München 72 – Das Attentat

Klare, Heerwagen, Ferch, Rauhaus, Zahavi & das Blutbad der "heiteren" Olympiade

Foto: ZDF / Heike Ulrich
Foto Rainer Tittelbach

Die Olympiade in München sollte zum Symbol für Freiheit, Frieden und Weltoffenheit werden. Das Blutbad der Terror-Gruppe „Schwarzer September“ machte der Bundesrepublik einen Strich durch die Rechnung. Größtmögliche Authentizität und die Chronologie der Ereignisse bestimmen die Dramaturgie. Nachzeichnung der Ausnahmesituation statt Wertung. Der Film funktioniert nicht wirklich. Spannend ist allein das vorfilmische Geschehen. Die Umsetzung bleibt blutleer, die Handlung wirkt zerfasert, den Figuren fehlt die Kraft zu echten Charakteren. Fazit: Nicht jedes historische Ereignis muss unbedingt verfilmt werden!

Die Olympischen Spiele 1972 in München sollten „heitere Spiele“ werden. Die Bundesrepublik wollte ein anderes Gesicht von Deutschland zeigen, wollte die erste Hälfte des Jahrhunderts, die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus vergessen machen und wollte ein Gegen-Event zu Hitlers Olympiade von 1936 schaffen. Völkerverständigung war oberstes Ziel. München sollte zum Symbol für Freiheit, Frieden und Weltoffenheit werden. Der Zeitgeist tat sein Übriges: Pop, Corrège, Polizei ohne Waffen. Soweit der Plan. In die Geschichte ging München 1972 als die Stunde Null des internationalen Terrorismus‘ ein. Mitglieder der palästinensischen Terror-Gruppe „Schwarzer September“ nahmen israelische Sportler als Geiseln und forderten die Freilassung von 130 Arabern aus israelischer Gefangenschaft. Eine aussichtslose Forderung und eine Überforderung deutscher Sicherheitskräfte. 21 lange Stunden dauerte dieser tragische Tag im September 1972, an dessen Ende ein Blutbad stand. Alle elf israelischen Geiseln starben, außerdem ein deutscher Polizist und fünf der Terroristen. 21 lange Stunden, die nicht nur diese Republik veränderten.

„München 72 – Das Attentat“ zeichnet die Ereignisse jenes 5. September 1972 nach. Als Spielfilm – aber so sachlich und authentisch wie möglich. Autor Martin Rauhaus hält sich weitgehend an die offizielle Version von Polizei und Gerichtsmedizin. „Wir wissen allerdings nicht von allen Szenen, wie sie sich im Detail in der Realität abgespielt haben“, so Regisseur Dror Zahavi. „Dies eröffnet einen Interpretationsspielraum, den wir bewusst zu nutzen suchen.“ Der Film springt zwischen den Schauplätzen hin und her: Krisenstab, die Lage im olympischen Dorf, die Privatebene mit den Angehörigen von Betroffenen, die Öffentlichkeit. Die Chronologie der Ereignisse gibt den Großteil der Dramaturgie vor – mit dem blutigen Finale auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck. Reale Figuren dominieren die Handlung. Einige von ihnen sind „halbfiktiv“ gezeichnet – wie der Hubschrauberpilot, den Felix Klare verkörpert. „Den hat es tatsächlich gegeben“, so der Schauspieler, bekannt als Stuttgarter „Tatort“-Kommissar. „Fiktiv aber ist die Liebesgeschichte mit der jungen Polizistin.“

München 72 – Das AttentatFoto: ZDF / Heike Ulrich
Es sollen heitere Spiele werden, Deutschland soll sein modernes Gesicht zeigen. Einweisung der Polizisten für München 72. Bernadette Heerwagen

„Ich wollte auf keinen Fall einen Film drehen, der neuen Hass zwischen Israelis und Palästinensern schürt“ (Regisseur Dror Zahavi)

