Ein rechter Langweiler muss er gewesen sein, dieser Christoph Bojanski, ein Mann ohne erinnerbare Eigenschaften, ein unsichtbarer Kollege, offenbar ein Niemand. So sieht es Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier), der sich dann nicht schlecht wundert, als er und das „Fräulein Flierl“ (Bernadette Heerwagen) diesem akkuraten Versicherungsvertreter ein Doppelleben attestieren müssen: So aufgeräumt wie sein Schreibtisch, so penibel genau war auch seine Lebensplanung – sprich: sein Liebesleben. Zwei Frauen (Teresa Rizos, Magdalena Höfner) gleichzeitig, in einer Stadt, beide im Abstand von zwei Wochen geschwängert. Davor zieht selbst Neuhauser den Hut. Und das Image des Toten, dem das Kellertrio um Ludwig Schaller (Alexander Held) – wenn’s nach Zangel (Christoph Süß) ginge – die Todesursache Herzinfarkt bescheinigen soll, verändert sich weiter. So wurde Christoph Bojanski vor fünf Jahren als „der Held vom Tierpark“ in der Öffentlichkeit gefeiert. Bei einem Raubüberfall auf einen Zoo-Kiosk konnte der hochaggressive Täter von ihm überwältigt werden. Wegen guter Führung ist jener Viktor Schratz (Michael Kranz) aus der Haft entlassen worden. Zwar hat er ein neues Leben begonnen, hat eine Frau (Eli Wasserscheid) und Gott an seiner Seite, dennoch leben Max Hämmerle (Sebastian Bezzel), der beim Überfall im Zoo maßgeblich mitgeholfen hat, und die Kioskverkäuferin (Maria Wördemann) in panischer Angst. Diese bösen Augen!
Treffen sich zwei Schwangere im Wald. Fragt die eine: Wie weit bist du?“ Die glückliche Antwort: „24. Woche – und du?“ Nicht minder glücklich strahlend: „26. Woche.“ Der Rest klingt dann weniger erfreulich: „Ich kannte jemanden, der war hier gemeldet: der Vater meines Kindes.“ Ein entgeisterter Blick bei der Frau gegenüber. Dann setzt es Hiebe. Dies ist nur ein Beispiel für die ebenso kompakte wie launige Auflösung vieler Situationen dieser zwanzigsten Episode von „München Mord“, die mit einem besonders skurrilen Fall punktet und dieser etwas anderen Krimi-Reihe mit ihrem außergewöhnlichen Ermittler-Trio ein besonders beglückendes Jubiläum beschert. Schon vorher wurde das Doppelleben dramaturgisch und filmisch clever in einer Parallelmontage geradezu versinnbildlicht: „Das ist mein Lebensgefährte“, sagt die eine. „Das ist mein Freund“, die andere. Beide sind voll des Lobes. „Ein totaler Naturbursche“ schwärmt die eine, „Kultur, das war sein Ding“, die andere. Und bei beiden baumelt dieselbe Kette am Hals. Schlag auf Schlag bekommt man als Zuschauer Informationen über die verquere Dreiecks-„Liebe“, das gelingt mit Tempo & Witz; außerdem erspart man sich so die umständliche, redundante Überbringung der Todesnachricht, die Emotionen ins Spiel bringen würde, die bei dieser Episode mit deutlich komödiantischem Einschlag und absurder Note unpassend wären. Dass es diesmal wieder schräger zur Sache geht, zeigt sich bereits am Tatort. Die Befragung der Kollegen des Toten (Barbara Bauer, Moritz Katzmair) ist ein feines Kabinettstückchen skurriler Typenkomik und bayerischer Wesensart.
