Beide deutsche Staaten sind auf den Ruinen einer braunen Vergangenheit errichtet worden. Trotzdem waren sie viel zu lange auf dem rechten Auge blind. Selbst die Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds hat daran zunächst nichts geändert. Spätestens mit den islamischen Flüchtlingen bekam der ohnehin bloß unter den Teppich der Geschichte gekehrte Antisemitismus neue Nahrung. Was es für die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden bedeuten muss, wenn sie erfahren, dass sie sich mancherorts besser nicht als Jude zu erkennen geben, lässt sich für Nicht-Juden nur erahnen. Das ist zwar nicht das zentrale Thema von „Munich Games“, schwingt aber mit: In einer Szene gerät ein Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad in eine Horde muslimischer Jugendlicher und wird prompt verprügelt, als sie zufällig herausfinden, dass er Jude ist.
Vordergründig scheint die sechsteilige Sky-Serie eine ganz andere Geschichte zu erzählen: Vor fünfzig Jahren, am 5. September 1972, hat ein palästinensisches Terrorkommando während der Olympischen Spiele in München elf Mitglieder der israelischen Delegation als Geiseln genommen. Ein Befreiungsversuch scheiterte; alle elf starben. Im Gedenken an dieses Ereignis, an das auch der Vorspann erinnert, soll es im Olympiastadion zu einem Fußballfreundschaftsspiel zwischen einer Münchener Mannschaft und einem Club aus Tel Aviv kommen. Wenige Tage vor der Partie entdeckt Mossad-IT-Spezialist Oren Simon (Yousef Sweid) in einem arabischen Forum ein billig gemachtes Egoshooter-Video. Es zeigt die Ermordung des Gäste-Teams und enthält ein Detail der Sicherheitsmaßnahmen im Stadion, das nur Insider kennen. Simon soll der Sache gemeinsam mit dem Münchener LKA nachgehen; möglicherweise ist ein Anschlag geplant. Hauptfigur der Serie ist LKA-Kommissarin Maria Köhler (Seyneb Saleh), die dank ihrer libanesischen Wurzeln arabisch spricht. Sie hat einen Spitzel in der muslimischen Flüchtlingsszene, aber Monir (Roger Azar) versorgt sie nicht nur mit Informationen; dass die beiden eine Affäre haben, bestärkt Simon in seinem Misstrauen gegenüber den deutschen Behörden. Ähnliche Spannungen prägen das Mit- und Gegeneinander von LKA, BKA, BND und Verfassungsschutz; es gehört quasi zum Bausatz solcher Geschichten, dass sich ein Verdächtiger als V-Mann entpuppt.
Diese Gemengelage birgt ein beträchtliches Thriller-Potenzial. In den ersten Folgen resultiert die Spannung jedoch vor allem aus der Gewissheit, dass etwas passieren wird; dafür sorgen ein Countdown („Noch drei Tage bis zum Spiel“) sowie kurze Zwischenschnitte auf einen Kasten mit rot blinkender Diode. Trotzdem bildet all’ das im Grunde nur die Bühne für die Figuren, wobei die Israelin Michal Avriam und ihr deutscher Koautor Martin Behnke offenkundig großen Wert darauf gelegt haben, den verschiedenen Kulturen gerecht zu werden. Für ein an synchronisierte Filme und Serien gewöhntes Publikum sind die vielen Untertitel zwar mühsam, aber für die Authentizität ist es sehr wichtig, dass die Araber arabisch und die Israelis hebräisch sprechen. Maria ist das Bindeglied zwischen den Ebenen: Mit Simon muss sie zusammenarbeiten, in Monir ist sie verliebt, und als im Libanon geborene Christin repräsentiert sie zudem in gewisser Weise das Christentum. Alle drei begehen entscheidende Fehler, bleiben jedoch Sympathieträger, zumal sie eher Getriebene als treibende Kräfte sind: Monir hat seine Leute aus Liebe verraten, Oren ist als IT-Experte alles andere als ein typischer Geheimagent, und Maria ist emotional neben der Spur und wird zudem mehr und mehr zum Spielball der rivalisierenden Organisationen. Seyneb Saleh, Tochter deutsch-irakischer Eltern, war zuletzt unter anderem an der Seite von Jürgen Vogel in der ZDF-Freitagsserie „Jenseits der Spree“ (2021) zu sehen; „Munich Games“ wird ihrer Karriere einen weiteren Schub geben.
Wie bei vielen Miniserien hätte sich Manches auch kürzer erzählen lassen; das gilt für die gelegentlich unnötig ausufernde Ebene mit den Fußballern wie auch für Marias Eheszenen. Jede Sekunde ein Genuss ist dagegen Dov Glickman: Der Clubchef des Gastvereins ist der Sohn Münchener Holocaust-Überlebender, die Partie ist für ihn weit mehr als bloß ein Fußballspiel. Der Israeli Glickman hat mit seiner Ausstrahlung bereits die Titelrolle von Dror Zahavis Brandenburger „Polizeiruf“-Episode „Hermann“ geprägt. Ähnlich charismatisch ist Igal Naor als Chef der deutschen Mossad-Dependance. Einige weitere Nebenrollen sind ebenfalls prägnant besetzt, unter anderem mit Juergen Maurer in Miniauftritten als Minister und Juliane Köhler als Marias Vorgesetzte. Eine spezielle Rolle spielt Sebastian Rudolph als Marias Mentor; der Leiter der BKA-Abteilung für Islamistischen Terrorismus gibt mit seiner Devise „Moral muss man sich leisten können“ die fragwürdige Maxime für fast alle Beteiligten vor. Oren hat keinerlei Skrupel, sich diverser Methoden zu bedienen, die Maria an die Stasi erinnern; einen Trojaner auf ihrem Smartphone inklusive.
Regie führte Philipp Kadelbach, vielfach ausgezeichnet für den Weltkriegs-Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ (2013, ZDF) oder das KZ-Drama „Nackt unter Wölfen“ (2015, ARD), der hier wie schon beim ebenfalls preisgekrönten Thriller „Auf kurze Distanz“ (2016, ARD) mit Jakub Bejnarowicz zusammengearbeitet hat. Anders als bei der gemeinsamen Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (2021, Amazon) beeindruckt die Bildgestaltung diesmal nicht durch ihre Hochwertigkeit, sondern durch die Nähe zu den Figuren. Optisch mag „Munich Games“ dadurch zunächst weniger aufwändig wirken, aber der emotionale Effekt ist enorm. Als sich rausstellt, dass sämtliche Behörden auf einer völlig falschen Fährte waren und sich die Ereignisse von 1972 unter anderen Vorzeichen wiederholen, wird die Serie zudem hoch spannend. Sky zeigt die Folgen auf Sky One sonntags um 20.15 Uhr. (Text-Stand: 9.8.2022)