Kevin (Aurel Manthei) ist Koch und er liebt seinen Beruf. Doch keiner will ihn kochen lassen. Wer allerdings mit Blut-und-Eisen-Tattoo herumläuft oder bei wem zwei stramme Achten in völkischer Hässlichkeit auf dem Hals prangen, der muss sich nicht wundern. Jetzt hat Kevin die Faxen dicke. Mit Sturmhaube und Knarre in der Hand droht er in einem Video im Netz, den Personalchef umzulegen, wenn es heute mit dem Job bei Small Town Burger wieder nicht klappt. Mübariz Pettekaya (Kais Setti) hat Glück, wird gewarnt: Und so wird aus der Absage im Nu eine Zusage, die allerdings nichts wert ist, denn Erichsen (Armin Rohde) und seine neue Kollegin Tülay Yildrim (Idil Üner) sind schon unterwegs. Doch auch der naive Koch bekommt mit seiner Frau Mabel (Marleen Lohse) lebenspraktische Verstärkung. Sie hat alle Beweise für das Video verschwinden lassen. Die rechte Szene ist dennoch in Aufruhr. Kevins Kumpel Dexter (Tristan Seith) will ein Exempel an dem türkischen Personalchef statuieren. Und der politische Rechtsaußen Herzog (Bernhard Schir) und sein Mitstreiter, der Ex-Hooligan Mike Steiner (Frederic Linkemann), fürchten zwei Wochen vor der Wahl um ihre Politkarriere. Denn es gab ja auch noch dieses Grillfest mit fröhlichem Geballere im Sachsenwald. Es muss also ein Bauernopfer geben. Aber erst einmal gibt es einen Toten.
In den achtzehn Jahren der „Nachtschicht“ gab es immer eine gewisse Fluktuation beim durchgängigen Cast von Lars Beckers wegweisender ZDF-Krimi-Reihe (die nie einen Grimme-Preis bekam). Barbara Auer ersetzte 2005 bereits Katharina Böhm, Ken Duken wurde 2008 nach fünf Episoden rausgeschossen, und Christoph Letkowski war von 2012 bis 2017 dabei. Von den Ermittlern aus der zweiten Reihe blieb allein Minh-Khai Phan-Thi im Team. Jetzt musste sie einem Relaunch weichen. In „Blut und Eisen“ hält nur noch Rohde die Stellung als prägendes Gesicht der Reihe mit der erfrischend rüden Tonart. Denn Barbara Auer, die bald die blasse Böhm vergessen ließ, ist auch nicht mehr dabei. Ihre Psychologin hatte zuletzt – mit steigender Absurdität der Plots und der Charaktere – nur noch gelegentlich Essentielles zu den Fällen beizutragen. Die Schauspielerin Auer wird man allerdings vermissen. Lisa Brenners kleine spitzzüngige Neckereien mit dem über die Jahre sehr geschätzten Kollegen Erichsen gehörten bis zuletzt zu den schönsten „Nachtschicht“-Ritualen.
