Nachtschicht – Es lebe der Tod

Rohde, Auer, Wörner, Lau, Muslu, Bagriacik, Lars Becker. Immer Ärger mit Johnny

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Ein Toter, der plötzlich wieder lebt und wenig später doch tot ist. Eine Ex-Hure, die den Kiez aufmischt und einer jungen Prostituierten den Weg freischießt, grenzdebile Zuhälter, verpeilte Inkasso-Machos und eine Menge Bares… Schon der Plot lässt keinen Zweifel daran, dass die 15. Episode der Ausnahme-Reihe „Nachtschicht“ (ZDF / Network Movie) das kriminelle Scenario mal wieder auf die leichte Schulter nimmt. Cool und ironisch, lakonisch und wuchtig zugleich lässt Lars Becker in „Es lebe der Tod“ ein Dutzend vorzugsweise schräger Typen aufeinander losgehen. Wie immer in dieser Reihe führen die Episodenfiguren ein Eigenleben. Und so weiß der Zuschauer immer ein bisschen mehr als das Hamburger KDD-Team und kann sich lustvoll im Sessel zurücklehnen – bei diesem clever gedrechselten, dialogisch knackigen, temporeichen, top besetzten, grotesk überdrehten, spannenden Kiez-Krimi.

Von Bullen und (Un-)Toten, von Zuhältern, Huren & Inkasso-„Finanzberatern“
Möbelhausmillionär Johnny de Groot (Robert Koch) ist ein Herzinfarktkandidat. Die Reeperbahn vor der Haustür, kann er es dennoch nicht lassen: Alle Jahre wieder legt er sich eine Prostituierte zu, erst ist er ihr Stammfreier, dann holt er sie weg von der „sündigen Meile“. Mit der Armenierin Zora (Almila Bagriacik) wollte er offenbar die Biege machen. Von überallher hat er sich Geld ergaunert. Mehr als eine Million, das reicht fürs erste. Allerdings kommen de Groot seine Herzprobleme in die Quere. Beim Sex ereilt ihn der Exitus. Zora hat in ihrer Panik den Alarmknopf gedrückt. Wenig später stehen Erichsen (Armin Rohde) und sein neuer Kollege Elias Zekarias (Tedros Teclebrhan) in dem Bordell auf der Matte. Die Besitzer Angelo (Frederick Lau) und Claude (Murathan Muslu) konnten den Toten eben noch auf einem Hocker an der Bar platzieren. Vollrausch hier, „falscher Alarm“ dort – und schon sind die Männer vom KDD wieder raus aus dem Laden. Als Anita (Natalia Wörner), die Frau von de Groot, einst ein Knaller auf dem Kiez und vor langer Zeit Erichsens Herzdame, ihren Göttergatten als vermisst meldet, macht es bei den Beamten klick. Im Sachsenwald, wo die beiden gestressten Zuhälter, die Leiche verbuddeln wollen, wird aus dem Toten plötzlich ein Untoter – und schließlich doch wieder ein Toter. Aber was ist jetzt mit dem Geld? Anita findet, das hätte sie sich mehr als verdient. Kriminalpsychologin Lisa Breuer (Barbara Auer) sieht das ganz anders, ist auch ein wenig eifersüchtig – und verlangt, dass Erichsen Anitas Treiben einen Riegel vorschiebt. Auch Zora hätte gern was ab vom Zaster, aber die muss wohl erst mal um ihr Leben bangen. Ob ihr Lude Claude sie vor Angelo schützen kann? Tierisch genervt werden sie auch noch von zwei Inkasso-„Finanzberatern“ (Prince Kulmann, Kida Khodr Ramadan), die der Tote abgezockt hat. Und da ist auch noch der „Sachsenwald-Zeuge“ (Philipp Hochmair), der glaubt, als Vogelkundler im Puff gratis vögeln zu dürfen.

Nachtschicht – Es lebe der TodFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Minuten vorm „Disco Inferno“. Erichsen (Armin Rohde) hat da im Nachtclub noch was zu klären. Aber die Kiez-Größen und Kleinganoven haben ihre eigenen Gesetze.

„Disco Inferno“ auf der Reeperbahn: Schafft der Kiez seine eigene Gerechtigkeit?
Schon der Plot lässt keinen Zweifel daran, dass die 15. Episode der ZDF-Ausnahme-Reihe „Nachtschicht“ das kriminelle Scenario mal wieder auf die leichte Schulter nimmt. Cool und ironisch, lakonisch und wuchtig zugleich lässt Autor-Regisseur Lars Becker in „Es lebe der Tod“ ein gutes Dutzend vorzugsweise schräger Typen aufeinander losgehen. Da sind die Zuhälter, die ein bisschen an die beiden netten Killer von nebenan aus „Pulp Fiction“ erinnern, zwei unbedarfte, anfangs fast harmlos wirkende Leichen-Beseitiger, deren kriminelle Energie irgendwann nicht mehr aufzuhalten ist. Ihre Unberechenbarkeit, ihre zwei Seiten, „Mensch“ und Gangster, verkörpern Frederick Lau und Murathan Muslu ganz vorzüglich. Auch die extra toughe Ex-Hure Anita scheint ein Kinovorbild zu haben: Wie sie die Knarre hält und die Loddel und Eintreiber-Machos in die Ecke stellt, das erinnert an Gena Rowlands „Gloria – die Gangsterbraut“; im Cassavetes-Film war der unliebsame Zeuge ein Kind, hier ist es eine junge Prostituierte, der Natalia Wörners Figur den Weg freischießt. Wie immer in Beckers Reihe führen die Episoden-Figuren ein Eigenleben. Ob auf der Reeperbahn, im Möbelcenter oder in den Privatquartieren der Damen – in vielen Szenen ist keine Bullerei vor Ort. Und so weiß der Zuschauer mehr als Erichsen & Co, kann sich lustvoll im Fernsehsessel zurücklehnen und rätseln, wie denn wohl die beiden Luden überführt werden könnten. Klassisch ermitteln lässt sich der Mord schwer. Denn der einzige Zeuge aus dem Sachsenwald ist bald kein Zeuge mehr. Aber vielleicht schaffen ja der Kiez und die Kriminellen ihre eigene Gerechtigkeit. Der Klasse-Showdown auf der Tanzfläche einer Diskothek am frühen Samstagmorgen findet musikalisch seine dezente Vorwegnahme mit dem „Saturday Night Fever“-Klassiker „Disco Inferno“. Und die Discokugel dreht und dreht sich. St. Pauli grüßt Little Italy.

