Neben der Spur – Todeswunsch

Ulrich Noethen, Juergen Maurer, Mathias Klaschka, Thomas Berger. Reifezeugnisse

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Tilmann P. Gangloff

Buch und Regie haben innerhalb der ZDF-Reihe „Neben der Spur“ gewechselt, aber auch der dritte Krimi mit Ulrich Noethen als Psychiater und Juergen Maurer als Kommissar bleibt den Stärken der Reihe treu: Dank Kamera, Schnitt und Musik entwickelt „Todeswunsch“ von Beginn an eine enorme Intensität, die der Film bis zum Schluss hält. Mehrere überraschende Wendungen sorgen dafür, dass der Krimi über eine in ihren Lehrer verliebte junge Frau, die vom Vater missbraucht wurde und ihn offenbar in Notwehr erstochen hat, nicht nur darstellerisch und bildgestalterisch, sondern auch inhaltlich erstklassig bleibt.

Da das ZDF „Solo für Weiss“ vor diesem dritten Teil aus der Reihe „Neben der Spur“ ausgestrahlt hat, liegt die Vermutung nahe: Regisseur Thomas Berger und Autor Mathias Klaschka haben bei dem Zweiteiler so gut zusammengearbeitet, dass sie gleich weitergemacht haben. Tatsächlich war es umgekehrt: „Todeswunsch“ ist vorher entstanden. Das Qualitätsniveau der drei Filme ist jedoch identisch; außerdem knüpfen Berger und Klaschka nahtlos an die beiden früheren Episoden der Reihe („Adrenalin“ / „Amnesie“) an, die vom Kinoduo Cyril Boss und Philipp Stennert geschrieben und inszeniert worden sind. Berger hat zwar Kameramann Frank Küpper mitgebracht, mit dem er seit einigen Jahren regelmäßig zusammenarbeitet, aber für Kontinuität sorgt neben dem Cutter Lucas Seeberger vor allem Christoph Zirngibl, dessen Musik großen Anteil daran hat, dass auch die dritte Verfilmung eines Michael-Robotham-Romans ein ungeheuer spannender Krimi ist. Die Betonung der Farbe blau in Bildgestaltung und Kleidung orientiert sich am derzeitigen ZDF-Stil für dieses Genre; Sequenzen mit rascher Schnittfolge treiben die Spannung immer wieder in die Höhe.

Die Geschichte über eine Schülerin, die in ihren Lehrer verliebt ist, erinnert von Ferne an Wolfgang Petersens „Tatort“-Klassiker „Reifezeugnis“ (1977), zumal die Mädchen in beiden Fällen Sina heißen. Diesmal ist die Handlung aber deutlich komplexer. Der Auftakt ist Thriller pur: Eine junge Frau hetzt in Panik durch den Wald. Die Hauptfigur, der Hamburger Psychiater Jo Jessen (Ulrich Noethen), wird mit einem Gerichtstermin eingeführt: Ein junger Mann, der wegen der brutalen Vergewaltigung einer 16-Jährigen im Maßregelvollzug einsitzt, ist nach Ansicht seiner Therapeutin (Christina Hecke) geheilt. Jessen hat Zweifel und treibt den Mann mit seinen Fragen in die Enge; entlassen wird er trotzdem. Mit dem eigentlichen Plot hat die Anhörung scheinbar nichts zu tun, aber selbstredend taucht der unheimliche Zeitgenosse später wieder auf und sorgt dafür, dass Jessens Familie nicht bloß mit dem Schrecken davonkommt. Auch der Psychiater wird beinahe Opfer eines Mordversuchs.

Im Anschluss an das Gespräch holt Jessen seine Tochter Charlotte (Lilly Liefers) und ihre beste Freundin Sina (Mala Emde) von der Theater-AG ihrer Schule ab. Später nimmt der Film die Eingangssequenz wieder auf und erzeugt mit einer immer höheren Schnittfrequenz eine enorme Spannung, die darin mündet, dass Sina blutbeschmiert vor der Tür der Jessens steht, um gleich wieder in Panik davonzulaufen. Daheim liegt derweil ihr Vater, ein Ermittler aus dem Drogendezernat, erstochen in ihrem Zimmer. Für Kommissar Vincent Ruiz (Juergen Maurer) ist der Fall klar, erst recht, als sich rausstellt, dass der Mann offenbar jahrelang seine Töchter missbraucht hat: Das Mädchen, das sich an nichts erinnern kann, hat den Kollegen offenbar in Notwehr getötet. Jessen glaubt das nicht, und seine Skepsis bekommt zusätzliche Nahrung, als er Sinas Lehrer Gregor Engels (Fritz Karl) kennenlernt und herausfindet, dass die gegenseitige Zuneigung der beiden über die übliche Beziehung zwischen Lehrer und Schülerin hinausging. Außerdem hat Engels schon einmal eine derartige Liaison gepflegt. Seine damalige Frau ist irgendwann spurlos verschwunden, stattdessen ist er jetzt mit seiner früheren Schülerin (Friederike Becht) verheiratet. Obwohl Jessen den ebenso charismatischen wie manipulativen Pädagogen durchschaut, fällt er auf seine Provokationen rein.

