So eine Leiche hat man nicht alle Tage auf dem Tisch. Der Körper des Toten wurde drei Mal überfahren, war aber schon davor ein Wrack: schlechte Zähne, eine Kugel im Knie, Me-tastasen in der Lunge, und das Hinterteil weist ein seltsames Mal auf. Eigentlich sollte der Tote gar kein Fall für die Gerichtsmedizin werden. Für Chef Zangel (Christoph Süß) ein Unfall mit Fahrerflucht! Das Kellertrio sieht’s anders: Was macht ein halbtoter Mann nachts auf einsamer Strecke, irgendwo im Nirgendwo? Noch dazu kam der Mann mit dem Bus, hatte weder Handy noch Ausweis bei sich. Dafür waren in der Jacke seines Maßanzuges 25.400 Euro eingenäht. Während sich Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) noch wundern, hat Schaller (Alexander Held) den richtigen Riecher und kennt die richtigen Leute, zum Beispiel den einstigen Promi-Schneider Karli (Alexander Duda). Der versteht die Kleidung des Toten zu lesen: Der Mann war reich, Italiener, Mafioso.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Nicht spektakulär, dafür gewohnt launig beginnt die vierzehnte Episode der etwas anderen ZDF-Krimi-Reihe „München Mord“. Die italienische Note wird im Titel „Dolce Vita“ bereits angedeutet und sie zieht sich durch die Handlung: Im Zuge eines locker-ironischen deutsch-italienischen Informationsaustauschs zwischen Schaller und einem Südtiroler Commissario (Antonio Puntignano) wird der Tote als Lucio Fontano identifiziert, einem der am meisten gesuchtesten Mafiabosse. Das macht den Fall nun noch merkwürdiger. Eine Spur führt zu einem jungen Steuerberater (Jacob Matschenz), dessen sich Angelika Flierl annehmen darf. Ein ähnlich wie sie zurückhaltender, aber charmanter Zeitgenosse, der ihr gleich bei einem privaten Treffen seine traurige Lebensgeschichte erzählt. Die stimmt soweit. Aber irgendwas stimmt trotzdem nicht. Und bei allem dürfte die Mafia ihre Hände im Spiel haben. Selbst das Ristorante da Maurizio ist nicht nur Zangels Lieblingsitaliener, sondern womöglich auch Schaltzentrale des organisierten Verbrechens. Jedenfalls scheint der Besitzer (Miguel Abrantes Ostrowski) gut bekannt zu sein mit einer ebenso attraktiven wie undurchsichtigen Lady (Carol Schuler), die sich zunächst als Knochenbrecherin und wenig später als Killerin outet.
Katja Röder und Fred Breinersdorfer warten in ihrem Drehbuch mit einigen für „München Mord“ ungewohnten Ingredienzien auf. Mit üblen Killern bekamen es Schaller & Co bisher kaum zu tun, das Flair dieser Reihe ist für gewöhnlich eher weißblau. Die Ausnahme „Kein Mensch, kein Problem“ bestätigt die Regel. Das Autorenduo setzt hier offensichtlich auf seine (Recherche-)Erfahrungen aus dem Tatsachenkrimi „Die Spur der Mörder“ (ZDF, 2019), der die Mafia-Morde von Duisburg aus dem Jahr 2007 aufarbeitete. Die Tonlagen vertragen sich durchaus. Der Ausgangspunkt ist fürs Mafia-Genre ja eher skurril: „Der Mann war so gut wie nie im Freien“, konstatiert Leichen-Experte Dr. Laicher (Michele Cuciuffo) nach der Analyse der Hautpigmente. Da denkt man, ein Mafiaboss lebt in Saus und Braus, und was ist: Der Mann, dessen „Unternehmen“ rund zwei Milliarden Umsatz im Jahr macht, kann es nicht mal wagen, zum Zahnarzt zu gehen. Und auch für die gerichtsmedizinischen Szenen haben sich die Autoren etwas Ironisches ausgedacht: eine heimliche Leichenschau to go, mal im Kellerbüro, mal im Fahrstuhl. Und dann wird scharf geschossen – mit cooler Schalldämpfer-Waffe. Da vergeht dem Trio zwischenzeitlich schon mal das Gewitzel. Aber das Finale im Gewölbe-Keller des Edelitalieners, passend für die Kripo-Kellerfraktion, ist dann wieder „München Mord“-gerecht: Am Nebentisch knutscht „der Staatssekretär mit der Kati vom Empfang“ und Zangel stellt selbstgewiss fest: „Kein Mafiakiller weit und breit.“ Ein „Schau’n mer mal“ von Schaller läutet dann ein kleines, geistreich-humorvolles Finale ein – mit Licht-an-Licht-aus-Spielchen, einem Siebträger als Pistolenersatz und Dean Martins „Amore“.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Kommen die neunzig Minuten auch gewohnt leicht und locker daher und wirkt die Inszenierung von Matthias Kiefersauer in seinem dritten Beitrag zur Reihe auf den ersten Blick geradezu gemütlich, lässt einen diese bairische Entspanntheit möglicherweise übersehen, wie genau doch in dieser Episode im Detail gearbeitet wird. Das entspricht ganz dem Team: Ist es doch besonders die vermeintliche Unbedarftheit der Ermittler, insbesondere von „Fräulein Flierl“, und das bescheidene Columbo-like Auftreten von Ludwig Schaller, die einen auch als Zuschauer gelegentlich das Präsentierte unterschätzen lässt. Und ganz so reizlos ist auch die filmische Machart nicht: So legt sich die frühe Dunkelheit des Spätherbstes durchaus Atmosphäre-stiftend über einen Großteil der Bilder (Kamera: Thomas Etzold). Und das Zackzack im Dialog ersetzt bisweilen das fehlende Tempo der Handlung. Ein Beispiel: „Und, wie läuft’s bei der Asservaten-Angelika“, will Flierl vom Kollegen wissen. „Ja mei, tut a bisserl weh.“ Flierl: „Das Herz?“ Neuhauser: „Der Rücken.“ In dieser Situation versteht nur der Zuschauer die Anspielung. Was den Fall angeht, muss er dagegen ohne viel Mehrwissen auskommen. Das verhindert zwar Suspense, erhöht dafür die Identifikation (besonders mit der verliebten Flierl), die für diese Geschichte besonders wichtig ist. In das Gespräch am Imbiss fährt Schaller mit dem Auto förmlich rein: „Austrinken, einsteigen, Außentermin.“ Außerdem verlässt sich Schaller auch in „Dolce Vita“ auf seine Erscheinungen. Das ist immer eine willkommene Abwechslung. Das Bild dominiert den Dialog, und das Ganze passt wunderbar zu dessen spinnertem Charakter. Die nachempfundenen Situationen besitzen diesmal eine schöne Sinnlichkeit. Aber auch der Einstieg verströmt edle Melancholie. Ein elegantes Paar tanzt in der Münchner Nacht unter freiem Himmel – und die Angi ist einsam.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk