Die Stimmung ist explosiv; ein Funke genügt, um die zornigen jungen Männer aus der Haut fahren zu lassen. Der Druck kommt vor allem von außen: Roman, ein Arbeitsloser ohne Perspektive, gibt „den Ausländern“ die Schuld an seiner Lage, weil sie angeblich von dem Geld profitieren, das ihm weggenommen wird. Der Deutschtürke Cem, der gerade ein freiwilliges soziales Jahr in einem Seniorenheim absolviert, hat sich einer Initiative angeschlossen, die sich mit Sabotageaktionen gegen den Ausverkauf des Neuköllner Kiezes wehrt. Sein Vater kann die immer teurere Miete für sein Restaurant nicht mehr bezahlen. Roman und Cem begegnen sich das erste Mal bei einem Fußballspiel. Ihre Beleidigungen eskalieren in eine Prügelei, beide sehen Rot. Später treffen sie auch außerhalb des Platzes aufeinander; beinahe zu spät stellen sie fest, dass sie ihre Kräfte besser gegen einen gemeinsamen Feind bündeln sollten.
Andreas Pieper (Buch und Regie) beginnt „Nachspielzeit“ mit rohen, betont unfertig wirkenden Aufnahmen, die seine beiden Protagonisten im finalen Kampf miteinander zeigen; die Vorgeschichte reicht er als Rückblende nach. Die Bildgestaltung von Armin Dierolf aber bleibt dem Stil des Prologs treu, was dem Film eine große Direktheit gibt. Immer wieder ist die Kamera fast hautnah an den Figuren; auf diese Weise gelingt es Pieper, die Stimmungen unmittelbar einzufangen, zumal viele Szenen mit entsprechenden Rapsongs unterlegt sind. Das gilt nicht nur für Aggression, sondern auch für Zuneigung; die zärtlichen Bilder, die Pieper und Dierolf für eine Arbeitsplatzromanze zwischen Cem und Kollegin Astrid (Friederike Becht) finden, lassen diese Momente des Glücks fast wie fragile Fremdkörper wirken.
„Nachspielzeit“, nach „Entzauberungen“ Piepers zweiter Langfilm, der mit Erfolg auf verschiedenen Festivals lief, ist sichtlich mit überschaubarem Budget entstanden. Aber das Drama lebt ohnehin von der Atmosphäre, und für die sorgen neben der Kamera vor allem die ausgezeichneten Hauptdarsteller. Frederick Lau ist dabei eine fast schon zu nahe liegende Besetzung für Roman, dessen dumpfer Ausländerhass bloß ein Ventil für seine diffuse Wut ist; aber natürlich spielt er das vortrefflich. Eine echte Entdeckung ist dagegen Mehmet Atesci, waschechter Kreuzberger und Ensemblemitglied im Berliner Maxim Gorki Theater, der bislang nur wenig Filmerfahrung hat. Während die Rollen der beiden jungen Männer vergleichsweise differenziert angelegt sind, muss Aleksandar Tesla als Handlanger der anonym bleibenden Investoren oder Bauunternehmen dem üblichen Schurkenklischee entsprechen und die Mieter mit miesen Methoden aus ihren Wohnungen vertreiben. Er ist der Mann für die Drecksarbeit, der Cems Vater einschüchtert und Roman verprügelt, als der die Miete schuldig bleibt. Ähnlich stereotyp fällt auch die Figur eines früheren ostdeutschen Sportreporters (Westphal) aus, der die Vergangenheit verklärt und für die Gegenwart nur Zynismus übrig hat.
Gegen Ende, als Filmemacher Pieper zu jener Szene zurückkehrt, mit der der Film begonnen hat, schließt sich der Kreis: Der Scherge des Kapitals hat die Mitglieder des Proletariats offenbar mit Erfolg gegeneinander aufgehetzt. Doch Pieper sorgt mit einem überraschenden Knalleffekt für eine unerwartete Wendung und gibt der Geschichte mit seinem Epilog einen nur noch haarscharf realistischen versöhnlichen Schluss. (Text-Stand Frühjahr 2015)