Nachtschicht – Cash & Carry

Armin Rohde, Barbara Auer, Friederike Becht, Lars Becker. Geld oder Rache?

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Es ist eine dieser Nächte, in denen so ziemlich alles danebengeht. Die 16. Episode der ZDF-Polizeifilmreihe „Nachtschicht“ (Network Movie Köln) konzentriert sich diesmal auf nur einen Fall, der allerdings seine Kreise zieht und eine Reihe von Menschen mit hineinreißt in ein blutiges Kapitalverbrechen. Ausgangspunkt allen Übels ist – wenn man so will – der ganz alltägliche Rassismus, der in der Episode eine wesentliche Rolle spielt. Auch in den Reihen der Gesetzeshüter. Die Assimilation der Polizei an die Gepflogenheiten des Milieus spiegelt sich in dieser Episode besonders in der Sprache wider. So sehr „Cash & Carry“ mit seinen Tonlagenwechseln (ironisch, traurig, spannend) und mit seinen Kriminellen, die alle keine Leuchten sind, auch bigger than life sein mag, so nah ist dieser „realistische“ Genrefilm gesellschaftspolitisch am Puls der Zeit. Über die Diskriminierung von Minderheiten lassen sich Themenfilme machen, ein solcher Kiez-Krimi ist vielleicht sogar „ehrlicher“.

Es ist eine dieser Nächte, in denen so ziemlich alles danebengeht. Es beginnt damit, dass der Streifenpolizist Harry Tönnies (Benno Fürmann) die Festnahme des notorischen Gesetzesbrecher Norman (Pit Bukowski) verhindert, weil er den Kollegen Ömer Kaplan (Tedros Teclebrhan) für einen Kriminellen hält. Den Moment allgemeinen Durcheinanders nutzt der im Kiez bekannte Psycho, um sich aus dem Griff von Polizeidauerdienstler Erichsen (Armin Rohde) zu befreien. Wäre auch zu blöd gewesen, hat doch Norman mit seinem Kumpel Balou (Klismann Lefaza Jovete) diese Nacht einen großen Coup geplant. Mit einem Gabelstapler reißt der eine einen Geldautomaten aus der Wand und lädt ihn auf einen Kleinlaster. Später wird der andere das Monstrum fachgemäß aufschweißen. In der Zeit dazwischen kommt es allerdings noch zu einem wenig erfreulichen Zwischenfall. Wieder ist der übereifrige Harry Tönnies zur Stelle und funkt den beiden ins Handwerk. „Der Typ ist niemals beim Straßenbauamt“, meint er zu seiner Kollegin Milla (Friederike Becht). Selbstbewusst greift er zur Waffe. Sekunden später liegt er tot auf dem Asphalt. Trotz der erbeuteten 150.000 Euro könnte es auch für die Räuber eine „Scheißnacht“ werden. Denn der Tippgeber will ebenfalls abkassieren, und außerdem meldet noch die Ex-Frau des Toten (Nadeshda Brennicke) Ansprüche auf das Geld an. Eine besondere Gefahr sieht Polizei-Psychologin Bremer (Barbara Auer) auch in der Kollegin von Tönnies: Milla ist allerdings noch unsicher, was sie tun wird: Geld oder Rache? – das ist in dieser Nacht die Frage!

Nachtschicht – Cash & CarryFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Mit einer Fehleinschätzung nimmt die Nacht ihren verhängnisvollen Lauf. Harry Tönnies (Benno Fürmann) ist Ömer Kaplan (Tedros Teclebrhan) zu farbig für einen Polizisten – und der Wagen zu nobel. „Racial Profiling“? Milla (Friederike Becht)

Die 16. Episode der ZDF-Polizeifilmreihe „Nachtschicht“ konzentriert sich diesmal auf nur einen Fall, der allerdings seine Kreise zieht und am Ende eine Reihe von Menschen mit hineinreißt in das blutige Kapitalverbrechen. Im Leben würde man die Exposition von „Cash & Carry“ für einen dummen Zufall halten, dramaturgisch hingegen ist das eine besonders bittere Ironie des Schicksals. Die rassistischen Vorurteile von Fürmanns Streifenpolizisten führen zu einem – von ihm allenfalls belächelten – Fehlverhalten. Beinahe hätte er einen Kollegen nur wegen dessen „undeutschem“ Aussehen verhaftet. Wenig später ist er es selbst, der die Quittung dafür bekommt, indem er von dem Mann, für dessen Flucht er verantwortlich ist, eiskalt erschossen wird. Ausgangspunkt allen Übels ist der ganz alltägliche Rassismus, der in dieser Episode eine wesentliche Rolle spielt. So wird es heftige Auseinandersetzungen auf der Wache geben, bei denen die Kollegen aneinandergeraten, nachdem der Fürsprecher für eine härtere Gangart (Maximilian Brückner) gegenüber dem vorübergehend in Gewahrsam genommenen Balou verbal mit Äußerungen wie „Nimm den Bimbo auseinander, reiß ihm den Arsch auf“ oder „Polizeigewalt ist Notwehr“ weit über das Ziel hinausschießt. Der Konflikt eskaliert. Später kommt es sogar noch zu schwerer Körperverletzung im Amt.