Wo man auch hinhört, in „Nix für Angsthasen“ gibt es (endlich) mal wieder Sätze und Dialogwechsel zum Aufhorchen. „Weißt du, was dein Problem ist als Mann“, fährt die Angelika ihren Harald an, „Du verstehst einfach Unlogik nicht.“ Aber auch für Frauenfragen ist er der falsche Ansprechpartner. „Wie findest denn du, dass der Herr Schaller ständig Fräulein zu mir sagt?“ Desinteressiert kommt es zurück: „Ist mir gar nicht aufgefallen; ich bin halt eher ein inhaltlicher Mensch.“ Und zu seinem Lebensinhalt gehören oder gehörten nun mal die Weibsbilder. Und mit denen hält dieser es so wie ein anderes, namhafteres Kind dieser Stadt. „A Hund war er scho, der Langweiler.“ Bei Komödien-affinen Zuschauern reiferer Jahrgänge klingelt da etwas im Ohr: „A Hund bist fei scho, Franze“, dieser Satz war quasi die Antwort auf die polyamourösen Umtriebe des Kriminalkommissars Franz Münchinger alias Monaco Franze. Nebenbei macht es noch einmal klick – und selbst der „München-Mord“-erfahrene Kritiker erkennt erst jetzt, nach 20 Filmen und über zehn Jahren, dass der Neuhauser, Harald ja geradezu als Nachfahre von Helmut Dietls Kultfigur prädestiniert ist, wenngleich sich seit Metoo-Zeiten der Casanova-Effekt zu einer Männerfantasie verflüchtigt hat. Jetzt darf Christoph Bojanski ran – und der kriegt am Ende prompt die zeitgemäße Rechnung serviert. Im Gegensatz zum Franze anno 1983 ist dieser ein Frauenfreund neuerer Sorte, der sich nicht in die Karten schauen lässt, sondern die schöne neue Medienwelt nutzt für seine Eskapaden. Doppelleben? „Bei uns war er immer nur der ewig gleiche Christoph“, versichert die Kollegin. Die Reminiszenz an die Serie, die durch Netflix(!) ein kleines Revival erlebt(e), spiegelt sich auch im Namen der Versicherung: Monaco Assekuranz.
Der Krimi-Whodunit rückt in den Hintergrund. Eher fragt man sich als Zuschauer: Weshalb diese Todesangst bei diesem Max Hämmerle? Angst ist zwar das bereits früh ausgegebene Leitmotiv der Geschichte. Doch so richtig plausibel ist das Ganze nicht. Aber wer fragt bei „München Mord“ schon nach Logik? „Angst kommt einfach, plötzlich durch die Hintertür“, gibt Neuhauser im Intro zum Besten. „Bloß nicht anfangen, über die Angst nachzudenken; denn das geht gerne mal tödlich aus.“ Also lassen wir es besser auch an dieser Stelle. Nur so viel: Der Angst-Diskurs verlängert den Krimi, nachdem der „Herzinfarkt“ den Reihen-Titel bestätigt hat, als ein vorsätzlich herbeigeführter „Herzinfarkt“. Auch wenn Zangel, dem in der Eingangsszene augenzwinkernd Höhenangst angedichtet wird, in „Nix für Angsthasen“ seine „Kaschperl“ machen lässt und so die köstlichen Einlagen des gelernten Kabarettisten Christoph Süß‘ fehlen, so sind dafür die Interaktionsmomente des Trios feinsinniger gesponnen, die Szenen insgesamt verspielter und auch die Sätze gehen den Schauspielern geschmeidiger von den Lippen als zuletzt in „Die indische Methode“, wodurch sich das Beziehungsspiel vom bloßen Ritual abhebt (man kennt das Phänomen vom „Tatort“ Münster), es so echter erscheinen lässt, ja wieder „griffiger“ macht (um den bei Fußballreportern neuerdings so beliebten Begriff zu verwenden). Daraus ergibt sich gleichsam ein flüssigerer und an Zwischentönen reicherer Handlungsverlauf. In dieser Form ist „München Mord“ bestens gerüstet für die nächsten zwanzig Episoden.