Wer „Mozart“ sagt, denkt an Wolfgang Amadeus. Dabei unterschlagen auch Miloš Formans mit acht Oscars ausgezeichneter Kino-Hit „Amadeus“ (1984) und die gleichnamige britische Sky-Serie, die im Dezember starten soll, dass der musikalische Wunderknabe eine ebenfalls hochbegabte, ältere Schwester hatte: Maria Anna (1751-1829), genannt „Nannerl“, wurde wie ihr Bruder von ihrem Vater Leopold musikalisch gefördert. Beide Kinder traten auch im Duett an den europäischen Königshöfen auf. Die Zeit war aber noch nicht reif für eine eigenständige Karriere von Musikerinnen. Maria Anna blieb der Musik verbunden, unterrichtete Klavierschülerinnen, komponierte wohl in bescheidenem Umfang und trat selbst als Pianistin auf. Längst sind Biographien, Romane und auch ein Dokumentarfilm („Mozart’s Sister“) erschienen. Maria Anna in den Mittelpunkt einer historischen Drama-Serie zu stellen, ist also alles andere als eine verwegene Idee, die allein dem emanzipatorischen Zeitgeist geschuldet wäre. Allerdings schert sich die ARD/ORF-Serie „Mozart/Mozart“ nicht um historische Genauigkeit. Vor Beginn halten die Macher sogar eine Art Triggerwarnung für notwendig: „Dies ist die Geschichte der Geschwister Mozart. Nicht wie die historische Überlieferung sie schreibt, sondern die Vorstellungskraft“, lautet die Schrifteinblendung zu Beginn.
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Dass es hier nicht penibel korrekt zugeht, zeigt sich schon, wenn die Mozart-Kinder zu Beginn am Hofe von Maria Theresia am Piano ein Stück spielen (Sonate Nr. 16 C-Dur), das Wolfgang Amadeus erst im Alter von 32 Jahren komponieren wird. Kurz darauf, allerdings nach einem Zeitsprung von 20 Jahren, muss der junge Mozart in Salzburg vor dem Erzbischof ein Konzert geben, das die Idee der Serie auf vielversprechende Weise einlöst: Erzürnt vom Desinteresse des feisten Pfaffen, verwandelt Wolfgang Amadeus das brave Kyrie eleison in ein krachendes Rockkonzert, bei dem ihm buchstäblich die Perücke vom Kopf fliegt. Die Musik ist in der Serie natürlich ein Kapitel für sich. Mozart pur gibt es selten zu hören, doch seine Kompositionen sind Ausgangspunkt für einen Filmscore, der die klassische Musik in die Moderne zu transferieren versucht. „Als Komponistin inspiriert mich die Spannung zwischen Tradition und Innovation zutiefst – und die Frage, wie Musik sich weiterentwickeln kann, ohne ihre emotionale Authentizität zu verlieren“, sagt Filmkomponistin Jessica de Rooij („Sisi“, „Blood & Gold“), die bei „Mozart, Mozart“ unter anderem mit der Dresdner Elektropop-Band Ätna und der aus Bayern stammenden Sängerin Damona zusammengearbeitet hat. Das Ergebnis ist nicht immer mitreißend, klingt auch mal nach Mainstream-Pop, bleibt aber vielfältig, überraschend und interessant. Ein Musical wird nicht daraus, aber ein kultureller Schock für Mozart-Liebhaber ist nicht ausgeschlossen.
Zumal der 2002 in Berlin geborene Schauspieler Eren M. Güvercin („Druck“, „Euphorie“) schon etwas verloren wirkt, wenn er ein dirigierendes Musik-Genie spielen muss. Dafür bringt Güvercin einiges Charisma für die Rolle eines umschwärmten Jungstars mit Sonnenbrille, Ohrring, aufbrausendem Temperament und Neigung zu Rauschmitteln aller Art mit. Nachdem es sich Wolfgang Amadeus also in Salzburg mit dem Erzbischof verscherzt hat und Maria-Anna (Havana Joy) von Vater Leopold (Peter Kurth) verheiratet werden soll, beschließen die innig verbundenen Geschwister, ihr Glück auf eigene Faust in Wien zu versuchen. Kaiser Joseph II. (Philipp Hochmair) hat zwar mit Antonio Salieri (Eidin Jalali) bereits einen Hofkapellmeister, doch Amadeus bekommt seine Chance. Josephs Schwester Marie Antoinette (Verena Altenberger), die gerade zu Besuch weilende Königin von Frankreich, hat ein Auge auf den jungen Musiker geworfen und engagiert ihn zur Geburtstagsfeier des Kaisers. Leider ist Amadeus gerade wieder unpässlich, weshalb seine Schwester unerkannt als sein Double einspringt. Der musikalisch und auch sonst aufgeschlossene Kaiser gibt daraufhin „eine Oper für das Volk“ in Auftrag.