Neben der Spur – TodeswunschFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Hochspannung: Blutbeschmiert steht Sina (stark: Mala Emde) vor der Tür der Jessens. Der Teenager hat „Gesprächsbedarf“.

Das mag nach üblicher Krimihandlung klingen, aber „Todeswunsch“ ist weit mehr als das. Schon allein die Umsetzung durch Berger, der unter anderem die Reihe „Kommissarin Lucas“ maßgeblich geprägt hat, ist auch dank des Zusammenspiels von Kamera, Schnitt und Musik bestes Thriller-Handwerk. Die darstellerischen Leistungen stehen dem in nichts nach. Gerade das Gespann Noethen/Maurer erweist sich erneut als großartige Kombination. Die Filmografien der beiden Schauspieler enthalten gleichermaßen Sympathieträger wie Schurken. In „Neben der Spur“ sind sie beides: Einige Einstellungen zeigen den Seelenforscher mit einem Blick, der Wasser gefrieren lassen könnte. Maurer wiederum verkörpert den Kommissar als einen Mann mit viel Melancholie, der sich hinter humorlosem Sarkasmus verschanzt. Eigentlich müssten Jessen und Ruiz Freunde sein, immerhin haben sie sich in den ersten beiden Filmen gegenseitig das Leben gerettet, doch sie wissen die gegenseitige Zuneigung gut zu verbergen; gerade dem Kommissar sind Taten ohnehin wichtiger als Worte. Trotzdem mutet es nach wie vor seltsam an, wie wenig auch Klaschka aus der Kombination dieser beiden konträren Charaktere macht; vielleicht wollen Sender & Produktionstochter vermeiden, dass sie ähnlich kumpelhafte Züge annehmen wie so manches altgedientes „Tatort“-Duo.

Schauspielerisch allerdings sind Noethen und Maurer ein Genuss. Nicht minder famos ist Mala Emde, die sich seit ihrer Titelrolle in dem Dokudrama „Meine Tochter Anne Frank“ (2015) mehr und mehr zum kommenden Star entwickelt, was sie auch zuletzt in einem „Tatort“ aus Kiel („Tatort: Borowski und das verlorene Mädchen“) nachdrücklich bestätigt hat. Wenn „Todeswunsch“ eine Schwäche hat, ist es die Figur von Jessens Tochter. Lilly Liefers, Tochter von Jan Josef Liefers und Anna Loos, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade mal zwölf, und so sieht sie auch aus, weshalb die offenbar innige Freundschaft zwischen der kindlichen Charlotte und der erwachsen wirkenden 16jährigen Sina (Emde ist mittlerweile zwanzig) nicht sehr glaubwürdig ist. Außerdem klingen ihre Dialoge aufgesagt, und das gilt nicht nur für die Zeilen, die sie aus „Romeo und Julia“ deklamiert. Das fällt aber kaum ins Gewicht. Viel entscheidender ist, dass Engels nun, da Sina für ihn unerreichbar ist, eine Nachfolgerin sucht; und das nicht nur für die Rolle der Julia. Da sich Ruiz zudem bemüht, wieder einen besseren Draht zu seiner Tochter Nina zu bekommen, gibt es noch eine dritte Vater/Tocher-Ebene. Annika Schrumpf hat bereits in einigen ZDF-Filmen gezeigt, was sie kann („Tod eines Mädchens“) und hinterlässt in ihren wenigen Szenen so viel Eindruck, dass Ruiz schon allein deshalb unbedingt mehr Zeit mit Nina verbringen sollte.

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ZDF

Mit Ulrich Noethen, Juergen Maurer, Petra van de Voort, Lilly Liefers, Mala Emde, Fritz Karl, Friederike Becht, Michaela Rosen, Marie Leuenberger, Annika Schrumpf, Kailas Mahadevan, Regula Grauwiller, Gro Swantje Kohlhof

Kamera: Frank Küpper

Szenenbild: Benedikt Herforth

Kostüm: Natascha Curtius-Noss

Schnitt: Lucas Seeberger

Musik: Christoph Zirngibl

Produktionsfirma: Network Movie

Drehbuch: Mathias Klaschka – Vorlage: Michael Robotham

Regie: Thomas Berger

Quote: 5,58 Mio. Zuschauer (16,4% MA)

EA: 14.11.2016 20:15 Uhr | ZDF

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