Nachtschicht – Es lebe der TodFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Johnnys Geliebte (Almila Bagriacik) beherzigt die Kiez-Regel Nr. 1: „Klappe halten!“ KDD-Polizeipsychologin Lisa Breuer (Barbara Auer) beißt sich an ihr die Zähne aus.

Mastermind Lars Becker über seine legendäre Reihe „Nachschicht“:
„Die Grundidee war, neben konventionellen Krimiserien eine innovative, realisti-sche Polizeiserie zu etablieren, die in nur einer Nacht spielt und durch einen Dschungel banaler, grotesker Alltagskriminalität führt. Ein moderner Polizeifilm, jede Folge ein anderes Thema, ein anderes Milieu, ein anderer Beat, ein anderes Rockalbum. Zugleich Drama, Noir, Comedy, Thriller versus Jazz, Pop, Hiphop oder Rock. Dokumentarisch und temporeich erzählt lebt „Nachtschicht“ von unkonventionellen Methoden der Hauptfiguren, von Mord und Totschlag, Drogen und Rassismus, Witz und Charme – und immer am Rande der Legalität.“

Ein halbrundes Jubiläum: Das Bigger-than-life-Crime-Format als Genre-Türöffner
Die letzten 15 Jahre hat Lars Becker die Reihe durch alle möglichen Genre-Mixturen geführt und sie damit als wegweisendes Bigger-than-life-Crime-Format etabliert, das den Trend zum spielerischen, anti-naturalistischen Fernsehkrimi der 2010er Jahre (von Holger Karsten Schmidts Genre-Variationen mit Hinnerk Schönemann bis zum Tukur-„Tatort“) vorweggenommen und beeinflusst hat. Die besten Filme sind die, in denen der Wahnsinn Methode hat („Wir sind alle keine Engel“), in denen die skurrilen, durchgeknallten, häufig zu kurz gekommenen Nachtschattengewächse mit ihrem Milieu verschmelzen („Wir sind die Polizei“) und sich aus einer nur leicht verschobenen Normalität irrwitzige Extremsituationen („Amok“) ergeben. „Da wo der Alltag aus dem Gleichgewicht gerät, alles aus dem Ruder läuft und es unter Umständen sogar Tote gibt“, so Armin Rohde, da ist „Nachtschicht“ zuhause. Gesellschaftskritik schwingt mitunter mit, ist nie penetrant, kommt durch die Hintertür. „Nachtschicht“, das sind Großstadtkrimis, die sich traumwandlerisch sicher durch die verschiedensten Tonlagen bewegen, packend und in ihrer Unvorhersehbarkeit seit jeher eine Rarität sind im deutschen Krimi-TV, die voller Witz stecken, ohne in die Genreparodie zu kippen. Es sind Polizeifilme, in denen die Handlungen schon mal ins Absurde driften oder in einer Tragödie enden. „Es lebe der Tod“ hat ein bisschen von all dem, und das ergibt in diesem besonderen Fall nichts postmodern Belangloses, sondern einen clever gedrechselten, dialogisch knackigen, temporeichen, gut gecasteten, grotesk überdrehten, spannenden Kiez-Krimi, der einen 90 Minuten in seinen Bann schlägt. (Text-Stand: 14.10.2018)

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Reihe

ZDF

Mit Armin Rohde, Barbara Auer, Natalia Wörner, Frederick Lau, Murathan Muslu, Almila Bagriacik, Tedros Teclebrhan, Kida Khodr Ramadan, Roland Koch, Gustav Peter Wöhler, Prince Kuhlmann, Minh-Khai Phan-Thi, Philipp Hochmair

Kamera: Andreas Zickgraf

Szenenbild: Sabine Pawlik

Kostüm: Claudia González Espindola

Schnitt: Sanjeev Hathiramani

Musik: Stefan Wulff, Hinrich Dageför

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Bettina Wente, Wolfgang Cimera

Drehbuch: Lars Becker

Regie: Lars Becker

Quote: 6,18 Mio. Zuschauer (19,5% MA); Wh. (2020): 4,47 Mio. (16,7% MA)

EA: 12.11.2018 20:15 Uhr | ZDF

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