„Aus der Gegenwart in die Vergangenheit zu schauen und Urteile über wichtige Momente der Geschichte zu fällen, hat zumeist etwas Wohlfeiles“, so ZDF-Redakteur Daniel Blum im Presseheft. „Aus der sicheren Position der Nachgeborenen, munitioniert mit Analysen und Beurteilungen aller Art und gestählt mit dem Wissen, wie die ‚Geschichte ausging’, lässt sich gefahrlos über das Vergangene berichten.“ Das ZDF wollte es anders machen und den Zuschauer „in eine emotionale, ja fast existenzialistische Situation führen“. Weniger Wertung, mehr Momentisierung. „Es geht nicht darum, Fehlentscheidungen zu entschuldigen. Vielmehr geht es darum, einen möglichst unverstellten Blick auf den entscheidenden Moment zu werfen, in dem sie getroffen wurden.“ Der Zuschauer kann teilhaben an den Geschehnissen, dem Dilemma, der Ausnahmesituation, in der sich die Verantwortlichen befanden.

Ein interessanter, ein kluger Ansatz. Dennoch funktioniert „München 1972“ nicht wirklich. Der Film ist (für Menschen, den dieses „Datum“ noch etwas sagt) eine seltsame Gemengelage aus klassischer, finalisierter Filmdramaturgie und Erinnerungen an die Situation von damals. Nicht der Film an sich, sondern das Ereignis und die Frage „Wie war das doch gleich?“ wird die Zuschauer am Abschalten hindern. Spannend ist allein das vorfilmische Geschehen. Die filmisch-dramaturgische Umsetzung dagegen bleibt seltsam blutleer, die Handlungsstränge wirken zerfasert, die Figuren haben überdeutliche Konturen, umso weniger bringen sie die Kraft für echte Charaktere auf. Die angenehm „kleine“ Besetzung mit Felix Klare, Bernadette Heerwagen, Esther Zimmering oder Stephan Grossmann kann daran nichts ändern. Die Ereignisse werden als „Spielmaterial“ benutzt, um Stimmungen, Empfindungen beim Zuschauer auszulösen. Als „Mehrwert“ für ein herkömmliches Drama mag so etwas das ausreichen. Aber sollte ein historisches Drama nicht einen höheren Anspruch, irgendeinen höheren Erkenntniswert, haben als das Nachzeichnen von tragischen „Realien“ zum Zwecke der Unterhaltung? Auf die Dokumentation (19.3., 21.50 Uhr) zu verweisen, löst das Grundproblem dieser 90 Spielfilm-Minuten nicht. Auch nicht der Verweis auf „Mogadischu“. Im Gegenteil. Dieser Film machte alles anders. Er konnte alles anders machen, weil die Geschichte eine andere Geschichte vorgab. „Mogadischu“ hatte starke Charaktere, extrem sinnliche Konflikte, er hatte ein Happy End und – das Entscheidende – er hatte als Mehrwert eine Diskurs-Ebene (das Geschehen um Bundeskanzler Helmut Schmidt). Da nützt es wenig, dass „München 72 – Das Attentat“ am Ende den Ausblick auf die GSG 9 gibt. Um den „Sinn“ eines solchen zeitgeschichtlichen 90-Minüters zu begründen, reicht eine solche angehängte Fußnote nicht aus. Fazit: Nicht jedes historische Ereignis muss unbedingt verfilmt werden!

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Bernadette Heerwagen, Felix Klare, Heino Ferch, Stephan Grossmann, Shredi Jabarin, Pasquale Aleardi, Esther Zimmering, Benjamin Sadler, Arnd Klawitter, Robert Giggenbach, Rita Russek

Kamera: Gero Steffen, Chris Völschow

Schnitt: Fritz Busse

Soundtrack: T. Rex („Jeepster“)

Produktionsfirma: TeamWorx

Drehbuch: Martin Rauhaus

Regie: Dror Zahavi

Quote: 4,22 Mio. Zuschauer (12,6% MA)

EA: 10.03.2010 20:15 Uhr | ZDF

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