„Diskriminierung ist nicht mehr nur ein Minderheiten-Problem. Es geht darum zu erkennen, dass die Diversität der Gesellschaft (Herkunft, Hautfarbe, Gender, Religion, Migration, Armut etc.) in allen Indikatoren exponentiell zunehmen wird und damit für uns alle – auch für die Polizei – ein soziales, globales Wissen und Gewissen moralisch und pragmatisch nötig sein wird … Wenn wir mal das Corona-Problem als temporär und lösbar betrachten, bleiben drei große globale Probleme: Migration, Armut, Klima. Alle drei führen unweigerlich zu den Themen Rassismus und soziale Diskriminierung.“ (Lars Becker, Autor und Regisseur)

Nachtschicht – Cash & CarryFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Geiselnehmer wie Cop: nicht die hellsten Lichter auf der Torte. Friederike Becht, Pit Bukowski

Wie Gut und Böse, Freund und Feind der Gesetzgebung verschwimmen in einer Welt, in der Gewalt, das große Geld und schlechte Beamtengehälter Realität sind, zeigt Autor-Regisseur Lars Becker immer wieder in seinen Polizeifilmen, am deutlichsten zuletzt in seinen drei Neo-Noir-Krimis um die korrupten Cops Kessel & Diller. Die Idee aus der Anfangsphase von „Nachtschicht“, Armin Rohdes Erichsen zu einem moralischen Wackelkandidaten zu machen, wurde jedoch wieder aufgegeben. Heute ist sein Instinktbulle einer, der dazwischengeht, wenn sich im Multikulti-Team Kollegen im Ton vergreifen („den Knacken mal aufs Maul hauen“) oder sich gegenseitig an den Kragen wollen. Die Assimilation der Polizei an die Gepflogenheiten des Milieus spiegelt sich in dieser Episode besonders in der Sprache wider. Während die Vier von der „Nachtschicht“ (Minh-Khai Phan-This Mimi Hu schaut dieses Mal nur kurz vorbei) und ihr Chef Ömer Kaplan (Özgür Karadeniz) einen klaren, respektvollen Umgangston pflegen („Ich dulde keinen rassistischen Äußerungen“), haben sich zwei Polizistinnen und Geliebten des ermordeten Kollegen einiges vom Kiez-Jargon abgeguckt. „Sie können mich mal am Arsch lecken“, fährt Milla Polizeipsychologin Bremer an, während sie nach dem Mord deutlich macht, was in ihr rumort und wohin die Reise in „Cash & Carry“ gehen wird: „Mit ein bisschen Glück hätte ich das Arschloch kalt gemacht“, lässt sie Erichsen wissen. Auf diese Situation spielt später auch Tönnies‘ Ex-Frau an: „Hast du ihm einen geblasen, statt ihm Deckung zu geben?“ Es scheint, als hätten die „Mädels“ wie einige ihrer männlichen Kollegen es satt, immer nur von den Balous & Normans „verarscht“ zu werden.

Zum Thema „Diskriminierung von Minderheiten“ lassen sich problembewusste und sensibilisierende Fernsehfilme machen. Das kann schnell didaktisch wirken, auch wenn es von den Machern anders gemeint und (häufig auch anders) gemacht ist. Im Gewand des Genrefilms, dem alltäglichen Rassismus bei der Arbeit zuzuschauen, das kann die Vielschichtigkeit des Themas womöglich besser zum Ausdruck bringen, weil ein Krimi eben von mehr als nur dem einen „brisanten“ Thema erzählt. Die Widersprüche der multikulturellen Gesellschaft verpackt diese „Nachschicht“-Episode in eine 90-minütige, abwechslungsreiche, spannende Geschichte. Von einem Krimi, schon gar nicht in einem coolen Nachtfilm, in dem das Personal durch die Straßen & Clubs von Hamburg zieht, erwartet man keine Lösung. Und doch schwingt Vieles mit vom deutschen Migrationsalltag. „Das ist kein Racial Profiling, solange es überproportional viele Straftäter mit Migrationshintergrund gibt“, belehrt Tönnies in der ersten Szene seine Kollegin. „Wenn die Mehrheit einer Minderheit kriminell ist, kommst du mit politisch korrekt nicht weiter.“ Schwarz auf weiß mag das thesenhaft klingen, Fürmann allerdings macht daraus einen für seine Figur stimmigen Satz. So sehr also „Cash & Carry“ mit seinen Tonlagenwechseln (flapsig-ironisch, traurig, spannend) und Kriminellen, die alle keine Leuchten sind, auch bigger than life sein mag, so nah ist dieser zugleich realistisch anmutende Genrefilm gesellschaftspolitisch am Puls der Zeit.

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Reihe

ZDF

Mit Armin Rohde, Barbara Auer, Friederike Becht, Pit Bukowski, Klismann Lefaza Jovete, Tedros Teclebrhan, Özgür Karadeniz, Nadeshda Brennicke, Benno Fürmann, Hassan Akkouch, Lorna Ishema, Maximilian Brückner, Minh-Khai Phan-Thi

Kamera: Andreas Zickgraf

Szenenbild: Adrienne Zeidler

Kostüm: Claudia González Espindola

Schnitt: Sanjeev Hathiramani

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Bettina Wente, Wolfgang Cimera

Drehbuch: Lars Becker

Regie: Lars Becker

Quote: 6,96 Mio. Zuschauer (20,4% MA); Wh. (2022): 5,59 Mio. (18,3% MA)

EA: 04.05.2020 20:15 Uhr | ZDF

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