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Das Drehbuch von Showrunner und Produzent Andreas Gutzeit stürzt sich im hohen Tempo ins Wiener Leben der 1780er Jahre. Bereits in der ersten Folge werden alle Fäden ausgelegt, sind alle Motive erkennbar: der Kampf der Frauen um Freiheit und Eigenständigkeit, das Erwachsenwerden der Geschwister, der musikalische Wettstreit und die zahlreichen amourösen Verzierungen der Handlung. Der Funke zündet nicht nur bei Amadeus und Constanze (Sonja Weißer), sondern auch bei Maria-Anna und Salieri, den Eidin Jalali hier mal überraschend charmant spielen darf. Außerdem hat Vater Leopold beim Wiedersehen mit Opernsängerin Elenora Maxim (Annabelle Mandeng) eine verflossene Beziehung aufzuarbeiten. Der melodramatische Reigen gerät auf die Dauer ein bisschen vorhersehbar und langweilig. Aber es gibt ja noch Verena Altenberger, die mit großer Spielfreude die Figur der Marie Antoinette satirisch auf die Spitze treibt. Die Königin liefert sich sarkastische Wortduelle mit ihrem Bruder, badet in Champagner, intrigiert und verführt Amadeus. Aber letztlich ist das dekadente Luxusweib, dessen einziger Zweck es ist, Frankreich einen Thronfolger zu schenken, auch nur eine Frau, die von Selbstbestimmung träumt. Eine tolle Partie für Altenberger.
Es ist darüber hinaus die fantastische und fantasievolle Ausstattung, die dem selbst verliehenen Label „Event-Serie“ gerecht wird. Neben der höfischen Opulenz, den Massen an Kostümen und voluminösen Perücken, die sich auch mal als Getränkefach eignen, liefert das Szenenbild (Algirdas Garbačiauskas) noch weitere faszinierende Schauplätze. Allen voran der schummrige Instrumentenladen des schweigsamen Avenarius (Dzordzs Ronnijs Steele), der für Maria Anna das Libretto der „Entführung aus dem Serail“ aus der Schublade zieht und auch sonst ein zentraler Ort der Serie bleibt. Rosa (Samira Adgezalova) mit der Augenklappe und das Lager des fahrenden Volkes bedienen zwar zweifelhafte folkloristische Klischees, aber das mitreißend inszenierte Volksfest in der zweiten Folge ist musikalische Lebensfreude pur. Auch die Plätze und Gassen des habsburgischen Wiens am Ende des 18. Jahrhunderts überzeugen nicht durch akribische Nachbildung, sondern durch Lebendigkeit und Atmosphäre, die sich in der Inszenierung der 1994 in München geborenen Regisseurin Clara Zoe My-Linh von Arnim (Grimme-Preisträgerin für „Die Zweiflers“) bis ins Märchenhafte steigern kann.
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So bewegt sich Maria Anna in ihrem roten Kleid wie ein auffälliger Farbtupfer durch das Szenario. Die Schwester ist die selbstlose Managerin des Bruders, die mit wachsendem Selbstbewusstsein eigene musikalische Ambitionen verfolgt, die auch komponiert und dirigiert. Havana Joy spielt eine ungebrochen sympathische Heldin, klarer und sortierter als ihr unzuverlässig schwankender Bruder. Eine junge Frau, die auch mal an sich zweifelt, aber immer wieder aufsteht und der man jederzeit alles Gute wünscht. Die glühende Begeisterung für die Musik, die Sorge um den Bruder, die heimliche Schwärmerei für Salieri – der Schauspielerin Havana Joy, die in der ZDF-Vampirserie „Love Sucks“ auf sich aufmerksam machte, nimmt man das alles gerne ab. Ohnehin ist der Cast mit der Mischung der Generationen, mit den Darstellerinnen und Darstellern unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe ein Beispiel für eine vorbildliche diverse Besetzung.
„Mozart, Mozart“ hätte auch das Zeug für eine turbulente historische Komödie gehabt, Ansätze dazu sind da. Aber der letztlich biedere Liebesreigen und auch das Hin und Her im musikalischen Wettstreit zwischen den Mozarts und Salieri werden auf die Dauer etwas ermüdend. Nach formidablem Start und vier Funken sprühenden Folgen scheint das Arsenal der Ideen auf der Zielgeraden erschöpft. Das erwartbare Finale verblüfft dann längst nicht mehr. Maria Anna („Ich bin auch Mozart“) wird hier dennoch auf eine ungewöhnliche Art gewürdigt– als Hauptfigur einer Serie, die die historische Richtigstellung mit einem „So hätte es sein können“-Szenario betreibt. „Mozart, Mozart“ will alles andere als eine trockene Belehrung sein und löst diesen Anspruch über weite Strecken fulminant ein.
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