Diese Abgeklärtheit darf man nun von Tülay Yildrim, trotz umgänglicher Wesensart und sympathisch von Idil Üner gespielt, nicht erwarten. Die neue Kollegin, im Übrigen Erichsens Vorgesetzte, bringt nicht Brenners Gelassenheit mit. Sie kommt von LKA, ist engagiert, temperamentvoll, einige Jahre jünger als ihre Vorgängerin, aber sicherlich nicht weniger einfühlsam. Aber ihr kluges Selbstverständnis als Frau in einer noch weitgehend von Männern bestimmten Welt, noch dazu als eine Frau türkischer Abstammung – damit könnte der Instinktbulle Probleme bekommen. Noch heißer her gehen könnte es in Zukunft mit Lulu Koulibaly (Sabrina Ceesay). Frisch von der Uni, summa cum laude, juristisch geschult – so preist sie Dezernatschef Ömer Kaplan (Özgür Karadeniz, seit 2012 im Team) an, nachdem dem vollkommen überrumpelten Erichsen ein nicht gerade freundliches „noch Eine?!“ abging. Rechtsstaatliche Prinzipien und komplizierte Sachverhalte in Diskussionen abzuklären, ist allerdings auch nicht Kaplans Ding. Die kleinen Dispute zwischen ihm und den Frauen, die ihm Ängstlichkeit im Umgang mit einem rechten Spitzenpolitiker vorwerfen, gehören zu den vielen launigen Beziehungsscharmützeln dieser „Nachtschicht“-Episode. Dabei trifft das Gewohnte auf das Grundsätzliche, das Eingeschliffene auf den frischen weiblichen Blick. Und der türkische Macho diskreditiert sich mit einem Lacher (für den Zuschauer): „Leute, wenn ich Bock habe auf endlose Diskussionen, dann gehe ich nach Hause zu meiner Frau.“
Die Dialoge sind wieder einmal große Klasse. Ein schlagkräftiges Pingpong der Gegensätze. Auch im Plot geht es vor allem um das Aufeinanderprallen der unterschiedlichsten Meinungen und Haltungen. Da gibt es die üblichen Spielchen: Männer gegen Frauen, weiß gegen farbig, jung gegen alt, „deutsche Patrioten“ gegen Türken, rechte Emporkömmlinge gegen das braune Fußvolk. Krimi ist für Lars Becker mehr denn je in „Blut und Eisen“ Spiegelbild der Gesellschaft. Verbrechen darf sich auch in der „Nachtschicht“ nicht lohnen; aber von Anfang an waren in dieser Reihe die moralischen Grenzen fließend, auf den Gegensatz zwischen Gut und Böse hat Becker noch nie großen Wert gelegt. Und so ist denn auch dieser etwas realitätsfremde Koch einer, der nie einen Menschen töten könnte, der sich allerdings jahrelang in sehr schlechter Gesellschaft befand. Mit anderen Kriminellen der Reihe verbindet Kevin, dass auch er nicht der Hellsten einer ist. Wunderbar die Szenen, in denen er sich mit dem türkischen Personalchef verbrüdern muss, weil sie beide im selben Schlamassel stecken.
Becker verknüpft Situationen und Charaktere, sorgt so für überraschende, oft absurde Wendungen. Das zeugt von dramaturgischem Können, hinterlässt beim Zuschauen aber die Wirkung größter Selbstverständlichkeit. Dies resultiert nicht zuletzt aus dem speziellen „Nachtschicht“-Muster, das darin besteht, einem Dutzend Hamburger Nachtgestalten über einen Zeitraum von nur wenigen Stunden zu folgen. In „Blut und Eisen“ sind es vor allem die ikonischen Verbindungen, die ins Auge stechen. Es wird zwar viel geredet, die eigentlichen Kommunikationsmittel in der Episode aber sind Waffen. Ihr Einsatz erzählt immer auch eine Geschichte über Macht und Ohnmacht. Und bei Lars Becker kann dieses Wechselspiel sogar komische Züge tragen. Waffen machen Leute. Der gerade noch übel Gedemütigte kann mit Hilfe einer Schusswaffe die Kommunikation umdrehen. Ein einfacher Effekt. Lars Becker setzt ihn gleich mehrfach ein, ohne dass er sich abnutzt. Und natürlich lässt sich dieses Bild steigern; am Ende sind drei Waffen, die aufeinander gerichtet werden, im Spiel. Und je später der Abend, umso überfüllter auch mal wieder die Gefangenensammelstelle. Diesmal ist ohnehin alles ein ziemliches Provisorium: Das neue Polizeigebäude ist noch nicht fertig; also muss man mit einer Dienststelle im Container Vorlieb nehmen. Auch „der ganze Hygienequatsch“, so der rechte Politiker, wird in die Handlung eingebaut, ohne dass die Worte Corona oder Pandemie fallen würden. So ist das Jahr 2020/21 in diesen Krimi ironisch eingeschrieben; er wird aber trotzdem wie die meisten Filme dieser Reihe sehr gut altern.