein Grund dafür: Jeder Nebenstrang gehört zum Hauptplot – und doch bleibt für den Zuschauer Raum zum kreativen Mitdenken.
Foto: NDR / Sandra Hoever
Das Meer & der Strand, Wald & Wiesen werden zu atmosphärischen Fluchtpunkten
Schmidts norddeutsche Krimigeschichten setzen immer auch auf Ruhemomente, mit und ohne Tiere, auf Lakonie & Langsamkeit von Land & Leuten (beispielsweise das trockenhumorige Bestatter-Pärchen). Umso intensiver die Wirkung von Action-Szenen. Auf der Zielgeraden von „Der Anschlag“ ist Bewegung das dominierende ästhetische Prinzip: Es gibt eine Reihe sportiver Sprints, und die wirkungsvolle Montage erledigt den Rest. Die Raumorientierung ist vorzüglich. So wird die Bedrohung anschaulich. Das Finale ist furios: Das Zielfernrohr ist in Position gebracht – und es folgt darauf ein Knaller nach dem anderen. Ob das alles so besonders logisch ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall aber ist es ein spannender und gewohnt lockerer Film, der die beiden künftigen Kollegen zusammenwachsen lässt, obwohl sie nicht gemeinsam ermitteln (können). Der besondere Flow kommt selbstredend auch durch die gekonnte Regie von Nina Wolfrum zustande. Die luftige Inszenierung, in der das Meer und der Strand, Wald und Wiesen immer wieder atmosphärische Fluchtpunkte darstellen, kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Ein Strandspaziergang, eine Fahrt mit dem Auto, ein Drohnenflug oder ein Top-Shot zur rechten Zeit lassen einen die Weite des Nordens spüren. Und auch Timing und Tempo der Montage sind vorzüglich: Spannung braucht Entspannung, um seine Wirkkraft zu entfalten. „Nord bei Nordwest“ macht es vor.
Ein dilettantischer Raubüberfall, zwei Schwestern und ein Pärchen auf der Flucht
Das gilt ebenso für den zweiten Film, „Conny & Maik“, dessen Regie auch auf das Konto von Nina Wolfrum geht. Diese Reihe braucht keine anhaltende Schönwetterlage. Im Gegenteil: Der Nebel als Einstiegsbild passt perfekt zur Geschichte, denn die Neue verhält sich reichlich nebulös. Nachdem bei einem dilettantischen Raubüberfall ein Unbeteiligter erschossen wurde, ermittelt Wagner nicht dem Täter hinterher, sondern versucht, Spuren zu verwischen. Der Grund: Sie kennt den Täter. Es ist der Bruder eines zu Tode gekommenen Informanten. Und die Tatwaffe ist ihre Dienstwaffe, die jener Maik (Slavko Popadic) ihr entwendet hat. Der Zuschauer ist von Anfang an im Bilde, sieht, wie ihm ein dubioser Ex-Arbeitgeber (Andreas Anke) ein Messer in die Hand rammt und ein solches auch auf die Brust setzt: Maik hat ihn beklaut; innerhalb eines Tages soll er das Geld ranschaffen. Das ist erwartungsgemäß aussichtslos. Der Überfall hat viel zu wenig eingebracht. Doch erst mal heißt es für Maik untertauchen. In einer abgelegenen Scheune kann er seinen Ami-Schlitten unterstellen. Dort trifft er auf Conny (Luisa-Céline Gaffron), ein haltloses Girlie, welches ihrer älteren Schwester beweisen möchte, dass auch sie zu etwas nutze ist. Die beiden brauchen dringend Geld, um den geerbten Hof zu retten. Da kommt ihr Maiks kriminelle Energie gerade recht.
Foto: NDR / Sandra Hoever
„Conny & Maik“: Asphaltwestern-Ballade mit einem blutigen Showdown im Wald
Es erweist sich bei „Nord bei Nordwest“ immer als besonders effektiv, wenn Beteiligte des Trios persönlich betroffen sind. In „Conny & Maik“ ist es nicht nur Hannah Wagner, auch für Hauke Jacobs ist es kein gewöhnlicher Fall: So endet eine Verfolgungsjagd der Polizisten mit einem Unfall. Der Streifenwagen überschlägt sich – und Wagner rettet Jacobs das Leben. Wird er deshalb bei ihr ein Auge zudrücken? Ihre Beichte kommt allerdings spät; längst hat sich der Schädel-Hirn-Traumatisierte selbst entlassen. Die Handlungsfäden zieht Autor Niels Holle recht geschickt zusammen; ein so unwiderstehlicher Sog wie im ersten Film entsteht allerdings nicht. Die Vorbereitungen für den Schlussakt wirken weniger elegant. Dafür ist viel ernsthaftes Drama im Spiel, um das Verhalten von Conny zu motivieren. Auch der Titel dürfte Assoziationen beim Zuschauer wecken. Und so wirkt denn auch „Conny & Maik“ wie eine Asphaltwestern-Ballade, bei der man es entsprechend auf der Zielgeraden mit einer epischeren Form der Spannung (im Gegensatz zum Thriller-Suspense) zu tun bekommt. Wie beim Showdown im Wilden Westen dominieren auch hier die Totalen: ein blutiges Finale im Wald, sechs Personen im Kugelhagel. Dabei halten sich die Emotionen in Grenzen. Die Tragödie zeigt sich hinterher. Für das Verhältnis von Wagner & Jacobs ist es eine wichtige Episode.
Ein Kurier, ein Cleaner, die Mafia, ein Affe, ein Zoo, ein Gaga-Girlie: zu viel des Guten
Beim dritten Film, „Im Namen des Vaters“, sind die Vorbereitungen, damit im Schlussdrittel die narrative Ernte eingefahren werden kann, noch etwas umständlicher. Einem Badeunfall zu Beginn, der tatsächlich nur ein Badeunfall ist, kommt eine viel zu große Aufmerksamkeit zu; dabei ist allein dessen Auswirkungen – sehr viel später – auf die Geschichte von Belang: Die Hinterbliebenen, eine Mutter und ihr Sohn, geraten in Existenznot. Und so kommt es, dass der neue Pfarrer (Paul Behren) im Ort, sich im Namen der praktischen Nächstenhilfe auf eine kriminelle, dafür umso besser bezahlte Dienstleistung einlässt. Im ersten Drittel muss der Zuschauer bereits mitansehen, wohin so ein Kurierdienst führen kann: Ein Wäschereibesitzer wollte sich etwas nebenher verdienen, wird allerdings seines Lebens nicht mehr froh. Der Transport fliegt auf, und ein Cleaner (Thomas Arnold) regelt die Sache – sehr diskret. Jetzt ist es zumindest für Bestatter Töteberg (Stephan A. Tölle) der gefühlt „herrliche Tag“.
Foto: NDR / Sandra Hoever
Nicht weniger von Belang ist ein Tierwohl-Strang, in den Jule und ihre ziemlich seltsame Kommilitonin Stella (Luzia Oppermann) verstrickt sind: Ein verletzter Affe aus einem Tierpark ist möglicherweise für Tierversuche missbraucht worden. Bei einer aus dem Ruder laufenden Befreiungsaktion des putzigen Kerlchens geraten die beiden Frauen dann allerdings an den Falschen… Das Oberflächenpuzzle der Narration ist in „Im Namen des Vaters“ extrem kleinteilig, und das Nebeneinander der Handlungsstränge gerät im Mittelteil etwas langatmig (gemessen am sehr guten Flow der ersten beiden Filme). Für den Zuschauer ergeben sich zu viele Fragezeichen – und wenn dann auch noch haarklein dialogische Erklärungsarbeit geleistet wird, damit es die Logik- und Glaubwürdigkeitsfanatiker zufrieden sind, wird das Ganze noch komplizierter (die Geschichte des gestohlenen Ausweises beispielsweise dürfte kaum ein Zuschauer verstehen). Nichtdestotrotz kollidieren im Schlussdrittel die beiden Plots killercool-spannend miteinander und die kalabrische Mafia sowie die lebensgefährliche Vorgeschichte von Jacobs kommen zuvor noch actionreich ins Spiel, sodass die verwöhnten „NnN“-Fans am Ende wieder versöhnt auf baldigen Nachschub hoffen dürften.
Eine Besonderheit von „Nord bei Nordwest“ sind nach wie vor die originellen, skurrilen Dinge am Rande, die Accessoires der Narration, die zur ironischen Grundtonlage beitragen und so dem Krimi – den vielen Leichen zum Trotz – eine gewisse Leichtigkeit und Lockerheit verleihen. Dazu gehören auch die Sätze, die die Autoren den Figuren in den Mund legen. So preist beispielsweise ein LKA-Mann bei Hannah Wagner eitel seine schusssichere Kleidung an: „Wenn Sie mal anfassen wollen?“ Wagner: „Nein danke, ich schieße lieber schneller.“ Derselbe trottelige LKA-Mann zum LKA-Killer (verlegen am Telefon): „Ja, was soll ich sagen.“ Killer: „Wenn ich nicht weiß, was Sie sagen wollen, dann kann ich Ihnen beim Wie nicht helfen.“ Trottel: „Mir ist gerade was sehr Blödes passiert.“ Für Schmunzeln sorgen auch die Bestatter. So sinniert Töteberg nach dem unschönen Tod des Wäschereibesitzers: „Mich überfällt zuweilen das Gefühl, als hätte der Tod einen grausamen Sinn für Humor. Da widmet jemand sein ganzes Leben der Ordnung und der Sauberkeit und hinterlässt dann am Ende eine solche Sauerei.“