Nemez

Mark Filatov, Emilia Schüle, Stanislav Güntner. Ein Entfremdeter, der einen kalt lässt

Foto: ZDF / Bernhard Keller
Foto Sophie Charlotte Rieger

In Russland ist er ein Deutscher, in Deutschland ein Russe. Ein junger Mann zwischen allen Stühlen – und dann ist er auch noch kriminell geworden… Mark Filatov spielt seine Rolle mit einer unerträglich stoischen Ruhe. Spiegelt sich darin nur die Entfremdung seiner Figur oder mangelndes Schauspielertalent? Vieles in Stanislav Güntners „Nemez“ irritiert. Schade, dass sich der junge Filmemacher mit dem Thema der Heimatlosigkeit und Entfremdung hier nicht intensiver auseinandersetzt und stattdessen versucht, eine Art Krimi zu erzählen.

In Russland ist er ein Deutscher, in Deutschland ein Russe. Und auch der Spitzname Nemez, die russische Bezeichnung für „Deutscher“, verdeutlicht, dass Dima (Mark Filatov) kulturell zwischen den Stühlen steht. Seine Gefängnisstrafe ist für die Eltern ein Grund, endlich in die sibirische Heimat zurückzukehren, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Doch Dima hat keine Lust mehr, sich sein Leben von anderen diktieren zu lassen. Weder von seinem kriminellen Auftraggeber Georgij (Àlex Brendemühl), noch von seinem Vater, der den Sohn gerne an einer russischen Universität sähe. Dima verbringt seine Zeit lieber mit Nadia (Emilia Schüle). In der Tochter aus gutem Hause findet er eine Gleichgesinnte, die sein großes Interesse für Kunst teilt. Doch es ist genau diese Gemeinsamkeit, die ihnen schließlich zum Verhängnis wird, als Dima von seiner kriminellen Vergangenheit eingeholt wird.

Mark Filatov spielt seine Rolle mit einer schier unerträglich stoischen Ruhe. Während diese Gleichgültigkeit als Bewältigungsstrategie seiner inneren Zerrissenheit interpretiert werden könnte, entsteht durch die betonungslose Sprache andererseits der Eindruck mangelnden Schauspieltalents oder eines Regiefehlers. Oft ist unklar, warum Dima auf die Ereignisse mit derartiger Gelassenheit reagiert. Emotionen lassen sich in dem ewig gleichen Gesicht nur erahnen. Im Grunde ist es sympathisch, dass Regisseur und Autor Stanislav Güntner hier der Klischeefalle entgeht, seinen delinquenten Protagonisten als impulsiven Haudrauf und Opfer sozialer Benachteiligung zu inszenieren. Andererseits ist es in Anbetracht seiner auffälligen Sanftmütigkeit und Ausgeglichenheit schwer nachzuvollziehen, wie dieser junge Mann den Weg in die zwielichtigen Kreise gefunden hat, in denen der Zuschauer ihn zu Beginn antrifft.

NemezFoto: ZDF / Bernhard Keller
Das Objekt von Dimas Begehren: seine Freundin Nadia (Emilia Schüle), gesehen mit dem Blick des Russlanddeutschen.

Auch der Münzdiebstahl, der den Auftakt von „Nemez“ bildet, wirkt merkwürdig unaufgeregt. Obwohl durch das plötzliche Auftauchen des Eigentümers eigentlich Spannung entstehen müsste, erzählt Güntner auch diese Passage mit großer Ruhe. Sein gesamter Film scheint merkwürdig gedeckelt. In diesem Kontext wirken emotionale Reaktionen, wie die von Nadias Ex-Freund Gustav, plötzlich affektiert und überzogen. So können weder die ruhigen, noch die impulsiven Charaktere Authentizität entfalten; insbesondere Georgij ist derart eindimensional, dass er auch den Bösewicht in einem Kinderfilm geben könnte. Vor dem Hintergrund dieser schwer zugänglichen Charaktere kann auch die Handlung von „Nemez“ kaum überzeugen. Vieles wirkt schlichtweg konstruiert, so dass man am dramatischen Höhepunkt, als Nadia glaubt, von Dima für seine kriminellen Machenschaften missbraucht worden zu sein, geneigt ist zu schmunzeln, anstatt um die Hauptfiguren & ihre junge Liebe zu bangen. Sowohl die Figuren als auch ihre Geschichte bleiben dem Zuschauer letztlich fremd.

Vielleicht aber ist es auch genau dieses Gefühl der Entfremdung, um das es Stanislav Güntner letzten Endes geht. Egal wo er hinkommt, überall fühlt sich Dima als Fremdkörper. Auch das Verhältnis zu seinen Eltern wirkt distanziert. Von seiner kriminellen Vergangenheit und den früheren Freunden versucht er sich abzugrenzen, kann aber in Nadias Welt auf Grund des Stigmas der verbüßten Gefängnisstrafe keine neue Heimat finden. Doch Stanislav Güntner geht es nicht um Introspektion, um das Eintauchen in die emotionale Erlebniswelt seines Protagonisten, sondern um eine Kriminalgeschichte. Diese aber vermag er bedauerlicherweise nicht mit der melancholischen Grundstimmung seines Konzepts zu einer stimmigen, dramaturgischen Einheit zu verbinden. Die verschiedenen Handlungsstränge bleiben lose Fragmente, in denen der Zuschauer vorübergehend die Orientierung verliert. In einem Moment dreht sich alles um die von Georgij ausgehende Gefahr, im nächsten spielen seine Drohungen für den Protagonisten scheinbar keine Rolle mehr und der Film widmet sich ganz der Beziehung zwischen Dima und Nadia. So kann kein kohärenter Spannungsbogen entstehen – und „Nemez“ zieht sich trotz kompakter 90 Minuten gefühlt in die Länge.

Es ist schade, dass sich Stanislav Güntner mit dem Thema der Heimatlosigkeit und Entfremdung hier nicht intensiver auseinandersetzt und stattdessen (vergeblich) versucht, eine Art Krimi zu erzählen. So gelingt es ihm leider weder die emotionale Welt seines Protagonisten greifbar zu illustrieren, noch durch Krimispannung zu unterhalten. (Text-Stand: 9.7.2014)

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Kinofilm

ZDF

Mit Mark Filatov, Emilia Schüle, Alex Brendemühl, Kai Michael Müller, Katerina Poladjan, René Erler, Michael Lott

Kamera: Bernhard Keller

Szenenbild: Graziella Tomasi

Schnitt: Barbara von Weitershausen

Musik: Levan Basharuli

Produktionsfirma: filmschaft maas & füllmich, Nominal Film

Drehbuch: Stanislav Güntner, Alexei Mamedov

Regie: Stanislav Güntner

EA: 19.08.2014 20:15 Uhr | ZDF

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