Wenn ein böser Bube Polizeiarbeit macht
Genickbruch – kein schöner Tod. Aber auch das Leben von Julika Amsel, der Frau, die in ihrer Wohnung tot aufgefunden wird, war kein Zuckerschlecken. Der sie abgöttisch liebende Bruder ein Gewaltverbrecher, Freunde Fehlanzeige und an ihrer glänzenden Karriere als Immobilienmaklerin scheint auch etwas faul zu sein. Janosch Amsel ist nach sechs Jahren Knast gerade mal wieder auf freiem Fuß. Der Mord an der Schwester, der als Haushaltsunfall inszeniert wurde, ist seiner Resozialisierung nicht gerade förderlich. Der Mann will nun selbst das Recht in seine Hand nehmen. Denn die Polizisten sind für ihn nur ein schlechter Witz: diese verunsicherte Blondine, dieser konsensfreudige Schönling – und dann dieser spinnerte Teamleiter, den Amsel erst zu Gesicht bekommt, als schon fast alles zu spät ist.
Der gute Gesamteindruck verfestigt sich
Einen Auftakt nach Maß legten Angelika Flierl / Bernadette Heerwagen, Harald Neuhauser / Marcus Mittermeier und Ludwig Schaller / Alexander Held in ihrem Auftakt zur ZDF-Samstagskrimireihe „München Mord“ hin. Nachdrücklich festigen nun in der zweiten Episode, „Die Hölle bin ich“, Team/Cast diesen ersten Eindruck. Die Autoren Alexander Adolph und Eva Wehrum haben einen Krimifall erdacht, der noch etwas (zu)packender ist als ihr erster, der klar strukturiert ist und der mit einem überschaubarem Personal auskommt. Weniger die Whodunit- als vielmehr die Thriller-Spannung, die vom bösen Buben angetrieben wird, und die leicht absurden Momente, die vom skurril anmutenden Ermittlertrio ausgehen, sind der dramaturgische Motor, der die abwechslungsreiche Geschichte über die Einsamkeit und den obszönen Konsumismus aus dem etwas anderen München lustvoll in Gang hält.
Spannungsfluss und Autonomie
„Die Hölle bin ich“ besitzt dramaturgische Linearität und ausreichend finalen Spannungszug, gleichzeitig aber setzen die Autoren nie allein auf Szenen, die bloße Funktionsgehilfen der Story sind und die nur dem Handlungsfluss dienen würden. Das geht gleich gut los – mit einem Schallerschen Prolog über seine „große Liebe“, das München wie es einmal war (und der Film endet mit einem entsprechenden Epilog). Auch die Situationen, in denen Maximilian Brückners zu allem bereiter Rächer sich Informationen erpresst, sind hoch intensiv, ohne dass dabei die Sadismen übertrieben ausgekostet würden. Auch die nur komisch angehauchten Szenen zwischen dem Ermittlerduo vor Ort haben ihre Eigenart, ohne nur im Geringsten den Gang der Handlung zu behindern. Dabei spielt Sprachwitz, wie er beispielsweise im Münsteraner „Tatort“ geradezu zelebriert wird, in „München Mord“ kaum eine Rolle. Sehr viel versteckter tritt die Komik zutage, sehr viel leiser durchwirkt Ironie die Interaktionen.
Valentineske Verfremdungseffekte
Wenn Schaller/Held die Szenerie betritt, sind Überraschungen angesagt. Als valentinesker V-Effekt auf zwei Beinen gibt er den Kriminaler als Hofnarr, der sich einsilbig gibt („mmh, mmh“) und seinem depperten Vorgesetzen die lange Nase dreht. Zu Beginn humpelt er schwerfällig; am Ende dann springt er wieder wie ein junger Hund. Ganz im Gegensatz zu Mittermeiers Neuhauser. Den Casanova-Cop erwischt es auch dieses Mal wieder gewaltig – er blutet, schwitzt und kriegt auf der Zielgeraden kein Bein auf den Boden. So muss die Flierl Angelika die Sache retten. Ein Showdown, der es in sich hat. Ein Raum, zwei verdächtige Zeitgenossen, eine tickende Zeitbombe und eben jene „Angi“, die sich um Kopf und Kragen redet. Wie soll nur eine so komplexbeladene Anti-Polizistin das hinkriegen?! Draußen vor der Tür sitzt der regungslose Kollege, Verstärkung naht, aber wann? Ein klassischer „Last Minute Rescue“ Marke Thriller wird das Ganze am Ende nicht. „München Mord“ ist halt ein bisschen anders. Das Ernsthafte mit dem Lächerlichen zusammenzubringen, sodass dennoch ein stimmiger Grundton (und eine glaubwürdige Haltung zwischen Identifikation und Distanz beim Zuschauer) dabei herauskommt, gehört zu den großen Stärken dieser neuen Reihe.
Der Dialekt wird schon mal ad absurdum geführt
Regisseur Michael Gutmann und Kameramann Jan Fehse, gelegentlich selbst als Regisseur tätig, zeichnen ein München, das man so nicht kennt, eine Weltstadt ohne Herz, dafür mit viel Blut, Schmutz und Tränen. Anders als gewohnt, also anders als beispielsweise im „Tatort“ oder den BR-Heimatkrimis, ist auch der Einsatz des Dialekts, der auch schon mal ad absurdum geführt wird. Ein Zuschauer in schlechter Stimmung wird denken: „Was sprechen die denn für ein Kauderwelsch!?“ Wer dagegen die Mundart in diesem Film im Kontext der bisweilen artifiziell gedrechselten bayerischen Syntax sieht, in der man den frühen Fassbinder zu vernehmen glaubt, der wird den Dialekt in „Die Hölle bin ich“ unschwer als Kunstsprache ausmachen. Und da stört es dann nur wenig, dass Bernadette Heerwagen und Jörg Hartmann als sonnengebräunter Neureichenproll Dengler in schöner Regelmäßigkeit daneben „vokalisieren“. Aber in guter alter Verfremdungstradition wird der Dialekt – entsprechend der ästhetischen Konzeption der Reihe, die authentisch und in sich stimmig wirkt, ohne dass Realitätsprinzip und Abbildrealismus alles „klein“ machen würden – dann auch auf der Handlungsebene thematisiert. Schaller zu der von Nicole Marischka gespielten Dengler-Gattin: „Ihr Bayerisch ist wirklich ganz vorzüglich für eine Schwäbin.“ (Text-Stand: 30.10.2014)